Freitag, 24. November 2017

Als ob das wurscht wäre

Es gibt nicht nur zwischen Himmel und Erde mehr Dinge, als die unvollständige Schulweisheit sich träumen lässt, und auch nicht nur zwischen den Zeilen, wo ja bekanntlich alles möglich ist – nein: auch auf der Zeile ergeht es dir bisweilen wie jener, die im Dunkeln die Treppe hinunterging und nach der letzten Stufe eine weitere vorfand: Da kann es dich plötzlich und unvermutet auf die Fresse hauen, wenn du glaubst, du bist ein aufgeweckter kleiner Grammatiker.
Es ist nämlich so, als wollte mich als necken. In aller Regel ist klar, welcher Fall an einer gegebenen Stelle im Satz zu stehen kommt. Im vorigen Satz steht die Regel im Dativ, Fall im Nominativ, Stelle und Satz wieder im Dativ. Manchmal freut man sich auch über einen Akkusativ wie diesen, des Genitivs Antlitz lässt sich immer seltener bewundern.
Doch wenn irgendwo als steht, wird der Sprachboden sumpfig.
Nämlich haben wir alle Joycens Buch gelesen: Porträt des Künstlers als junger Mann
Hier ist der Künstler das Bezugswort, dann kommt als, und schließlich junger Mann, die nähere Bestimmung des Bezugswortes. Der eine steht im Genitiv, der andere im Nominativ, weil – ja, warum eigentlich?
Offenbar aus demselben Grund, der das Wirken Ignaz Semmelweis’ als Arzt standardsprachlich sein lässt.
Nun geht aber die SPÖ voraussichtlich in die Opposition, und das dürfte alles ändern.
Denn wenn Christian Kern Stellung nimmt, ist das dann
die Stellungnahme Kerns als Führer der Opposition
oder
die Stellungnahme Kerns als Führers der Opposition
?
Ich bin ganz klar für Letzteres. Aber warum kann mir beim Künstler die Kasuskongruenz (also die Übereinstimmung der Fälle vor und nach dem als) gestohlen bleiben, während sie mir beim Exkanzler wichtig scheint?
Die übliche Autorität weiß keinen Rat, sondern macht alles noch schlimmer. Denn die beiden Beispiele habe ich direkt aus dem Duden gemopst, wo sie kommentarlos nebeneinanderstehen.
Kann es daran liegen, dass „Bezugswort“ nur ein Hilfsausdruck ist? Denn obwohl die beiden Konstruktionen formal völlig analog sind, geschehen semantisch unterschiedliche Dinge.
Im Fall des Porträts ist der Künstler die Hauptperson, von ihm gibt es ein Porträt. Zufällig stellt ihn dies nicht in seinem heutigen Verfallszustand dar, wie ihr ihn von eurem Kolumnator kennt, sondern als jungen Spritzer. Mithin wird hier nicht über den Künstler Zusätzliches ausgesagt, sondern über das Porträt. Die enge Beziehung ist jene zwischen Porträt und Künstler, die zusätzliche zwischen Porträt und jungem Mann.
Wenn aber Kern Richtungsweisendes äußert, ist seine Kernheit zweitrangig. Wichtig ist, dass der Einwurf von der Opposition stammt. Die Stellungnahme und der Oppositionsführer haben sich lieb, Kern schaut zu. Man könnte ihn zur Not sogar weglassen: die Stellungnahme des Führers der Opposition. Hingegen wäre Porträt des jungen Mannes sinnlos und Porträt eines jungen Mannes nichtssagend.
Ich vermute also:
Wenn das sogenannte Bezugswort eine stärkere Beziehung zu jenem Begriff hat, auf den es sich seinerseits bezieht, als zu seiner näheren Erläuterung, dann wird die Kasuskongruenz beachtet, damit die Verbindung nicht noch schwächer wird. Im umgekehrten Fall schenkt man sich die Übereinstimmung, weil eh klar ist, was los ist. Schönes Korinthenkackerwochenende!

