Lesehäsinnen,
-häseriche und mitgemeinte Genders, mir wurde ein höchst bedenkliches Dokument
zugespielt. Also, ehrlich gesagt habe ich es in meinem Briefkasten gefunden,
wie tausend andere Wahlberechtigtinnen auch, denn es handelt sich um einen
Brief von Bundeskanzler Kern („von“ nicht in dem Sinne, dass er ihn selbst
verfasst hätte – das hat, wenn ich mich nicht täusche, im Wesentlichen eine
liebe Freundin eures Kolumnators erledigt – sondern in dem Sinne, dass sein
Team den Inhalt vorgegeben und die Formulierung abgesegnet hat. Alles ist sehr
überzeugend, doch bin ich über diesen Satz gestolpert: „Ich bin kein Berufspolitiker.“,
gefolgt von der Versicherung, dass der Kanzler keinen Wert auf Dienstwagen,
Posten und ähnliches lege.
Mir
scheint das sehr sonderbar. Wenn euch, o Häschen, die Nagezähnchen schmerzen, geht ihr vorzugsweise zu einem Hufschmied,
der die Zahnmedizin mehr so als Hobby betreibt? Wenn euch der Sinn nach
frischen Semmeln steht, geht ihr dann zum Schuster? Wenn euch Steuerfragen
plagen, erholt ihr euch dann bei eurem Osteopathen Rats?
Nur
in der Politik lohnt es sich anscheinend, zu versichern, dass man diese
Tätigkeit nicht von Berufs wegen ausübe. Denn unser Politikverständnis hinkt unserem
Sportverständnis um mindestens 45
Jahre nach: 1972 – als wär’s gestern gewesen! – brodelte die Empörung der
Nation, weil das Olympische Komitee gegen unseren Karl Schranz das Amateurgesetz anwendete. Heute verspricht sich ein
vielversprechender Bundeskanzler (die frischeren unter euch Häschen haben die Durststrecke Klima – Gusenbauer –
Faymann nicht über die volle Distanz bewusst miterlebt und können daher auch
nicht nachvollziehen, wie kummererprobtere Sozialdemokraten Herrn Kern sehen
oder zumindest gern sähen) Wählerstimmen davon, dass er seinen politischen Amateurstatus aus dem Fenster hängt.
Obwohl
mir der Journalismus fernliegt, habe ich einen berühmten Rat beherzigt („Lernen Sie Geschichte, Herr Redakteur“)
und dabei erfahren, was dem Profi Schranz widerfuhr, als er unteilgenommener
Spiele (pfoah, das war jetzt grauslich!) aus Tokio zurückkehrte: Die schwarzen
und roten Spitzen empfingen ihn, ebenso wie Tausende Fans, schon am Flughafen,
er wurde im Dienstauto des Unterrichtsministers Sinowatz zum Ballhausplatz
chauffiert und grüßte vom Balkon des Kanzleramts. Denn er war empfangen worden:
Bruno Kreisky stellte sich, wie anscheinend
das ganze Land, hinter den Sporthelden. Er hatte mit ihm gemein, dass beide das,
was sie taten, professionell taten, „unter
Hintanstellung“ (wie man im damaligen Amtsösterreichisch gesagt hätte)
anderer Berufe. Das war ganz normal: Obgleich man sich hinsichtlich der
Bewertung des Bundeskanzlers uneinig war, hat meines Wissens nie jemand Bruno Kreisky
vorgehalten, dass er zeit seines Lebens nur dann etwas anderes als Politik
getrieben hatte, wenn ihm nazihalber
nichts anderes übrigblieb.
Freilich
wäre auch niemand auf die Idee gekommen, dass Kreisky als Politiker hinter
lukrativen Pöstchen und dicken Autos her war. Das politische Klima im
Österreich der 60er und 70er Jahre war sicher nicht von Frische, Innovation und
Opferbereitschaft geprägt. Doch dass uns die Verbindung zwischen Politikberuf
und dem Drang, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen, heute ganz natürlich
scheint, ist das Elend der zweiten
Republik. Vor Herrn Kern ziehe ich meinen Hut wegen des mutigen Zukunft-Sujets seiner Plakatkampagne. Es
sollte ihm aber der Gedanke nicht fremd sein, dass man nicht nur als
ÖBB-Vorstand, Herzchirurg oder Steuerprüfer, sondern auch als Politiker seine
Arbeit aus noch edleren Motiven tun kann als es ein größerer Mercedes ist.
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