Freitag, 17. März 2017

Wie man Juden gendert

Heute, liebe Ratehäschen, ist es Zeit für ein kleines Quiz. Keine Angst, eh nur Multiple Choice. Aufgemerkt nun also, wie Professor Unrat zu sagen pflegte! Welche der folgenden Formulierungen lehrt uns am meisten über die Probleme beim Gendern?
A: Bereits zuvor hatte Großbritannien mit der „Dienstbotenemigration“ zur Rettung von zumeist weiblichen 20.000 jungen Jüdinnen und Juden beigetragen.
B: Bereits zuvor hatte Großbritannien mit der „Dienstbotenemigration“ zur Rettung von 20.000 jungen Jüdinnen und Juden beigetragen, von denen die meisten Frauen waren.
C: Bereits zuvor hatte Großbritannien mit der „Dienstbotenemigration“ zur Rettung von 20.000 jungen Jüdinnen und Juden beigetragen, wobei die Jüdinnen deutlich in der Überzahl waren.
Kleiner Tipp: Der Originalsatz findet sich in der Broschüre zur aktuellen Ausstellung „Ich bin also nun ein anderer“, die sich mit dem Schicksal der jüdischen Bevölkerung des 4. Bezirks im Holocaust befasst. Leider ist die richtige Antwort A, und es tun sich zwei Möglichkeiten auf:
Entweder wollten die Autorinnen nicht nur den Juden, sondern auch den Jüdinnen offen lassen, ob sie sich als weiblich identifizieren, da der Satz ja nicht-weibliche Jüdinnen postuliert. (Ein boshafter Mensch könnte gar herauslesen, dass die Identifikation hin und wieder wechselt, da sie zumeist weiblich sind, aber nicht immer.) Dann stellt sich freilich die Frage, inwieweit das grammatische Femininum überhaupt fürs Gendern geeignet ist?
Oder die Autorinnen sind in dieselbe Falle getappt wie viele beflissene Gendererinnen vor ihnen, indem sie die Nennung beider Geschlechter als grammatisch gleichwertig mit der Einzelform auffassen, beziehungsweise die ausgeschriebene Nennung beider Formen als gleichwertig mit dem umstrittenen Binnen-I.
Das geht halt leider nicht. Vor der Sprache sind zwei Wörter immer zwei Wörter und nicht die bessere Version eines einzelnen Wortes. Der umgekehrte Fall wäre diskutabel: Bereits zuvor hatte Israel mit der „Dienstbotenemigration“ zur Rettung von 20.000 zumeist weiblichen BritInnen beigetragen, weil die BritInnen eben weiblich oder männlich sein können, während die Jüdinnen dank ihrer ü-Punkterln zumindest grammatisch immer weiblich sind.
Möglicherweise hatten die Autorinnen das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt, und haben deshalb die „20.000“ zwischen weiblichen und Jüdinnen geschoben, wo die Zahl eigentlich nichts verloren hat, damit die beiden widerstreitenden Gedanken auf Distanz bleiben. Wahrscheinlicher ist aber leider, dass den Autorinnen das Forschen mehr liegt als das Formulieren. Der nächste Satz lautet nämlich: Diese kamen als HausgehilfInnen bei britischen Familien unter und stammten zu etwa einem Drittel aus Österreich. Heißt also: Eine solche Hausgehilfin hatte im Durchschnitt z. B. eine österreichische Mutter, eine österreichische Großmutter und zwei österreichische Urgroßeltern, während die übrigen VorfahrInnen aus anderen Ländern stammten.
Ist natürlich Blödsinn. Gemeint ist: Diese kamen als HausgehilfInnen bei britischen Familien unter; etwa ein Drittel von ihnen stammte aus Österreich.
TL, DR: Wenn jemand eine gute, sinnvolle, praktikable Lösung fürs Gendern hat, dann bitte her damit. Solange uns die Genderpraxis von Texten über den Holocaust ablenkt und uns Gedanken über das Dasein männlicher Jüdinnen in den Kopf setzt, sind wir aber eindeutig nicht soweit. Zumindest dann nicht, wenn unter diesen männlichen Jüdinnen eben nicht Menschen zu verstehen sind, deren Identifikation nicht dem herkömmlichen binären Schema entspricht, sondern schlicht ein semantischer Begleitschaden. Ich will nicht das Fürchterliche der Judenvernichtung gegen die Unannehmlichkeit unzureichenden Genderns aufrechnen. Ich finde es aber besser, wenn in einem Text die angemessene Behandlung des Holocausts dem Gendern im Weg steht als umgekehrt.

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