Freitag, 26. November 2021

Die Antwort ist Dieter

 

Das Zappen, o vielgeliebte Lesehäschen, ist ja der Fußball unter den Zeitvertreiben. Dieser ist in hohem Maße geeignet, die passiven Teilnehmer, also die Zuschauer, so unglücklich zu machen wie das Golfspiel die aktiven. Man kann ungezählte Stunden damit verbringen, den Herrschaften auf dem Rasen dabei zuzusehen, wie sie entschieden zu gut dafür bezahlt werden, entschieden zu wenig auf die Reihe zu kriegen. Aber manchmal ist das Glück dir hold, und du siehst das Finale der Champions League 1999.

So ähnlich ist es auch mit dem Zappen. Nur zu oft hantelst du dich von Werbepause zu Werbepause und endest früher oder später bei gotv oder, aus lauter Verzweiflung, bei HGTV. Für die Nichteingeweihten: HG steht für „house & garden“. Dementsprechend besteht das Programm zu einem Drittel aus der Dokumentation von atemberaubend aufwendigen und unschönen Gartenumgestaltungen. Im zweiten Drittel sehen wir sogenannte „Flipper“, das sind Menschen, die heruntergekommene Häuser möglichst billig kaufen, die Mängel möglichst rasch kaschieren (merke: eine Tapete kostet weniger als eine Mauertrockenlegung) und sie dann möglichst teuer weiterverkaufen. Man fragt sich jedesmal, warum diese Verbrecher sich bei ihrem Tun filmen lassen.

Im letzten Drittel beobachtet man Menschen (meist Paare) dabei, wie ihnen aalglatte Maklerinnen und Makler Häuser unterjubeln, die vermutlich durch die Hände obgedachter Flipper gegangen sind. Trotzdem hat man selten Mitleid mit den Kaufwilligen, weil es sich meist um epochal unsympathische Müßiggänger handelt, die ein Haus im Zweifelsfall immer danach bewerten, ob die Garage groß genug für ihre zahlreichen benzinbetriebenen Spielzeuge ist, und niemals danach, ob es genügend Platz für die Bücherregale bietet.

So also ist Zappen, und man könnte nun meinen, es habe sich angesichts flächendeckend verfügbaren Streamings als Kulturtechnik erledigt.

Doch weit gefehlt. Wer den nötigen langen Atem hat, dem schenkt auch das Privatfernsehen bisweilen einen CL-1999-Moment, und man hat dann für sich eine Frage geklärt, von der man bis dahin gar nicht wusste, dass sie existierte, nämlich: ob Thomas Anders oder Dieter Bohlen der Erträglichere von Modern Talking sei. Die Antwort lieferte das Zappen eurem Ergebenen gestern abend. Die Geschichte geht so, und wenn es nicht ganz so war, ist sie gut erfunden: Es begab sich, dass diese Inkarnation des eiskalt kalkulierten Discopop in eine Samstagabendshow des französischen Fernsehens geladen wurde, und zwar nicht in in irgendeine, sondern in Champs Élysées, damals das Traumschiff unter den französischen TV-Shows.

Es begab sich weiter, dass Nora, das legendär zickige Ehegespons von Thomas Anders, sich von irgendjemandem schief angesehen fühlte, worauf das minderbemittelte Paar sich, hihi, vertragsbrüchig vom Acker machte und Dieter Bohlen aber schon sehr dumm dastehen ließ, der sich nun mit einem empörten französischen Fernsehproduzenten herumschlagen durfte, dessen Live Act sich eine halbe Stunde vor Sendungsbeginn in Luft aufgelöst hatte.

So weit, so gut, doch es zählt nicht zu den zweifellos vielen Fehlern Bohlens, dass er sich leicht geschlagen gäbe. Tatsächlich gelang es ihm, Modern Talking zwei Jahre später erneut als Showeinlage in Champs Élysées unterzubringen. Wieder ging es nach Paris, wieder war es nicht mehr lange hin zur Sendung, und wieder waren Thomas und seine Doofe verschwunden. Was also tat der Poptitan? Er suchte einen Hansel, der halbwegs singen konnte und Thomas einigermaßen ähnlich sah. Und zog die Sache durch, um fortan nie wieder in Frankreich aufzutreten. Wie das aussah, kann man, dem Internet sei dank, heute noch sehen. Schönes Wochenende!

