Freitag, 11. August 2023

Unsichtbare Konzertbesucher

 

Habt ihr, o trendbewusste Lesehäschen, euren Barbenheimer schon absolviert? Natürlich, und gewiss was Pinkes dabei getragen, wie es sich gehört! Man ist ja in diesen nachcoronesken Zeiten (erinnert sich eigentlich jemand an die Pandemie? Ihr wisst schon: Das, weshalb wir jetzt alle Teams verwenden) immer dankbar für Erlebnisse, die man mit Wildfremden teilen kann, und kultisches Kinogehen ist dafür ideal.

Nicht ganz so ideal sind anscheinend kultische Konzertbesuche. Bestand der größte gemeinsame Nenner (nicht etwa der kleinste, denn dieser existiert nicht – soviel zum heutigen Bildungsauftrag) unter Stadiongig-Adepten früher im kollektiven Abhotten zu den Hits der Stars, so ist diesbezüglich mittlerweile Vorsicht geboten. Denn obgleich sich niemand mehr so recht erinnern kann, was zwischen März 2020 und dem vergangenen Frühling genau los war, juckt die verlorene Erinnerung wie ein amputiertes Bein. Euer Ergebener hat aus verlässlicher Quelle erfahren, dass zum Beispiel bei Harry Styles im Happelstadion nix mit verschwitzten Körpern war, die selbstvergessen in der Abendsonne zuckten. Vielmehr galten hier die strengen Regeln von your dance space – my dance space, die wir einst von Jennifer Grey und Patrick Swayze gelernt haben. Die Liebe, die Harry stets und löblicherweise predigt, erstreckt sich nicht bis zum Verständnis für die Körperlichkeit des Nebenmenschen. Die Gewährsperson des Zweckdichters tanzte nämlich mirnixdirnix mit, als gäbe es kein Morgen. Dann erfuhr sie, was auf den Bildern vom Konzert zwischen den ixtausend Besuchern nicht zu sehen war: Die ixtausend Babyelefanten dazwischen. Denn schon nach kurzem Hopsen stupste ihre Nebenfrau sie an und ersuchte, sie doch bitte nicht zu berühren.

Zufällige Berührungen in einer Menge sich rhythmisch Bewegender sind also nicht mehr angängig. Bei näherem Hinsehen ist das kaum verwunderlich, weil das mit der Menge und dem Rhythmus schon nicht so ganz hinhaut. Sobald nämlich der Star loslegt, filmen alle drauflos. Natürlich ohne Shaken, man will ja keinen verwackelten Mitschnitt haben. So stehen Tausende mit gerecktem Arm stocksteif da und begehen gemeinsam, aber distant im Namen allseitiger Verständigung einen Reichsparteitag der Populärmusik, um später ein Video auf TikTok zu stellen, das genauso aussieht wie zehntausend andere Videos auf TikTok, um einander nachher zu versichern, wie super es war.

Solche Erlebnisse sind für Menschen ab 40 ganz schön Demolition Man. Ihr wisst schon: Jenes großartige Werk, in dem Herr Stallone aus dem Kälteschlaf erwacht und feststellt, dass mittlerweile niemand mehr Schimpfwörter verwendet, Fleisch isst oder Sex hat. Wer es nicht kennt, gönne sich zwei unterhaltsame Stündchen!

Erfreulicherweise hat auch das Zweckdichterbalg erkannt, dass kein Unterschied zwischen den 10.000 ohnehin verfertigten Videos und dem 10.001., selbstgemachten bestünde, und hat deshalb aufs Mitfilmen verzichtet. Gerade die kleinen Dinge machen die geglückte Aufzucht so erfreulich. Schönes Wochenende!


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