Freitag, 27. März 2015

Zu Ehren von Det.Lt. Roger Murtaugh


Kürzlich hatten wir an dieser Stelle das Thema „Altern“. Nun haben einige von uns die Lebensphase der eigenen Unsterblichkeit bereits hinter sich gelassen und wissen, dass Altern nicht unbedingt schlecht ist. Jungern wäre ja jetzt auch nicht so der Burner, siehe Benjamin Button. Altern ist außerdem unausweichlich (bzw. ist die einzige realistische Alternative erst recht kein Burner), sodass es doppelt gut ist, dass es nicht unbedingt schlecht ist. Man sammelt Erfahrungen, lustige Sachen, Bücher und vielleicht irgendwann sogar richtig brauchbare Snowboard-Skills. Das alles braucht Zeit, und dabei wird man älter. Total o.k., wenn ihr mich fragt.

Allerdings, da gibt es nichts zu beschönigen, hat Altern noch ein zweites Gesicht. Mit zunehmendem Alter begegnen einem immer wieder mal Dinge, die man erst einmal derpacken muss. Da rede ich jetzt nicht davon, dass die Handys heute so viele Funktionen haben, oder dass sich mir der Reiz von Foursquare nie erschlossen hat oder dass die Musik so laut ist. Obwohl, ist sie manchmal, aber bitte. Wer’s mag.

Nein, heute rede ich von einem Phänomen, dass mir in früheren Zeiten fremd war: Weniger-ist-mehr-Service, d. h. frohgemut und wiederholt Lokale besuchen, in denen man mehr dafür bezahlt, dass man objektiv weniger geboten kriegt. Zum Beispiel gibt es einen Laden (ich nenne keine Namen, aber wenn man im Anzengruber keinen Platz findet und eine entspannte Rechts-Links-Kombination durchschlendert, ist man nach höchstens zehn Minuten dort, selbst wenn die Gelenke nicht mehr so mitmachen), wo urbane junge Menschen, die immer einen Finger am Puls der City haben, zwischen Fahrrädern an ihrer Diplomarbeit schreiben. Wenn sie ihr Tagwerk beendet finden, bestellen sie ein Bier. Der hipstberbärtige Servierkörper bringt darauf alsbald eine Flasche Bier der gewählten Sorte und stellt diese unaufgefordert auf den Tisch. Irgendwann ist es dann Zeit für den Heimweg. Vorher merkt man, dass die Flasche Bier vier Euro zwanzig kostet, ohne Trinkgeld. Und ohne Glas.

Man verstehe mich nicht falsch: Ich trinke umstandslos Bier aus Flaschen. Ich habe sogar schon Bier aus Dosen getrunken, ungelogen wahr! Wie oft schon habe ich mir ein Bräustangerl aus dem Kühlschrank geschnappt, abgekapselt und dann zisch ohne Umwege. Gelegentlich habe ich mir so eine Rüge von der Gattin eingefangen, obwohl außer uns keiner da war. Wir waren nämlich zu Hause. 

In einem Lokal aber, zumal in einem Lokal mit Tischen und Sitzgelegenheiten, zumal in einem Lokal mit Tischen, Sitzgelegenheiten und Servierpersonal, zumal in einem Lokal mit Tischen, Sitzgelegenheiten, Servierpersonal und Flaschenbier im Gegenwert einer Bruttostunde Arbeit in meinem ersten Ferienjob – in einem solchen Lokal fühle ich mich verarscht, wenn ich ein Glas nicht einmal dankend ablehnen kann. Ob dieses Gefühl des Verarschtwerdens geriatrisch bedingt ist, will ich nicht beurteilen. Aber künftig trinke ich nach Möglichkeit wieder im Anzengruber.

Freitag, 20. März 2015

Umgangssprachlich


Hoch zu verehrende Lesehäschen, es ist mir zu meinen Langohren gekommen, dass es in der Welt Uneinigkeit gibt. Die einen finden die Beatles besser, die andern Justin Bieber. Die einen wollen Frauen nicht autofahren lassen, die andern gehen nur mit Radfahrern aus. Die einen essen Gulasch, die andern würden gern. Die einen wissen, was „umgangssprachlich“ bedeutet, die andern nicht.