Freitag, 19. November 2021

Für mindestens 18-Jährige

 

Leider, o teure und zweifellos flächendeckend immunisierte Lesehäschen, kam der Rat eures Ergebenen, wie man die Impfrate durch wohlerwogene Gamification eventuell steigern könnte, zu spät. Man sieht an den aktuellen Ereignissen, dass in der türkisen Volkspartei die christlichen Elemente stärker sind, als man dachte. Heißt es doch im Matthäusevangelium:

Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein. Hier ist offensichtlich von den immer häufigeren Konflikten die Rede, die Familien in Impfwillige und Ungeimpfte spalten. Indem die Regierung diesen durch eine Informationspolitik Vorschub geleistet hat, die darauf ausging, jede Seite gegenüber der anderen lächerlich zu machen, hat sie also nicht mehr als gut christlich gehandelt. Dass die Kluft im Land nur noch durch einen Lockdown zu schließen ist – was soll’s. Ist nicht der erste, wird nicht der letzte sein.

Die nächste Frage ist nun, wie diese gesellschaftliche Realität sich im Deutschen abbilden lässt. Denn wenn der Genderstern recht ist, so kann es nur billig sein, auch sprachlich das Trennende über das Verbindende zu stellen. Deshalb: Weg mit dem Bindestrich! War er einst eine willkommene Prothese für Leute, die ihren Lesern nicht zutrauten, mehrsilbige Wörter zu verarbeiten, sodass aus der Marketingkonferenz im Handumdrehen eine mundgerechtere Marketing-Konferenz wurde, so ist er nun ein lästiges Überbleibsel aus einer Zeit, als man noch dachte, es sei wünschenswert, Dinge zusammenzubringen. Wer wagt es, endlich zu trennen, was auseinandergehört?

Antwort: Ein lang geschätzter Kunde eures vielgeprüften Zweckdichters. Dort gibt es weiterhin Wörter mit Bindestrichen und Produktnamen ohne solche, weil es halt viel cooler ist, einen Business Schraubenzieher zu ergreifen als einen Business-Schraubenzieher. Nichts ist aufgeräumter als die Leere, und horror vacui sowieso total 1975, als man noch alles mit Blumenmustern anräumen zu müssen glaubte. Heute dagegegen: skandinavische Schlichtheit. Doch wie wir wissen, gibt es nicht nur Rule 34: There’s porn of it. Es gibt auch too much of a good thing, beziehungsweise in diesem Fall too wenig of a thing, das notwendig wäre. Bei eigenen Produktnamen darf sich ja jeder aussuchen, ob er die mit Bindestrich, Doppelpunkt oder Heftpflaster schreibt. Wenn aber ein Whiskyhersteller seinen „12jährigen“ Stoff anpreist, ist das schon falsch, weil Buchstaben und Zahlen nicht so einfach zusammenpassen, das ist wie Lego und Fischertechnik, da brauchst du einen Bindestrichadapter.  Spricht er gar vom „12 jährigen“, dann stellen sich zart die Haare auf. Wollte er uns nicht mitteilen, die Plörre sei zwölf Jahre alt? Warum dürfen die 12 und die Jahre dann nichts miteinander zu tun haben? Auch eine „ph neutrale“ Seife ist eine orthographische Sauerei, da nützen alle Tenside nichts, das wird nicht mehr sauber. Beziehungsweise eben schon: Die Wörtervereinigung ist so jugendfrei, dass sie praktisch gar nicht stattfindet. Wenn zwei Wörter sich schon so fest liebhaben, dass sie ein neues machen, darf man das auch ruhig sehen. Deshalb, o meine Teuren, her mit dem Bindestrich, damit die Wörter sich wieder zusammenferkeln können, als gäbe es kein Morgen, dafür ph-neutral, 70-jährig und Cr6-frei.

Schönen Lockdown und schönes Wochenende!

