Freitag, 19. August 2022

Haare

 

Euer Ergebener will, o alerte und argute Lesehäschen, keineswegs damit protzen, wie doof er ist, könnte er doch dann niemals den selbst auferlegten Bildungsauftrag allfreitäglich an euch erfüllen. Trotzdem sei hier gesagt: Die Sache mit den Dreadlocks ist mir rätselhaft. Kann mir das bitte jemand erklären?

Für alle, die die letzten Monate unter einem Stein verbracht haben, müssen wir erzählen, wie das funktioniert:

Schritt 1: Eine Band oder ein Musiker wird für ein Konzert gebucht. Falls sie politisch überhaupt zuordenbar sind, dann gehören sie in die linke Reichshälfte, ebenso wie das durchschnittliche Publikum des Veranstaltungslokals.

Schritt 2: Irgendjemandem fällt auf, dass einer oder mehrere Musiker Dreadlocks tragen. Der Jemand tut gegenüber dem Veranstalter sein Unbehagen kund. Dies ist jedenfalls die handelsübliche Formulierung: Leute fühlten sich angesichts der Filznudelfrisur „nicht gut“, weil sie diese nur auf Leuten sehen wollen, die diskriminiert werden oder deren Vorfahren diskriminiert worden sind. Wichtig: Die Leute, die sich nicht gut fühlen, gehören immer der „Dominanzkultur“ an. Ihr Unbehagen rührt niemals daher, dass sie selbst sich von den Dreadlockträgern diskriminiert fühlen. Sie glauben aber, dass jemand anderer sich  diskriminiert fühlt, der aber irgendwie nicht imstande ist, das zu artikulieren. Wahrscheinlich hat er zuviel Angst vor dreadlockwackelnden Punkmusikern.

Schritt 3: Der Veranstalter will sich keinen Shitstorm einhandeln. Deshalb sagt er das Konzert ab (engl. „to cancel“) und „sucht das Gespräch“ mit den Künstlern. Diese lehnen dankend ab, vermutlich, weil sie keine Ahnung haben, worüber sie da reden sollten. In einem Fall wurde einer Dreadlockträgerin statt eines Gesprächs angeboten, sie nicht zu canceln, wenn sie sich die Haare abschneide. Um ein Angebot und nicht etwa um versuchte Erpressung handelte  es sich deshalb, weil die Dreadlockträgerin weiß ist.

(Das funktioniert übrigens nicht nur mit Haaren. Das Internet weiß zu berichten, dass das Modehaus Chanel sich schon vor Jahren eine Rüge holte, weil jemandem auffiel, dass Chanel teure Bumerangs verkaufte. Alle Bumerangs gehören aber den Aborigines und dürfen nicht für viel Geld von Unternehmen der Dominanzkultur verkauft werden. Oder so ähnlich. Ob es für Dominanzfirmen okay ist, Schier zu verkaufen, harrt der Klärung, stammt doch der älteste Schifund aus einer heutigen russischen Teilrepublik, die vom finno-ugrischen Volk der Komi besiedelt ist, und so manches finno-ugrische Volk wurde schon ganz schön heftig diskriminiert, also vielleicht doch besser snowboarden, wenn man woke bleiben will.)

Schritt 4: Alle, wirklich alle posten, dass sie das doof finden. Der Veranstalter legt Wert darauf, dass die Geschichte nichts mit Cancel-Culture zu tun habe, und der Dreadlockfall ist erledigt bis zur nächsten Buchung eines Künstlers mit Spinne am Kopf.

So, das hätten wir geklärt.

Rätselhaft ist, was das Ganze soll. Euer Zweckdichter war zum Beispiel nie auf einem Konzert der Böhsen Onkelz (schon gar nicht, als diese noch offiziell böse waren), weil er sich dabei wahrscheinlich nicht gut fühlen würde, ebensowenig wie bei, puh, Kerstin Ott oder Ross Antony. Es würde unsereinem aber nicht einfallen, deshalb eine Absage der Konzerte zu erwarten. Jaja, ich weiß schon, ist ganz was anderes, weil „kulturelle Aneignung“.

Wisst ihr was? Heben wir uns die kulturelle Aneignung für nächste Woche auf, das wird interessant. Bis dahin legen wir allen Konzertveranstaltern ans Herz, sich ein aktuelles Porträtfoto schicken zu lassen, ehe sie jemandem einen Auftritt versprechen.

Schönes Wochenende!

 

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