Freitag, 17. November 2017

ES

Vor einer Weile, o Häschen, hatte euer Kolumnator ein bisschen Pech. Er wollte sich nämlich einen spritzigen Gaunerfilm mit schnellen Autos anschauen, das aber ausgerechnet an dem Tag, an dem ES anlief. Ihr wisst schon: Die monumentale Verfilmung des Stephen-King-Ziegels aus den 80er Jahren, unter anderem mit Bill Skarsgård (für die Damen: Das ist der kleine Bruder von Alexander „Eric Northman“ Skarsgård) in der Titelrolle. Ganz in Ordnung, besonders die Kinder sind hervorragend (und ich sage das als jemand, der acht Harry-Potter-Filme hindurch zusehen musste, wie Radcliffe und Co. von einigen der größten erwachsenen Schauspieler der Gegenwart an die Wand gespielt werden). Jedenfalls hat man wieder einmal gesehen, dass es ins Auge gehen kann.
Das ist in der Sprache auch so, wie ich anlässlich dieses Satzes am eigenen Leibe erfahren musste:
Ist es einem als Betroffener gelungen, das Briefing zu entschlüsseln, kann es losgehen.
Klappt das so? Oder verbreitete sich weniger Betroffenheit, wenn der Satz lautete:
Ist es einem als Betroffenem gelungen, ...
Euer ergebener Kolumnator war alsbald mit einer Antwort bei der Hand: Beides geht, je nachdem, ob man den Betroffenen als Subjekt des Satzes anlegt („ich als Betroffener“) oder parallel zu „einem“ setzt.
Klingt gut, ist aber leider kompletter Blödsinn.
An dieser Stelle darf ich allen, die noch nie in einem Grammatikforum zugange waren, sagen, dass es dort zugeht wie in allen anderen Onlineforen. Also Schulhof im Brennpunktgebiet ist ein Dreck dagegen, nur ohne körperliche Gewalt. Deshalb hat besagter Kolumnator sich umgehend ein virtuelles Ohrenreiberl abholen dürfen.
Denn natürlich ist nur die zweite Version standardsprachlich und mithin voll korrekt, Alta. Weil warum? Weil vor als das Bezugswort steht, danach die nähere Erläuterung, und beide im selben Fall stehen müssen. Der „Betroffene“ kann nicht das Subjekt sein, weil der Satz schon ein astreines Subjekt hat, nämlich es. Es ist ein sogenanntes Korrelat. Denn das Subjekt eines Satzes kann selbst ein Satz sein: Das Schmusi zu verabschieden, fällt uns schwer. Wie findet man noch schnell das Subjekt? Genau: Mit Wer oder was. Wer oder was fällt uns schwer? Das Schmusi zu verabschieden ist also ein Subjektsatz. „Da steht aber nirgends ES“, höre ich vorlaute Häschen rufen. Ich erwidere: Seid erstens froh, denn ES ist nicht lustig, weder mit Bill Skarsgård noch mit Tim Curry. Zweitens: ES taucht auf, wenn man nicht damit rechnet (ebenfalls als Bill Skarsgård ebenso wie als Tim Curry).
Denn kaum rutscht der Subjektsatz nach hinten, zack! schon lacht ES dich an:
Es fällt uns schwer, das Schmusi zu verabschieden. Wenn die Planstelle für das Subjekt vorn im Satz vakant bleibt, weil der Subjektsatz sich verbummelt hat, muss ES einspringen, damit das klappt.
Und deshalb, ihr Häschen, muss es hier einem als Betroffenem heißen. Natürlich wäre es auch hübsch zu sagen: Ist es einem gelungen, als Betroffener das Briefing zu entschlüsseln ... Aber dann hinge der Betroffene am entschlüsseln anstatt am gelingen, und der Satz wäre nicht mehr derselbe.
Also: Traut keinem Clown, und schönes Wochenende!