 

Freitag, 5. November 2021

Schadenfreude

 

Es ist, o teure Lesehäschen, im Großen und Ganzen so wie vor einem Jahr. Man hört daher immer öfter, dass es niederschwelligerer (oder niedrigerschwelliger?) Impfangebote bedürfe. Denn wer mit offenen Ohren durch die Stadt und übers Land geht, höre angeblich allüberall ein Raunen, das bei größeren Menschenansammlungen auch in ein Tosen übergehen könne: „Macht uns niederschwellige Impfangebote! Dann gehen wir hin, versprochen!“

 

Euer Ergebener ist da ein bisschen skeptisch. Vielleicht ist es daher ebenso lohnend, den gegenteiligen Weg zu beschreiten. Betrachten wir nämlich den Billigflug. Er kostet fast so wenig wie die Impfung, ist jedem zugänglich, der einen Puls hat, und sein Ausgang ist noch wesentlich zweifelhafter.  Trotzdem drängen sich vor den Schaltern die Massen, dass es nur so eine Art hat, während es im Impfcontainer zugeht, wie in der Tante Jolesch das Entrée in ein Nachtlokal beschrieben wird, in dem aber auch gar nix los ist: Der Kellner lädt Gläser auf ein Tablett, der Pianist beginnt eine schwungvolle Nummer, der Eintänzer wirbelt mit der Eintänzerin übers Parkett – kurz, das Personal entwickelt eine Betriebsamkeit, dass Torberg angesichts der Szene dieses Bonmot von Egon Friedell überliefert: „Ich möcht wetten, die Abortfrau sitzt am Häusl und kackt.“

Was macht den Billigflug so viel attraktiver als die Impfung? Der große Unterschied liegt darin, dass der lächerliche Ticketpreis nur der Anfang ist und man dann zahlreichen Versuchen ausweichen muss, extra zu löhnen. Mehr Gepäck braucht man oder nicht, aber dann kommt der Rest: Zusatzversicherung? Nein, danke. Nebeneinandersitzen gegen Aufpreis, obwohl man die Tickets zusammen gebucht hat? Nein, danke. Online-Check-in? Ja, denn die andernfalls erhobene Deppensteuer beträgt ein Mehrfaches des Ticketpreises. Online-Check-in in der App? Nein, denn das funktioniert nicht. Online-Check-in auf der Website? Ja, aber die hier erhältliche Bordkarte gilt nur, wenn man sie ausdruckt, andernfalls Deppensteuer. Deshalb zuerst Online-Check-in auf der Website, dann in der App anmelden, wo nun plötzlich die Bordkarten erscheinen.

Bei einer bekannt niederträchtigen Piratenlinie, deren Name sich auf „reihert mehr“ reimt, läuft das genau so, und euer Ergebener hatte kürzlich gleich zweimal Gelegenheit, Gestrandeten zu helfen, die die Deppensteuer erlegen hätten müssen, dazu aber mangels funktionierenden Plastikgeldes nicht imstande waren.

Kurz: Ein Billigflug heißt zwar so. Er ist es aber nur, wenn man sich hinreichend geschickt anstellt. Warum das super ist, erklärt uns die Spieltheorie, die in beinahe zulässiger Verkürzung darauf hinausläuft, dass der Mensch ein noch größeres Gfrast ist, als man sich eh schon gedacht hat, indem sich als wahr erweist, dass die Schadenfreude tatsächlich der Freuden reinste ist: Wenn es uns gut geht, finden wir das zwar ganz okay. Noch wohler fühlen wir uns aber, wenn es uns selber so einigermaßen, dem Nebenmenschen aber deutlich mieser geht.

Ich empfehle daher, das Impfangebot versuchsweise mit versteckten Dornen zu versehen. Ohne Online-Terminvereinbarung geht gar nix. E-Mail-Bestätigung Fehlanzeige. „Ein*e Mitarbeiter*in wird sich bei Ihnen melden“ – not. Öffnungszeiten 9–11:30 und 14–16.30 Uhr, und zwar Mo–Do. Kein Impfpass dabei? Zwanzig Liegestütz!

Wer da zum Stich kommt, der darf sich tatsächlich etwas darauf einbilden und, noch wichtiger, mit höhnisch gerecktem Finger auf die andern zeigen. Probieren wir es. Und schönes Wochenende!