Freitag, 31. Juli 2015

KISS


Man soll ja angeblich nicht „Oida“ sagen. Warum, das konnte mir bis jetzt keine so recht erklären. Ich finde ja auch, dass „Oida“ etwas Ungehöriges hat. Ich weiß aber nicht, warum es mir so geht. Doch zu „Oida“ hat immerhin nicht nur jede eine Meinung (mich eingeschlossen), es hat auch jede ungefähr die gleiche Meinung. Soll heißen: Selbst wer behauptet, dass man ruhig „Oida“ sagen darf, ist deswegen noch lange nicht der Meinung, dass zum Beispiel das eigene Kind auch „Oida“ sagen dürfe. Heuchler!

(Als Fleißaufgabe dürft ihr euch überlegen, warum ich gerade eben einmal „darf“ und einmal „dürfe“ geschrieben habe. Ich ahne den Grund. Jedenfalls fühlt es sich richtig an.)

Damit zum eigentlichen Thema unserer heutigen Sendung: Wie ist das mit Abkürzungen? Spricht ein ordentlicher Mensch sie als Folge von Einzelbuchstaben oder als Wort? Hat also „SPÖ“, geraden Rückgrats gesprochen, eine Silbe mehr als „Freundschaft“ oder eine weniger? Bei „bzw“ oder „WTF“ lautet die Antwort recht einfach „weder noch, Oida!“. So etwas löst man einfach auf und sagt „what the fuck“ beziehungsweise „beziehungsweise“.

Bei „ABGB“, „MfG“ oder „RGB“ will sich natürlich niemand die Zunge verknoten. Die heißen eben „Abegebe“ undsoweiter. Dass es bei „CMYK“ anders ist, wissen wir ja aus täglicher Erfahrung. Könnte am Ypsilon liegen.

Nun gibt es aber auch Abkürzungen, deren Wortreiz man kaum widerstehen kann: Sie betteln förmlich darum, wie echte Wörter ausgesprochen zu werden. Orf zum Beispiel ist so eines, vor allem, wenn man das eine oder andere Orfloch kennt. Oder Dinks.

Ganz zu schweigen von Milf. MILFs sind, wie kürzlich in der Zeit zu lesen war, „keine Prinzessinnen. Sie sind Königinnen.“ Und es gibt bestimmt niemanden, der „EM I El Ef“ sagt, wenn er MILF meint.

Und schließlich gibt es die ganz interessanten Abkürzungen, die, über die wir uns nicht einige werden können. „Wipp“ oder „Wi Ei Pi“? „Es Ju Wi“ oder „Suff“? Ich will mich da nicht aufspielen, das kann jede halten, wie sie will. Wer sich auf die Suche nach der Antwort machen will, dem gebe ich aber noch eins mit auf den Weg: Offensichtlich sind Abkürzungen ohnehin so etwas wie Wörter, auch dann, wenn wir sie in Einzelbuchstaben sprechen. Warum sonst gäbe es „LKWs“, obgleich die Mehrzahl von „Lastwagen“ kein s hat? Soviel für heute. Die einen sagen „Oida“, die andern „O I De A“. Vielleicht haben sie Kinder.

Freitag, 24. Juli 2015

Heute mehrgelesenst


Nach dem überwältigenden Echo auf die beinharte Cannes-Protestkolumne vom letzten Freitag – Morddrohungen! Waschkörbe voller Fanpost! Kopflose Nacktfotos in meiner Inbox! – widmen wir uns heute einem weniger kontroversen Thema, bei dem nicht zu befürchten ist, dass ich deswegen von der Anonymität in die D-Prominenz wegkippe. Der Alkohol, das Dschungelcamp, die Drogen zweifelhafter Herkunft, dann womöglich ein Werbedeal für Antifurzjoghurt oder Treppensteigen – für all das bin ich zu alt, fürchte ich.

Deshalb erstens: Warum Waschkörbe? Sollten es nicht eher Wäschekörbe sein? Das Deutsche Wörterbuch und der Duden kennen beide Formen. Mir leuchtet der „Wäschekorb“ jedoch eher ein, lässt sich in einem solchen Ding doch nicht nur Wäsche transportieren, die einen Waschgang dringend nötig, sondern auch solche, die ihn bereits hinter sich hat. Ich schätze, die „Waschkörbe“ sind nur deshalb populärer als die „Wäschekörbe“, weil sie die hatscherte Wiederholung von Umlaut + e vermeiden.

Genug davon, und mit Schwung zu einer anderen Frage: Schluckt ihr im Lesefluss auch immer Wasser, wenn in einer Zusammensetzung aus Adverb und Partizip das Partizip gesteigert wird und nicht das Adverb?

WTF? Wie viel ist das in Schilling?

Okay, ein Beispiel: Lukas ist ein gutaussehender Designer. So weit, so wahr, so klar. Nun nehmen wir an, es gebe keinen Designer, der besser aussieht als er. Wer weiß. Ist er dann der gutaussehendste Designer? Oder der bestaussehende? Ihr, meine mir so teuren Lesehäschen, quiekt natürlich im Chor „der bestaussehende, eh klar, Oida!“. Deshalb seid ihr mir ja auch so teuer. Aber da draußen im schlecht beleuchteten Wald gibt es so manches Geschöpf, das sich gar nichts daraus macht, dass einer der bestaussehende Designer ist. Es nennt ihn einfach „gutaussehendst“ und verschlingt ihn mit Haut und Haar. Auch wenn eine wirklich viel herumgekommen ist, finden gar manche, sie sei „eine der weitgereistesten Autorinnen“ anstatt „eine der weitestgereisten“.