Freitag, 10. November 2017

#Ichauchnicht

O Häschen, unser mittlerweile unsichtbarer Hase Harvey hat uns da ein paar ordentliche Eier gelegt. Vor einem Weilchen war hieramts die Rede von der Logik der Verhüllung, die in manchen muslimischen Kreisen Frauen auferlegt wird. Leider ist die aufgelegte Begründung, dass obgedachte Verhüllung dem Schutz der Frauen vor dem unkontrollierbaren Triebtier Mann diene, offensichtlich nicht so schief, wie man gern gedacht hätte.
Dank dem Monsterhasen entsteht wieder einmal eine heftige Diskussion, und weil wir ja unsere Befindlichkeit schneller mit der Welt teilen können als über sie nachdenken, fehlt es beiderseits nicht an Schlaumeiern, die aus der Dumpfheit der jeweils anderen argumentatives Kapital zu schlagen bereit sind. Frau Proll, dass Sie noch nie jemand belästigt hat, ist schön für Sie. Möge es sich nie ändern. Ihre Freude am Flirten beweist aber nichts gegen das Recht anderer Frauen, ebenfalls nicht belästigt zu werden.
Dass Herr Weinstein ein Ungustl und ein Eierbär ist, dürfte mittlerweile auch den meisten klar sein. Ob aber die Sache der gern unbelästigt bleibenden Frauen davon profitiert, wenn jetzt jede zweite Schauspielerin, die einmal mit dem Mann einen Teppich geteilt hat, mit einem Erlebnis herauszurücken sich bemüßigt fühlt, bei dem mehrheitlich am Ende eh nichts herausgekommen ist, außer dass sie sich „bedroht“ oder „ungut“ oder weißdergeier gefühlt hat, wage ich zu bezweifeln. Gerade bei Weinstein beobachten wir ein Phänomen ähnlich jenem in der alten Geschichte vom jungen Hirten, der immer „der Wolf!“ gerufen hat. Alles, was einmal a) im paarungsfähigen Alter und b) in seiner Nähe war, schreit jetzt „der Weinstein!“, sodass die Rufe jener übertönt werden, denen durch ihn tatsächlich Schlimmes widerfahren ist.
Außerdem macht mir an der Sache Sorgen, dass Unbill auf die sexuelle Sphäre reduziert wird. Jede von uns (ja, auch euer Kolumnator) ist schon einmal einem Arschloch über den Weg gelaufen, das sich entsprechend verhalten hat. Wir alle wissen, dass man dann die Wahl hat, sich zu wehren, die Behandlung zu schlucken oder sich zurückziehen.
Nun scheint aber in Sachen sexueller Belästigung eine neue Auschwitzregel zu gelten: Sexuell belästigt zu werden (wir reden hier nicht von Vergewaltigung, wohlgemerkt), das ist anscheinend etwas unsagbar, unvergleichlich Schlimmeres als auf irgendeine andere Art von seinem Nebenmenschen unterbuttert, heruntergemacht oder ausgenutzt zu werden.
Aber warum? Ich bin nicht davon überzeugt, dass es etwas intrinsisch (wollte ich immer schon mal verwenden!) anderes ist, sich auf zwischengeschlechtlicher Ebene als Drecksau zu erweisen, als auf einer anderen, allgemeiner zwischenmenschlichen. Das Gegenüber ist in jedem Fall in seiner Menschlichkeit reduziert, und Menschlichkeit ist nicht nur Sexualität. Wenn es heute relevant ist, ob ich 1998 eine Frau doof angemacht habe (habe ich übrigens nicht, nur so der Vollständigkeit halber), ist es dann nicht ebenso relevant, ob sich einer ebenfalls 1998 mir gegenüber als echt blöde Sau erwiesen hat? Auch ich wurde dadurch heftig belästigt, wenn auch nicht auf sexueller Ebene. Wir beide wurden 1998 verletzt, wir beide haben nach Maßgabe der Verhältnisse gelitten, und wir beide sind darüber hinweggekommen. Fern sei es mir, einer alsbaldigen Verjährung sexueller Verbrechen das Wort zu reden. Aber wenn ihr mich fragt: Irgendwann sind die meisten Trotteleien, die sich ein Trottel zuschulden kommen lässt, Schnee von gestern, ob sie mit seinem Sack zu tun haben oder nicht. Können wir uns darauf konzentrieren, wie wir zu einem gesunden Verhältnis der Geschlechter kommen, ohne uns anhören zu müssen, wer zu Zeiten der Regierung Clinton ein Hotelzimmer nicht betreten hat, weil ein „Mogul“ im Bademantel drin war? Das wäre fein.