Freitag, 13. Oktober 2017

Berufsethos

Lesehäsinnen, -häseriche und mitgemeinte Genders, mir wurde ein höchst bedenkliches Dokument zugespielt. Also, ehrlich gesagt habe ich es in meinem Briefkasten gefunden, wie tausend andere Wahlberechtigtinnen auch, denn es handelt sich um einen Brief von Bundeskanzler Kern („von“ nicht in dem Sinne, dass er ihn selbst verfasst hätte – das hat, wenn ich mich nicht täusche, im Wesentlichen eine liebe Freundin eures Kolumnators erledigt – sondern in dem Sinne, dass sein Team den Inhalt vorgegeben und die Formulierung abgesegnet hat. Alles ist sehr überzeugend, doch bin ich über diesen Satz gestolpert: „Ich bin kein Berufspolitiker.“, gefolgt von der Versicherung, dass der Kanzler keinen Wert auf Dienstwagen, Posten und ähnliches lege.
Mir scheint das sehr sonderbar. Wenn euch, o Häschen, die Nagezähnchen schmerzen, geht ihr vorzugsweise zu einem Hufschmied, der die Zahnmedizin mehr so als Hobby betreibt? Wenn euch der Sinn nach frischen Semmeln steht, geht ihr dann zum Schuster? Wenn euch Steuerfragen plagen, erholt ihr euch dann bei eurem Osteopathen Rats?
Nur in der Politik lohnt es sich anscheinend, zu versichern, dass man diese Tätigkeit nicht von Berufs wegen ausübe. Denn unser Politikverständnis hinkt unserem Sportverständnis um mindestens 45 Jahre nach: 1972 – als wär’s gestern gewesen! – brodelte die Empörung der Nation, weil das Olympische Komitee gegen unseren Karl Schranz das Amateurgesetz anwendete. Heute verspricht sich ein vielversprechender Bundeskanzler (die frischeren unter euch Häschen haben die Durststrecke Klima – Gusenbauer – Faymann nicht über die volle Distanz bewusst miterlebt und können daher auch nicht nachvollziehen, wie kummererprobtere Sozialdemokraten Herrn Kern sehen oder zumindest gern sähen) Wählerstimmen davon, dass er seinen politischen Amateurstatus aus dem Fenster hängt.
Obwohl mir der Journalismus fernliegt, habe ich einen berühmten Rat beherzigt („Lernen Sie Geschichte, Herr Redakteur“) und dabei erfahren, was dem Profi Schranz widerfuhr, als er unteilgenommener Spiele (pfoah, das war jetzt grauslich!) aus Tokio zurückkehrte: Die schwarzen und roten Spitzen empfingen ihn, ebenso wie Tausende Fans, schon am Flughafen, er wurde im Dienstauto des Unterrichtsministers Sinowatz zum Ballhausplatz chauffiert und grüßte vom Balkon des Kanzleramts. Denn er war empfangen worden: Bruno Kreisky stellte sich, wie anscheinend das ganze Land, hinter den Sporthelden. Er hatte mit ihm gemein, dass beide das, was sie taten, professionell taten, „unter Hintanstellung“ (wie man im damaligen Amtsösterreichisch gesagt hätte) anderer Berufe. Das war ganz normal: Obgleich man sich hinsichtlich der Bewertung des Bundeskanzlers uneinig war, hat meines Wissens nie jemand Bruno Kreisky vorgehalten, dass er zeit seines Lebens nur dann etwas anderes als Politik getrieben hatte, wenn ihm nazihalber nichts anderes übrigblieb.
Freilich wäre auch niemand auf die Idee gekommen, dass Kreisky als Politiker hinter lukrativen Pöstchen und dicken Autos her war. Das politische Klima im Österreich der 60er und 70er Jahre war sicher nicht von Frische, Innovation und Opferbereitschaft geprägt. Doch dass uns die Verbindung zwischen Politikberuf und dem Drang, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen, heute ganz natürlich scheint, ist das Elend der zweiten Republik. Vor Herrn Kern ziehe ich meinen Hut wegen des mutigen Zukunft-Sujets seiner Plakatkampagne. Es sollte ihm aber der Gedanke nicht fremd sein, dass man nicht nur als ÖBB-Vorstand, Herzchirurg oder Steuerprüfer, sondern auch als Politiker seine Arbeit aus noch edleren Motiven tun kann als es ein größerer Mercedes ist.

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