Freitag, 2. März 2018

Ewiger Umgang

Heute, o teure Häschen, darf ich auf das Phänomen der regredierenden Restprominenz aufmerksam machen. Es entsteht, indem ein bedeutungsvoller Satz dadurch noch mehr Gewicht erhält, dass er von einem berühmten Menschen stammt (oder diesem zumindest zugeschrieben wird), dessen Ruhm aber mit der Zeit im Verhältnis zur Bedeutsamkeit gedachten Satzes so sehr schwindet, dass der Mensch irgendwann nur noch dafür bekannt ist, jenes Bedeutsame geäußert zu haben. Zum Beispiel haben heute nur noch wenige parat, wer H.G. Wells ist oder war, während jedem ordentlichen Menschen seine unsterbliche Sentenz geläufig ist: „Every time I see an adult on a bicycle, I no longer despair for the future of the human race.“ (Wells zeichnet übrigens für SF-Klassiker wie Die Zeitmaschine oder Der Krieg der Welten verantwortlich.)
Mir drängt sich der Verdacht auf, dass der Satz zu Wells’ Zeiten stärkere Gültigkeit besaß als heute, wo die Dichte an Pensionisten, die das Erbe ihrer Enkel in Karbonrädern anlegen, unvergleichlich viel höher ist als jene der Paternosteraufzüge. Denn im Gegensatz zu Wells verzweifle ich jedesmal etwas mehr an der Zukunft der Menschheit, wenn ich davon lese, dass es immer weniger Paternosteraufzüge gibt. Weil ein Paternoster nämlich eine Großartigkeit ist, der kaum etwas gleichkommt, abgesehen vielleicht von Terminator II, Jane Eyre und einer geglückten Snowboard-Backside. (Wer die schlichte Freude des Paternosterfahrens live erleben will: In Wien geht das am einfachsten im Rathaus, nahe der Stiege 6, Eingang Felderstraße.) Der Paternoster vereint eine unnachahmliche Steampunk-Lässigkeit des grundsätzlichen Zugangs zum Problem der anstrengungslosen Menschenhebung mit gedanklicher Eleganz bei höchst sympathischer Ehrgeizlosigkeit, was den speed betrifft, mit der jene zu erzielen ist. Außerdem ist er sehr praktisch, weil man nicht länger auf eine Kabine zu warten braucht, als eben die Fahrt von einem Stockwerk zum nächsten dauert, es sei denn, es ist viel los. Macht nichts. Weil der Paternoster eher langsam unterwegs ist, lädt er zum gesunden Stiegensteigen ein. Doch das ist noch nicht das Beste. Das Beste ist, rundherumzufahren und sich von dem freundlichen Schild (einst im Neuen Institutsgebäude) versichern zu lassen Es kann Ihnen nichts geschehen. Diese existenzielle Vergewisserung kann keine Selbsthilfeseite im Internet liefern!
Das Zweitbeste ist die Nonchalance, die der Paternoster heutigen Sicherheitsanforderungen nicht etwa entgegenschleudert, dazu ist er viel zu gemütlich. Er hat sie irgendwo in der Lade liegen, und wenn man sie braucht, findet er sie. Vielleicht. Die entsprechende Geduld vorausgesetzt. Aber zurück zu den Sicherheitsanforderungen. Vorausgeschickt sei, dass ein Paternoster natürlich nichts für Leute ist, die stark fehlsichtig sind oder einen Rollstuhl brauchen. Mir ist aber auch noch nie ein Paternoster in einem Gebäude ohne herkömmlichen Aufzug begegnet. Die Sicherheitsanforderungen sind heute hoch. Deshalb gibt es viel weniger Verkehrstote als früher. Sie wachsen aber nicht nur mit dem Risiko, sondern auch mit dessen Wahrnehmung. Deshalb sind die Spielplätze viel langweiliger als früher: Nicht, weil so viel passiert wäre, sondern weil wir uns solche Sorgen machen, was alles passieren könnte.
Mit dem Paternoster ist es wie mit aussterbenden Tierarten: Die Ausrottung ist ja nicht erst vollzogen, wenn es gar keinen Tasmanischen Beutelwolf mehr gibt, sondern wenn nur noch so wenig Exemplare herumlaufen, dass die Population sich nicht mehr erhalten kann (weil die letzte Beutelwölfin den letzten Beutelwolf einfach total #MeToo findet, oder was weiß ich). Der Paternoster ist so selten geworden, dass wir ihn bestaunen, anstatt einfach einzusteigen. Deshalb scheint es uns irre gefährlich, ein Tranportmittel zu benutzen, das uns nichts abverlangt als die nötige Geistesgegenwart, um in einem Zeitfenster von ungefähr einer Sekunde einen Schritt nach vorn zu machen und den andern Fuß nachzusetzen. Man muss fitter und ausgeschlafener sein, um sich einen Kaffee einzuschenken oder die Haare zu waschen. Trotzdem machen die Sicherheitsvorschriften vor der Dusche halt.
Es gibt also nur eine Chance, den Paternoster zu retten: Baut mehr davon! Dann passiert auch nix.

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