Die Caritas, o mildtätige Lesehäschen, sucht aktuell per Plakatkampagne eine*n „Pressesprecher*in für Armutsbetroffene“. Das ist erstens ein löbliches Unterfangen und erinnert zweitens an die hieramts am 13. März 2020 (hach, da war doch noch irgendwas!) behandelte Frage, warum man von manchen Fährnissen „betroffen“ ist und von anderen nicht. Schon damals stieß uns auf, dass man dieser Tage zwar nicht arm ist, sondern allenfalls armutsbetroffen, jedoch niemals reichtumsbetroffen, sondern reich. Das mutet inzwischen noch unfairer an. Die „Betroffenheit“ will ja vermutlich sagen, dass die Armen nichts dafür können, während die Reichen selber schuld sind.
Euer Ergebener hat den Eindruck, dass die Sprachregler in Sachen Betroffenheit sich damit als Opfer des einen oder anderen Trickbetrugs empfehlen. Denn die Antwort auf die Frage, wie gestandene Geschäftsleute auf solche Schlingel hereinfallen können, liegt laut David Maurer, der vor bald 100 Jahren das entsprechende Buch (The Big Con, Empfehlung, Bildungsauftrag erfüllt) geschrieben hat, oft darin, dass sich erfolgreiche Menschen einen zu großen Anteil an ihrem Erfolg zuschreiben. Weil sie meist an die Richtigen geraten sind, halten sie sich für Menschenkenner, während wir weniger Erfolgreichen wissen, dass zum Erfolg auch Glück gehört. Man muss hinzufügen: ebenso, wie zum Armwerden Pech gehört. Dass einer reich ist, beweist keineswegs, dass er irgendwas draufhat, sondern nur, dass er mehr Kohle hat als unsereins. Wer also den den Armen die Betroffenheit zugesteht, während er sie den Reichen versagt, behauptet damit, dass Letzere mehr Einfluss auf ihr Schicksal hätten als Erstere. Tatsächlich ist der durchschnittliche G’stopfte ebenso jungferngeburtlich vom Reichtum betroffen wie der durchschnittliche Notleidende von der Armut. (Von der Erbengeneration haben wir da noch gar nicht angefangen. Mark Mateschitz hat nichts dazu beigetragen, dass sein Vater mit Gummibärchenplörre Milliarden gescheffelt hat. Frau Engelhorn, die bekanntlich sehr dafür ist, Erbinnen wie sie kräftig zu besteuern, hat sich nicht ausgesucht, dass ihr Ururgroßvater BASF mitbegründet hat und ihr Großvater bei Boehringer wichtig war.) Man möchte fast sagen: Irgendwie sind alle von allem betroffen, weil niemand komplett dafür verantwortlich zu machen ist, wie es ihm geht. Könnte man sich also das „-betroffen“ gleich schenken? Das möge die Nachwelt entscheiden.
Weil wir schon dabei sind: Kann mir jemand den Unterschied zwischen einem Zustand, einer Betroffenheit und einer Opferrolle erklären?
Aktuell scheint es nämlich so zu sein:
Attribute, die genetisch bedingt sind oder zumindest sein könnten (Hautfarbe, sexuelle Orientierung, aber auch Übergewicht oder Deppertsein) sind einfach. Man ist weiß, trans, bodypositiv und so weiter.
Von Dingen, für die „die Gesellschaft“ verantwortlich zu machen ist (Armut, geringer Bildungsstand), ist man betroffen, vorzugsweise dann, wenn das entsprechende Fährnis als unerfreulich gilt (siehe Reichtum).
So weit, so gut.
Wenn ein Unwetter dein Haus abtransportiert oder die Hitze deine Ernte vernichtet, bist du ein Opfer (ein Unwetteropfer, ein Opfer der Klimakatstrophe, whatever).
Seltsamerweise bist du aber ein Unfallopfer oder ein Diskriminierungsopfer, wenn dich einer über den Haufen fährt oder unterbuttert, weil er seinerseits deppert ist. Ist es nicht seltsam, dass wir die gleiche Rolle übernehmen sollen, wenn uns der Blitz trifft wie wenn uns ein Nazidepp prügelt? Mir scheint das ungerecht gegenüber den Blitzen. Schönes Wochenende!
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