Deshalb hier, als kleine Hilfestellung, ein Leitfaden zur Identifikation von „Umgangssprache“.

1. Würde deine Mudda das so sagen?

Kommt natürlich sehr auf deine Mudda an. Wenn deine Mudda sich so schreibt, spricht sie wahrscheinlich fließend Umgangs. Wenn hingegen deiner hochverehrten Frau Mutter, die alle vier Wochen den Lesekreis bei sich willkommen heißt, „Zum Wohlsein“ sagt, wenn jemand niest, und sonntags im Pfarrcafé Kuchen reicht, zufällig und aus purer Verzweiflung ein „zu dumm aber auch“ auskommt, weil ihr die Spitzenklöppelarbeit in den Lindenblütentee gefallen ist – dann hat das mit Umgangssprache nichts zu tun. Weil ja alle unsere Mütter klöppeln, ergibt sich die Faustregel: Wenn deine Mutter es sagen würde, ist es wahrscheinlich nicht Umgangssprache.

2. Hast du es in Heute gelesen?

Falls ja, dann ist es nicht umgangssprachlich. Heute erscheint in einem Idiom, das von hochbezahlten Experten eigens dafür geschaffen wurde, nicht der Kommunikation zu dienen, weil es nämlich zwar Heute-Leser gibt. Dieses Grüppchen ist jedoch statistisch so unerheblich, dass es sich nicht lohnt, dafür eine Zeitung (schon gar eine kostenlose) herauszugeben. Viel wichtiger sind die Bilder-in-Heute-Anschauer. Damit die das Gefühl haben, eine Zeitung zu sich genommen zu haben, gibt es rund um die Bilder Grauwert auf Heutisch, der nach dem Zufallsprinzip abgesetzt wird, aber nichts besagt und daher auch nichts mit Umgangssprache zu tun hat.

3. Reden die Herrschaften in der Zentrale (Design und Produktion) oder in Sektion D/Digitalien normalerweise so?

Dann ist es auch nicht umgangssprachlich, sondern noch viel schlimmer. Gewöhne dir das bloß nicht an, und wasch dir gleich die Ohren mit Seife aus! Am besten auch den Mund, wo du schon du dabei bist. Und ein Glas Wasser könntest du mir auch mitbringen.

4. Hast du es in einem Foldertext von mir gelesen?

Dann war es höchstwahrscheinlich nicht umgangssprachlich. Ich bemühe mich da, echt Leute! Es sei denn, es handelte sich um einen Folder, in dem es konzeptionell Sinn ergäbe, dezidiert umgangssprachlich zu formulieren, Oida.

5. Geht es um den Satz „Der ganze folgende Prozess findet beim Musterunternehmen statt.“?

Nein, der ist nicht umgangssprachlich. Wenn du das Gefühl hast, er sei es, dann liegt es ganz allein an dir. 

Ich hoffe, damit gedient zu haben.

Schönes Wochenende!

Freitag, 13. März 2015

R.I.P.


Meine lieben Lesehäschen, wie ich gerade erfahren habe, ist Terry Pratchett nicht mehr. Ich finde das zutiefst betrüblich. Deshalb nutze ich die heutige Kolumne, um seiner zu gedenken, wie es angemessen scheint:

in ehrlicher Enttäuschung über die Beschaffenheit unserer Welt, weil selbst er sie verlassen musste;

in Dankbarkeit für zahllose Stunden, die viele von uns in seinen Büchern verbracht haben;

in egoistischem Ärger darüber, dass nie mehr ein neuer Pratchett erscheinen wird;

in Bewunderung für die wundervolle Mischung aus Fantasie, Witz und Menschlichkeit, um die er unsere Leben reicher gemacht hat;

und natürlich ein bisschen neidisch. Denn Sir Terry weiß jetzt, ob der Tod wirklich in Kapitälchen spricht.

