Freitag, 2. Dezember 2016

Tarnkappe

Verehrte Lesehäschen, gerne stelle ich mir vor, wie ihr euch allfreitäglich die BamF reinpfeift, andächtig, frisch gewaschen, und überhaupt so, wie gut euch schuf: mit nichts als eurem Lesehäschenfell an. Denn Lesehäschen sind reinen Herzens, da darf man ruhig das Fell sehen und sich nichts dabei denken.
Dass das nicht so sein muss, wissen wir. Gern wird in letzter Zeit über verhüllte Frauen diskutiert, und da reden wir nicht vom Kopftuch, sondern von der Tschador-Niqab-Kombi, für deren Trägerinnen ein Freund vor vielen Jahren den ebenso bild- wie boshaften Ausdruck „Barbapapas“ geprägt hat. Das ist nicht nur leichter zu merken als die Unterschiede zwischen Hidschab, Tschador, Niqab und Burka. Es gibt uns auch einen Hinweis auf die semantische Schlüpfrigkeit, die sich eine anwesende, aber unsichtbare Person anverwandelt, aber davon später. Denn die verhüllte Frau ist ja nicht nur verhüllt, wenn sie dir auf der Straße begegnet, sondern auch, wenn du sie zum Beispiel interviewst, mit ihr eine Proseminararbeit schreibst oder über das korrekte Ankreuzeln bei der Wahl des Bundespräsidenten diskutierst. Nur diskutierst du nicht mit ihr, sondern mit einer sprechenden Stoffbahn. Ohne Mimik und mit wenig Körpersprache.
Katholiken meines Jahrgangs erinnern sich an die Beichtstühle von einst, mit dem Sichtschutz zwischen Beichtkind und –vater. Keiner sollte das Gesicht des andern so genau sehen. Das Gespräch mit einem verhüllten Menschen stelle ich mir genauso vor, nur halt einseitig: für dich ein Telefonat, für die Verhüllte ein Gespräch zu Angesicht (aber eben nicht von).
Natürlich hat dieser unfaire Vorteil den Nachteil, dass er dem Gegenüber von vornherein klar ist und man es daher möglichst vermeiden wird, sich mit verhüllten Menschen auf eine Diskussion einzulassen, in der es um etwas geht. Wenn es aber einmal so weit ist, dann verleiht so eine Tarnkappe bestimmt Superkräfte. Kampfrhetorik ist nur so stark, wie der Kampfrhetor seinen Gegner lesen kann. Kurz gesagt: Hätte van der Bellen sich vor jenen Diskussionen, an die wir so ungern zurückdenken, rechtzeitig eine Burka übergestülpt, dann hätte Nobsi bestimmt dumm aus der Wäsche geschaut.
Merkwürdig scheint mir auch die Logik der Verhüllung: Die Vollverschleierung, darüber sind sich alle einig, ist ein Mittel der Unterdrückung. Zwar dient sie vordergründig dazu, die Frau vor der unkontrollierbaren Sexualität der Männer zu schützen (die die Frau, mit deren unverborgenen Reizen konfrontiert, umstandslos bespringen würden). Damit geht aber natürlich einher, dass die Frau aus der Öffentlichkeit entfernt wird, die den Männern damit allein bleibt. Die Verhüllung ist also politisch, doch ebenso politisch kann, mit umgekehrtem Vorzeichen, die Enthüllung sein: Während die islamische (oder, wenn man Fachleuten glauben darf, unislamische) Verhüllung dem Schutz der Frau vor dem hemmungslosen Mann dienen soll, befreite frau (hier einmal unverzichtbar!) sich in den 70ern vom BH und entsorgte damit auch gleich ihren Objektcharakter als Lustziel des Mannes, der ein Stimulans vertragen konnte, um sexuell in die Gänge zu kommen, har-har. Ob frau sich die Burka über- oder den BH wegwirft – in beiden Fällen wird dem Begehren des Hodenkartells getrotzt. Politik, scheint mir, ist echt kompliziert, und Kleidung auch. Sogar Burkas sind komplizierter als vermutet. Wusstet ihr, dass es Burkas nicht nur in Ist-dieses-Kleid-weiß-und-gold-oder-schwarz-und-Blau gibt, sondern auch in Gelb, Grün und Weißdergeier? Guckt ihr auf Amazon, kriegt ihr Bescheid.

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