Das Problem liegt nicht in der Steigerung eines Partizips an sich. Zum Beispiel kann dein Kind verwöhnt sein, meines hingegen verwöhnter. Und wenn dein Argument sehr gut ist, ist es ein schlagendes Argument, vielleicht sogar das schlagendste Argument, was weiß man. Die entscheidende Frage ist natürlich, worum es geht. Wenn du in den großen Ferien mit deinen Eltern in Kärnten warst, dein unsympathisch verwöhntes Balg von Cousine hingegen in Thailand, dann ist sie nicht gereister als du, sondern eben weiter. Also, weiter gereist natürlich. Das schönste Beispiel liegt uns ausgeschlafenen Werbehasen ohnehin auf der Hand. Wissen wir doch, dass es nicht nur ums Verkaufen geht, sondern darum, mehr zu verkaufen. Das ist halt im Kapitalismus so. Und wenn einer ein tolles Produkt hat und eine ursupere Werbung, dann wird das Produkt bestimmt nicht das vielverkaufteste. Sondern mit Glück das meistverkaufte. Darauf könnt ihr einen Waschkorb wetten.

Freitag, 10. Juli 2015

Cannes-Edition


Das diesjährige Werbefestival in Cannes war für mich einschneidender als ich gedacht hätte. Denn ich muss mich von einem alten Freund verabschieden, dem bisher unglaublichsten Gewinner eines Filmlöwen: In jenem japanischen Spot aus den frühen 90er Jahren warb eine sehr fröhliche Robbe für Toiletten, die, typisch Japan, alle Stückeln spielten.
Das war einmal. Seit Cannes 2015 ist der unglaublichste Gewinner in der Kategorie Film dieser Nike-Spot, und wer ihn noch nicht kennt, ist herzlich eingeladen, ihn sich jetzt anzuschauen. 

Na? War euch so fad, dass ihr (falls männlich) euren Bart wachsen gespürt habt? Mir schon. Wenn ihr mich fragt, dauert der Spot subjektiv so lange, wie man braucht, um eine warme Mahlzeit aus frischen Zutaten zu kochen, diese zu verzehren und danach auf der Couch zwei Kapitel aus einem guten Buch zu lesen oder. Dieser Spot, und ich sage das als einer, der über die Jahre mehrere hundert Cannes-Spots gesehen hat, ist der langweiligste Filmlöwengewinner, der mir je untergekommen ist.

Nun interessiert mich natürlich, warum er gewonnen hat. Den kindischen Erklärungsversuch, dass die Juroren doof waren, lassen wir beiseite. Die anderen Gewinnerspots sind ja tipptopp. Was hat die Jury daran überzeugt?
Mal sehen: Kleiner Junge ist ein Fan von einem total tollen Sportler. Strengt sich vollrohr an, auch ein toller Sportler zu werden. Schafft es irgendwann, gemeinsam mit dem noch tolleren älteren Sportler zu sporteln.
Just do it.
An der Story kann es nicht liegen. Ich lasse mich gerne von Menschen mit Cannes-Jury-Erfahrung korrigieren, aber ich hoffe sehr, dass Storys von diesem Kaliber normalerweise aus dem Bewerb fliegen, ehe die Juroren dasselbe nach Cannes tun.
Am Star kann es auch nicht liegen. Es hat schon jede Menge Spots mit Stars gegeben, die keinen Löwen bekommen haben.
Es kann nur daran liegen, dass die Story anscheinend wahr ist. Den jungen Profigolfer Rory McIlroy gibt es wirklich. Es hat ihn ganz bestimmt viel Mühe gekostet, Profigolfer zu werden. Und es mag wohl sein, dass er Tiger toll findet.
Also imitiert das echte, wahre Leben die Kunst. Wie geil ist das denn? Dafür hat das Leben eine der höchsten Auszeichnungen verdient, die die Kunst zu vergeben hat. Denn wahr ist ja bestimmt noch besser als gut erfunden, oder?
Ich finde: oder.
Denn erstens mal ist Werbung keine Kunst. Auf diesen Unterschied lege ich als Werbetexter wert, und ich bin sicher, dass jeder Künstler mindestens ebenso großen Wert darauf legt.
Zweitens haben Kunst und Werbung trotzdem etwas gemein: Beide gibt es in gut und in eher mau. Wird eine abgegriffene Geschichte in der Werbung besser, weil das Leben sie mir schon vorher erzählt hat? Wohl kaum. Das ist der Schmäh, mit der uns Verlage seit Jahrzehnten True-Crime-Wälzer anzudrehen versuchen, und die traurige Mechanik, mit der Guido Knopp im Historiker-Business bleibt, auch wenn der hermeneutische Mehrwert fadenscheiniger ist als die Kreditwürdigkeit eines griechischen Heiratsschwindlers. Wahrheit ist wichtig, aber ich finde es gefährlich, wahr mit relevant zu verwechseln. 

Deshalb bitte, liebes Cannes: Flunkere mir nächstes Jahr wieder was Lässiges vor. Wahr ist auch das Telefonbuch. Aber wenn ich mich auf meine Toilette mit klimatisierter selbstreinigender Brille und HD-Empfang zurückziehe, nehme ich mir garantiert was Spannenderes mit.

Ach ja, Penny Arcade haben auch eine Meinung zu Rory