Dass man älter wird,
merkt man anfänglich an erfreulichen Dingen (Mopedführerschein, legaler
Alkoholkonsum), später an lästigen (Ziepen im Rücken, zunehmende
Fehlsichtigkeit, sich öffnende Schere zwischen Ehrgeiz und Karrierezufriedenheit)
und schließlich an kleinen, aber grundlegenden Verschiebungen. Ich spreche
nicht davon, dass der Zeigefinger bei der Bedingung eines Mobiltelefons wieder
wichtiger ist als der Daumen, oder dass man mehr streamt und sich weniger auf
die Programmkompetenz der Fernsehkapazunder verlässt. Das ist nachvollziehbar
und ergibt sich aus den geänderten technologischen Umkuschelungen. Nein, ich
spreche zum Beispiel vom Aufstieg der Sockette,
a.k.a. „Sneakersocke“. Die schleichende
Welteroberung durch die Sneakersocke ist ein Beispiel für eine Änderung, die
stattfindet, ohne dass jemand sagen könnte, warum eigentlich, sodass man
resigniert den Kopf schüttelt und sich ein kleines, aber entscheidendes
Bisschen älter fühlt. Früher trugen wir Socken, ohne uns Gedanken darüber zu
machen, warum eigentlich. Die nachrückende Generation trägt Socketten, und das offenbar ebenfalls
ohne überschießenden Hirnschmalzverschleiß. Denn theoretisch ist mir die
Sockette zugänglich. Ich verstehe, dass man Sneaker
ungern ohne Socken trägt, ich verstehe auch, dass es ästhetisch fragwürdig sein
kann, wenn aus dem Sneaker die Socken herausschauen, während die Hose ungefähr
auf Knieniveau endet, und erst recht verstehe ich den subtilen Reiz des lauen
Lüftchens, das in der warmen Jahreszeit die Knöchel umspielt. Aber was ist zu
anderen Zeiten? Was sagt es mir, wenn ich eines kühlen Februartages auf der
Rolltreppe stehe und vor mir vier Paar Teenagerknöchel sehe, die es sich
zwischen Hochwasserhose und Sneakerkante chillig
machen? Ist das gemütlich?
Wikipedia
will mir weismachen, dass die Sneakersocke in Halbschuhen getragen werde, „um nicht über diese hinauszuragen“. Genauso
gut könnte da stehen, dass ab sofort nur noch Bungalows gebaut werden, um nicht
„über die Büsche hinauszuragen“. Seit
wann ist „über etwas hinausragen“ schlecht?
In Dandykreisen gilt es noch heute als ungehörig, Socken zu tragen, die im
Sitzen bei übergeschlagenem Bein die Wade unterm Hosensaum hervorblitzen
lassen.
Ich vermute vielmehr ein Revival des viktorianischen Zeitalters. Denn wie man liest, war für gar manchen
damaligen Gentleman ein Hosentausch angesagt, nachdem er glücklich einen Blick
auf den Knöchel der Begehrten erhascht hatte. So geil waren Knöchel mal! Und
mir scheint, so geil sind sie wieder. Nur trifft sich die allseits beliebte Hypersexualisierung mit diesem
altgedienten Fetisch, sodass wir uns nicht nur vor Möpsen, sondern auch vor
Knöcheln nicht mehr retten können. Die Siebziger hatten ihre Strapse, die ihren
Reiz aus der Eben-nicht-Verhüllung dessen bezogen, was die Dame von Welt selbst
in der Zeit der BH-Verbrennungen nicht ständig herzeigte.
Heute ist jeder Quadratzentimeter auf Wunsch jederzeit
sichtbar. Auf der Suche nach fühlbaren Reizen retten die Zurschaustellung von
Körperteilen, deren Geilheit erst dadurch entsteht, dass wir uns bisher keine
Gedanken über sie gemacht haben. So bleibt uns statt des Strapses die
Bis-zum-Knöchel-Socke. Was ihnen in tausenden Clips auf einschlägigen Seiten
vorgeturnt wird, hüpfen Jungpersonen nach, weil sie glauben, das müsse so sein:
Entblößte Knöchel beiderlei Geschlechts, wetterunabhängig und standardisiert. Vor
130 Jahren war es ein sonderbares, aber hochgradig codiertes erotisches Spiel
mit Rocksäumen und Knöpfstiefeln. Heute ist es das ästhetische Bauernopfer
eines Trends, der uns möglichst viele Beinahesocken zu 5,90 im Fünferpack
andrehen will. Damen und Herren, Mädchen und Knaben, hört auf eure Mütter! Tragt
Socken, wenn euch unten friert!
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