Freitag, 8. Oktober 2021

Im Vorfeld

 

Aus gegebenem Anlass, darf ich euch, o vielgeliebte Lesehäschen, daran erinnern, dass der erste Beistrich in diesem Satz, den ihr natürlich nicht gesetzt hättet, dort auch tatsächlich nichts verloren hat. Nämlich jener nach „Anlass“. Trotzdem unterläuft er vielen so oft, dass er sogar einen eigenen Namen bekommen hat: Er ist als Vorfeldkomma bekannt, und obwohl es so früh auftaucht, besteht dessen hervorstechendstes Merkmal in seiner Gemeinsamkeit mit dem letzten Getränk: Das Leben wäre besser, wenn man es bleiben lassen hätte.

Das Vorfeldkomma heißt so, weil es gern gesetzt wird, um das Vorfeld des Satzes vom Rest abzugrenzen. Im standarmäßigen deutschen Hauptsatz ist das Vorfeld das, was vor dem Verb kommt.

Im Beispiel ist das Verb darf. Davor steht eine sogenannte adverbiale Bestimmung. Das ist eine Zusatzinfo darüber, wie, wann, wo oder unter welchen sonstigen interessanten Umständen das geschehen ist, was im Satz geschieht. Adverbiale Bestimmungen erkennt man außerdem an dem, was sie nicht haben: nämlich ein finites Verb. Jaja, kommt sofort: Ein finites Verb ist so ungefähr ein Verb, das nicht im Infinitiv steht, und der Infinitiv heißt so, weil er eben in-finit ist. Freilich gibt es nicht nur adverbiale Bestimmungen, sondern auch Adverbialsätze. Die einen kriegen keinen Beistrich, die anderen sehr wohl. So nötig wie ein Maurer ein Bierglas braucht dieser Satz einen Beistrich.

So nötig, wie gar mancher abends ein Bier braucht, braucht dieser Satz hingegen gleich zwei Beistriche. Denn „wie gar mancher abends ein Bier braucht“ ist ein Nebensatz, der sich mit dem finiten Verb braucht herausgeputzt hat.

Das Vorfeldkomma ist also gern genommen, aber völlig überflüssig. Damit bildet es das grammatische Gegenteil zum sogenannten Day-2-Test. Wer nämlich aus einem ansonsten halbwegs okayen Coronaland nach England einreist, muss innerhalb von zwei Tagen einen PCR-Test absolvieren. Das läuft aber nicht so wie in Wien, wo man gurgelt, in ein Röhrchen spuckt und die Geschichte beim BILLA einwirft. Denn in England gibt es keinen BILLA. Vielmehr muss man im Vorfeld der Einreise den Test buchen und bezahlen und erhält dann eine Buchungsnummer, die man auf dem Formular einträgt, ohne welches man sowieso nicht einreisen darf. Das magische Wort ist hier „buchen“. Denn es gibt zahlreiche Testing Facilities mit zahlreichen Websites. Ihnen allen ist gemein, dass sie Tests in einem Preisfenster von ungefähr zwei bis ungefähr zweihundert Pfund anbieten (ja, pro Nase). Ihnen allen ist weiters gemein, dass die Online-Buchungssysteme sich auf dem Stand von 1995 befanden, als es strenggenommen noch keine gab. Man klickt, man trägt ein, man bucht. Und dann erhält man die Rückmeldung, dass sich ein Mitarbeiter rühren und einem mitteilen werde, ob der gewünschte Termin tatsächlich verfügbar sei. Offensichtliche hat die britische Politik hier zur Freude aller Laborbetreiber einen sogenannten seller’s market geschaffen, indem jeder Einreisende eine Testbuchung braucht, und wenn man ihn lange genug hinhält, muss er halt den für 200 buchen oder daheimbleiben.

Der Unterschied zwischen einer Reise ins heutige England und einer in die Sowjetunion scheint mir vorrangig darin zu bestehen, dass man sich in der Sowjetunion durch die Verteilung von Dollars oder Camelzigaretten behelfen konnte. Die englischen Behörden schützen ihre Mitarbeiter hingegen vor solchen Versuchungen, indem sie Telefonsysteme errichten, in denen Auskunftsuchende stundenlang 2 drücken können, ohne jemals etwas Hilfreicheres zu erfahren als die Tatsache, dass es im Telefonsystem des National Health Service einen eigenen Menüpunkt für „Beschwerden über das National Health Service“ gibt.

Wie und wann kontrolliert wird, ob man den Test auch tatsächlich gemacht hat, konnte euer Ergebener übrigens bisher nicht eruieren. Schönes Wochenende!

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