Freitag, 9. März 2018

Reinheitsgebot

Die Sprache, o kluge und kuschlige Lesehäschen, ist ein Lebendiges. Dies vorausgeschickt, ist die Formulierung ich habe eine Idee davon, wenn eine Vorstellung gemeint ist, bestenfalls der Beweis, dass die Sprache nicht immer ein perfektes Hautbild hat, sondern dass ihr ab und zu auch einmal ein fettes Wimmerl auf der Nase wächst. Gell, ze.tt! Da darf man auch zu einem Gastautor sagen: Du, wir sind hier journalistische Vollprofis, schreib nicht so einen Schmarrn. Oder Käse, oder was halt in Hamburg verständlich ist. Denn eine Idee ist im Deutschen derzeit noch etwas Neues, nicht Dagewesenes. Kann sich ändern, aber die Momentaufnahme sagt isso!
Im Übrigen habe ich jetzt keine Zeit, euch was zu schreiben. Ich muss mein Bücherregal ausmisten.
Dashiell Hammett: War seiner Frau untreu. Fliegt raus.
Thomas Mann: War echt mies zur Familie. Fliegt raus.
Heimito von Doderer: Hat laut Wikipedia „seine Frau ’mit obsessiv vorgetragenen antisemitischen Stereotypen’“ gequält. Hinweg, Verruchter!
Goethe? Hat seine Frau allein sterben lassen und dann hartnäckig eine Neunzehnjährige angemacht, als er selber schon vierundsiebzig war. Sorry, Wolfi, für solche egoistischen Geilspechte wie dich ist hier kein Platz.
Ich ahne schon, dass ich bald sehr viel Platz für neue Bücher haben werde. Da gilt es natürlich mit großer Sorgfalt vorzugehen, damit die nächste Entrümpelung nicht vorprogrammiert ist. Bei Uwe Timm habe ich Glück, der ist seit Jahrzehnten stabil verheiratet. Herfried Münkler mag als Historiker ein Kapazunder sein, aber anscheinend lässt er in Vorlesungen über die europäische Frühneuzeit eine angemessene Perspektive auf die Lage der Sklaven in Amerika vermissen. Bei James Ellroy weiß man nicht so genau, was Persona und was Person ist – lieber kein Risiko eingehen. Bei Neal Stephenson habe ich wiederum ein gutes Gefühl. So lange kein Collegestudentinnenkollektiv seine etwaige Lebenslüge enthüllt, darf er bleiben. Mein Kampf kommt hingegen nicht in Frage, schließlich hat Hitler Eva Braun mehrfach vor Zeugen heruntergemacht.
Ihr merkt schon, wer heutzutage nach dem Blick ins Buch auch jenen in den Spiegel noch aushalten will, der darf es nicht bei literarischen Kriterien bewenden lassen. Man holt sich ja mit einem Buch auch den Autor ins Wohnzimmer. Wer will schon einen misogynen MeToo-Schrat neben sich stehen haben, der deine Liebste anzüglich beäugt?
Das findet jemand sonderbar? Ihr seid mir keine Häschen, sondern Rüden. Besser gesagt, rüde Gesellen! Einem fühlenden Menschen ist heutzutage kein Kulturgenuss mehr möglich, wenn die charakterliche Einwandfreiheit des Künstlers nicht gewährleistet ist. Dass Kevin Spacey aus All the Money in the World geschnitten wurde, weil er Männer belästigt hat, kann erst der Anfang sein. Bekanntlich wollen auch Zigtausende Matt Damon aus Ocean’s 8 verschwinden sehen, weil er, wie hieramts vermerkt, sowohl Grapschen und Vergewaltigung verwerflich findet, aber in unterschiedlichem Ausmaß. Und auch das wird, wenn wir als Gesellschaft ein Fünkchen Ehre im kollektiven Leib haben, erst der Anfang gewesen sein. Denn schließlich hat es früher schon Schweine gegeben, und wer wird sich die Freude an einem filmischen Meisterwerk von dem Wissen vermiesen lassen, dass der Hauptdarsteller kein Guter war? Dank CGI ist das auch nicht nötig. Nicht länger müssen wir uns fragen, was Stagecoach hätte werden können, wenn der alte Macho John Wayne uns das Beinahe-Meisterwerk nicht vergällte. Wir montieren einfach Spencer Tracy rein, und gut ist. Clark Gable hat seine Frau hintergangen? Wir freuen uns auf Vom Winde verweht mit Jimmy Stewart. Von Humphrey Bogart wollen wir gar nicht anfangen, und glücklicherweise ist über Gregory Peck noch nichts Einschlägiges bekannt, denn To Kill a Mockingbird mit Peter Lorre – das wäre, bei aller Liebe, einfach nicht dasselbe, fürchte ich. Ich mach mich dann mal wieder ans Bücherregal.

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