Heute, o teure Häschen, darf ich auf das Phänomen der regredierenden Restprominenz aufmerksam
machen. Es entsteht, indem ein bedeutungsvoller Satz dadurch noch mehr Gewicht
erhält, dass er von einem berühmten Menschen stammt (oder diesem zumindest
zugeschrieben wird), dessen Ruhm aber mit der Zeit im Verhältnis zur
Bedeutsamkeit gedachten Satzes so sehr schwindet, dass der Mensch irgendwann
nur noch dafür bekannt ist, jenes Bedeutsame geäußert zu haben. Zum Beispiel haben
heute nur noch wenige parat, wer H.G.
Wells ist oder war, während jedem ordentlichen Menschen seine unsterbliche
Sentenz geläufig ist: „Every time I see
an adult on a bicycle, I no longer despair for the future of the human race.“ (Wells
zeichnet übrigens für SF-Klassiker wie Die
Zeitmaschine oder Der Krieg der
Welten verantwortlich.)
Mir drängt sich der Verdacht auf, dass der Satz zu Wells’
Zeiten stärkere Gültigkeit besaß als heute, wo die Dichte an Pensionisten, die
das Erbe ihrer Enkel in Karbonrädern anlegen, unvergleichlich viel höher ist als
jene der Paternosteraufzüge. Denn im Gegensatz zu Wells verzweifle ich jedesmal
etwas mehr an der Zukunft der Menschheit, wenn ich davon lese, dass es immer
weniger Paternosteraufzüge gibt. Weil
ein Paternoster nämlich eine Großartigkeit ist, der kaum etwas gleichkommt,
abgesehen vielleicht von Terminator II,
Jane Eyre und einer geglückten Snowboard-Backside. (Wer die schlichte
Freude des Paternosterfahrens live erleben will: In Wien geht das am
einfachsten im Rathaus, nahe der Stiege 6, Eingang Felderstraße.) Der
Paternoster vereint eine unnachahmliche Steampunk-Lässigkeit
des grundsätzlichen Zugangs zum Problem der anstrengungslosen Menschenhebung
mit gedanklicher Eleganz bei höchst sympathischer Ehrgeizlosigkeit, was den speed betrifft, mit der jene zu erzielen
ist. Außerdem ist er sehr praktisch,
weil man nicht länger auf eine Kabine zu warten braucht, als eben die Fahrt von
einem Stockwerk zum nächsten dauert, es sei denn, es ist viel los. Macht
nichts. Weil der Paternoster eher langsam unterwegs ist, lädt er zum gesunden Stiegensteigen ein. Doch das ist noch
nicht das Beste. Das Beste ist,
rundherumzufahren und sich von dem freundlichen Schild (einst im Neuen
Institutsgebäude) versichern zu lassen Es
kann Ihnen nichts geschehen. Diese existenzielle Vergewisserung kann keine
Selbsthilfeseite im Internet liefern!
Das Zweitbeste
ist die Nonchalance, die der
Paternoster heutigen Sicherheitsanforderungen nicht etwa entgegenschleudert,
dazu ist er viel zu gemütlich. Er hat sie irgendwo in der Lade liegen, und wenn
man sie braucht, findet er sie. Vielleicht. Die entsprechende Geduld vorausgesetzt.
Aber zurück zu den Sicherheitsanforderungen.
Vorausgeschickt sei, dass ein Paternoster natürlich nichts für Leute ist, die stark
fehlsichtig sind oder einen Rollstuhl brauchen. Mir ist aber auch noch nie ein
Paternoster in einem Gebäude ohne herkömmlichen Aufzug begegnet. Die
Sicherheitsanforderungen sind heute hoch. Deshalb gibt es viel weniger Verkehrstote als früher. Sie wachsen
aber nicht nur mit dem Risiko, sondern auch mit dessen Wahrnehmung. Deshalb
sind die Spielplätze viel langweiliger
als früher: Nicht, weil so viel passiert wäre, sondern weil wir uns solche
Sorgen machen, was alles passieren könnte.
Mit dem Paternoster ist es wie mit aussterbenden Tierarten:
Die Ausrottung ist ja nicht erst vollzogen, wenn es gar keinen Tasmanischen
Beutelwolf mehr gibt, sondern wenn nur noch so wenig Exemplare herumlaufen,
dass die Population sich nicht mehr erhalten kann (weil die letzte Beutelwölfin
den letzten Beutelwolf einfach total #MeToo
findet, oder was weiß ich). Der Paternoster ist so selten geworden, dass wir
ihn bestaunen, anstatt einfach einzusteigen. Deshalb scheint es uns irre
gefährlich, ein Tranportmittel zu benutzen, das uns nichts abverlangt als die
nötige Geistesgegenwart, um in einem Zeitfenster von ungefähr einer Sekunde
einen Schritt nach vorn zu machen und den andern Fuß nachzusetzen. Man muss
fitter und ausgeschlafener sein, um sich einen Kaffee einzuschenken oder die
Haare zu waschen. Trotzdem machen die Sicherheitsvorschriften vor der Dusche
halt.
Es gibt also nur eine Chance, den Paternoster zu retten: Baut mehr davon! Dann passiert auch
nix.
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