Meine lieben unterhaltungshungrigen Lesehäschen, die Zeiten werden immer besser. Dies beweist das Amazon Inclusion Playbook, eine Handreichung des Medienriesen für Film- und TV-Schaffende, die jenen unter anderem nahebringt, wie man als Herstellers eines Films oder einer Serie “the best people for the job” kriegt. Unter “Inclusive Casting” heißt es dort, man möge zunächst festzustellen, für welche Rollen Gender, Rasse, Ethnie, Religion, sexuelle Orientierung u.a. festgelegt sind. Demgegenüber gibt es Rollen, die „allen Genders, Ethnie, Fähigkeitsstufen“ etc. offenstehen. Was wohl heißen soll, dass dass die erstgenannten Rollen eben nicht allen offenstehen, sondern bestimmte Voraussetzungen für Gender, Rasse, Ethnie, Religion, sexuelle Orientierung, körperliche Beeinträchtigung und so weiter der Schauspieler mitbringen. Das spielende Personal ist nun mit diesen Parametern in Einklang zu bringen, sodass wir als Zuschauer sicher sein können, dass uns kein X für ein U und keine Wald-und-Wiesen-Hete für ganz was anderes vorgemacht wird.
Das ist höchst erfreulich weil uns dank dieser Richtlinien künftig Peinlichkeiten wie Elephant Man, My Left Foot, Accused, Philadelphia, Forrest Gump oder Rain Man – um nur eine zufällige Auswahl unangenehmer Machwerke zu nennen – erspart bleiben, die wir uns in weniger erleuchteten Zeiten einbrocken konnten, obgleich John Hurt nicht an Elephantiasis leidet, Daniel-Day Lewis nicht gelähmt ist, Jodie Foster nicht hetero, Tom Hanks nicht schwul und genauso wenig Autist wie Dustin Hoffman. Von Kinkerlitzchen wie Neil Patrick Harris, der, obwohl schwul, einen Hetero, und Eric Stonestreet, der, obwohl Hetero, einen Schwulen spielt, wollen wir gar nicht reden. Gut, dass wir das hinter uns haben!
Die schlechte Nachricht ist, dass wir anscheinend auf halbem Wege stehen bleiben, nämlich bei der Schauspielerei. War es hier schon peinlich genug, immer wieder Menschen dabei zuzusehen, wie sie vorgaben, etwas zu sein, das sie nicht waren, so sind wir wohl auf einem kulturellen Auge blind, wenn wir anderen Kunstschaffenden weiterhin alles durchgehen lassen. Zwar bestehen wir nun darauf, dass zum Beispiel nur Transpersonen die Geschichte von Transpersonen erzählen dürfen (worüber bekanntlich Halle Berry voriges Jahr im Wege des Shitstorms belehrt wurde). Doch was ist mit jenen Heerscharen gewissenloser Schreiberlinge, die auf zigtausenden Seiten Geschichten ausbreiten, die nicht die ihren sind? Selbst heute noch mangelt es nicht an Menschen, die zum Beispiel über Inuit schreiben, ohne welche zu sein, über Serienkiller, ohne das entsprechende Gen zu besitzen, und so weiter. So geht das nicht!
Das Ideal der Literatur muss vielmehr Karl Ove Knausgård sein, der bekanntlich ausschließlich über sich und sein Leben schreibt. Mordgeschichten wollen wir in Zukunft nur noch von ausgewiesenen Mördern erzählt bekommen, Geschichten politischer Unterdrückung ausschließlich von Unterdrückten und Unterdrückern, et cetera. Man ist schließlich, da hilft alles nix, nur mit sich selber identisch, und wer sich künftig erfrecht, die von Amazon so löblich postulierte Einheit des Künstlers mit seinem Werk aufbrechen zu wollen, der wird schon sehen, was er davon hat.
Und selbst das wird irgendwann noch zu wenig sein, weil ein Bild bekanntlich mehr sagt als tausend Worte und daher „eine Geschichte erzählt“. Wer in der Kunstgeschichte nachschaut, wo jemand eine andere als seine eigene Geschichte zu Markte trägt, findet sich in einem target-rich environment wieder. Da darf man nicht zimperlich sein und vielmehr ganz oben anfangen, damit Stümpereien wie die Mona Lisa oder Las Meniñas endlich als jene unappetitlichen Schmieragen alter weißer Männer agnosziert werden, die sie immer schon waren. Die Zukunft wird endlich authentisch. Schönes Wochenende!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen