Heute, liebe Ratehäschen, ist es Zeit für ein kleines Quiz.
Keine Angst, eh nur Multiple Choice. Aufgemerkt nun also, wie Professor
Unrat zu sagen pflegte! Welche der folgenden Formulierungen lehrt uns am
meisten über die Probleme beim Gendern?
A: Bereits zuvor hatte
Großbritannien mit der „Dienstbotenemigration“ zur Rettung von zumeist
weiblichen 20.000 jungen Jüdinnen und Juden beigetragen.
B: Bereits zuvor hatte
Großbritannien mit der „Dienstbotenemigration“ zur Rettung von 20.000 jungen
Jüdinnen und Juden beigetragen, von denen die meisten Frauen waren.
C: Bereits zuvor hatte
Großbritannien mit der „Dienstbotenemigration“ zur Rettung von 20.000 jungen
Jüdinnen und Juden beigetragen, wobei die Jüdinnen deutlich in der Überzahl
waren.
Kleiner Tipp: Der Originalsatz findet sich in der Broschüre
zur aktuellen Ausstellung „Ich bin also
nun ein anderer“, die sich mit dem Schicksal der jüdischen Bevölkerung des
4. Bezirks im Holocaust befasst. Leider ist die richtige Antwort A, und es tun sich zwei Möglichkeiten
auf:
Entweder wollten die Autorinnen nicht nur den Juden, sondern
auch den Jüdinnen offen lassen, ob sie sich als weiblich identifizieren, da der
Satz ja nicht-weibliche Jüdinnen postuliert. (Ein boshafter Mensch könnte gar
herauslesen, dass die Identifikation hin und wieder wechselt, da sie zumeist weiblich sind, aber nicht immer.)
Dann stellt sich freilich die Frage, inwieweit das grammatische Femininum
überhaupt fürs Gendern geeignet ist?
Oder die Autorinnen sind in dieselbe Falle getappt wie viele beflissene Gendererinnen vor ihnen, indem
sie die Nennung beider Geschlechter als grammatisch gleichwertig mit der Einzelform
auffassen, beziehungsweise die ausgeschriebene Nennung beider Formen als
gleichwertig mit dem umstrittenen Binnen-I.
Das geht halt leider nicht. Vor der Sprache sind zwei Wörter
immer zwei Wörter und nicht die bessere Version eines einzelnen Wortes. Der
umgekehrte Fall wäre diskutabel: Bereits
zuvor hatte Israel mit der „Dienstbotenemigration“ zur Rettung von 20.000
zumeist weiblichen BritInnen beigetragen, weil die BritInnen eben weiblich oder männlich sein können, während die
Jüdinnen dank ihrer ü-Punkterln zumindest grammatisch immer weiblich sind.
Möglicherweise hatten die Autorinnen das Gefühl, dass hier etwas
nicht stimmt, und haben deshalb die „20.000“
zwischen weiblichen und Jüdinnen geschoben, wo die Zahl
eigentlich nichts verloren hat, damit die beiden widerstreitenden Gedanken auf
Distanz bleiben. Wahrscheinlicher ist aber leider, dass den Autorinnen das
Forschen mehr liegt als das Formulieren. Der nächste Satz lautet nämlich: Diese kamen als HausgehilfInnen bei britischen
Familien unter und stammten zu etwa einem Drittel aus Österreich. Heißt
also: Eine solche Hausgehilfin hatte im Durchschnitt z. B. eine österreichische
Mutter, eine österreichische Großmutter und zwei österreichische Urgroßeltern,
während die übrigen VorfahrInnen aus anderen Ländern stammten.
Ist natürlich Blödsinn. Gemeint ist: Diese kamen als HausgehilfInnen bei britischen Familien unter; etwa ein
Drittel von ihnen stammte aus Österreich.
TL, DR: Wenn jemand eine gute, sinnvolle,
praktikable Lösung fürs Gendern hat, dann bitte her damit. Solange uns die
Genderpraxis von Texten über den Holocaust ablenkt und uns Gedanken über das Dasein
männlicher Jüdinnen in den Kopf setzt, sind wir aber eindeutig nicht soweit.
Zumindest dann nicht, wenn unter diesen männlichen Jüdinnen eben nicht Menschen
zu verstehen sind, deren Identifikation nicht dem herkömmlichen binären Schema
entspricht, sondern schlicht ein semantischer Begleitschaden. Ich will nicht
das Fürchterliche der Judenvernichtung gegen die Unannehmlichkeit
unzureichenden Genderns aufrechnen. Ich finde es aber besser, wenn in einem
Text die angemessene Behandlung des Holocausts dem Gendern im Weg steht als
umgekehrt.
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