A’tuin die Große wird weiter durchs All schwimmen. Doch das All ist nicht mehr dasselbe.

Freitag, 6. März 2015

Wie man’s spricht


Soll man schreiben, wie man spricht? Ja, aber nur, wenn man auf Leser aus ist, die in der Zuhörerecke besser aufgehoben wären. Solange es bloß um Orthographie (veraltet für: Rechtschreibung) geht, passiert ja noch nichts Aufregendes. Lebenserfahrung und Sprachgebrauch können einen durchaus in die richtige Richtung schubsen, wenn einen beim Tippen plötzlich der Zweifel befällt. Karussell schreibt man vorne einfach und hinten doppelt, weil einem vorher nicht schwindlig ist. Das leidende „Quö’ mi net“ schreibt man natürlich „mit q wie Quandbiaschtn“. Mein zweiter Nachname hat, wie man’s spricht, ein Din wie Dinavier und einen Hobel ohne e.

Genauso eindeutig, nur andersrum, ist es mit der Satzstellung. Wer einmal eine 1:1-Transkription ungeprobter menschlicher Rede gelesen hat, weiß: Das hat nur bedingt mit Kommunikation zu tun. Da laufen Nebensätze ins Leere, Prädikat und Subjekt passen nicht zusammen, und von den vielen Füllgrunzern wollen wir gar nicht anfangen.

Dazwischen gibt es, wie meist, die Grauzone, die uns diese Woche wieder einmal zu schaffen gemacht hat. Nämlich hat sich irgendwo in einer Korrekturschleife auf Seite 2 das Wort „berät“ eingeschlichen, wie in „er berät“. Also, beinahe. Eingeschlichen hat sich „er beratet“. Gut, dass wir das noch gemerkt haben. Aber warum eigentlich?

Denn schließlich heißt es ja: 

ich lenke – er lenkt

ich verschwende – er verschwendet

Für die 3. Person kommt noch ein t hintendran, und wenn das schwierig auszusprechen ist, schieben wir ein Fugen-e dazwischen.

Funktioniert immer wieder, auch wenn die Wortwurzel auf -t endet:

Ich warte – er wartet

Ich spalte – er spaltet 

Warum also nicht „er beratet“ (wohl aber „ihr beratet“)?

Ehrlich gesagt, weiß ich es auch nicht. 

Ich vermute aber, dass es mit der Regelmäßigkeit bzw. Unregelmäßigkeit des Verbs zu tun hat. Bei schwachen (also regelmäßig zu konjugierenden) Verben wie verschwenden, warten oder spalten haben wir einfach keine andere Wahl als die 3. Person Singular regelmäßig zu bilden. Das geht aber auf Kosten der Eindeutigkeit. Denn die sieht dann genauso aus wie die 2. Person Plural: „er mietet – ihr mietet“, „er bereitet – ihr bereitet“ (uns einen unvergesslichen Empfang).

Manche (vielleicht alle?) starken Verben hingegen bieten der Sprache eine Möglichkeit, zwischen diesen beiden Anwendungen zu differenzieren. Denn bei starken Verben changiert der Wortstamm nicht erst in der Mitvergangenheit, sondern schon in der 2. Person:

Schwach:

Ich spalte – du spaltest – ich spaltete

Aber stark:

Ich berate – du berätst – ihr beratet – ich beriet

Oder auch:

Ich gelte – du giltst – ihr geltet – ich galt 

Anscheinend macht die Sprache wie von selbst von der Chance Gebrauch, ein Alzerl klarer und eindeutiger dazustehen. Sie besteht darauf, nach Möglichkeit den Unterschied zwischen dir und euch zu klären: berätst – beratet und giltst – geltet 

Damit ist es wieder Zeit für ein Leberkässemmelprojekt, das aber diesmal einigen Rechercheaufwand erfordert: Tritt dieses Phänomen bei allen starken Verben auf, deren Wortstamm auf –t endet?

Besten Dank, und schönes Wochenende.