Wir
haben uns, o sprachneugierige Lesehäschen, ja schon oft und öfter mit Fragen
beschäftigt, die einem bei intensiver Nutzung des Deutschen so über den Weg
hoppeln. Es ist Zeit, dass wir über diesen Tellerrand hinausschauen! Deutsch
ist schließlich nicht die Welt, es gibt noch andere interessante Idiome. Nun
trifft es sich, dass euer ergebener Kolumnator kürzlich Gelegenheit hatte,
einem Native Speaker des verbreiteten, aber meist stark akzentuierten Marketingisch zu begegnen.
Halt,
halt! Ich weiß schon, was ihr sagen wollt. Ich aber antworte euch: Wir streben
hier nach Bildung. Mit eurer
Einstellung wüssten wir heute noch nichts über haarige Spinnen, Syphiliserreger
oder David Guetta. Wer Erkenntnis
gewinnen will, der muss noch scharf hinschauen, wo andere schon einen Schnaps
brauchen. Deshalb hier eine Redeflussprobe, die, was selten begegnet,
tatsächlich in lupenreinem Marketingisch daherkommt, wobei die Bedeutung von „lupenrein“ hier bis knapp an die
Zerreißgrenze gedehnt ist.
Beim
Folgenden ist zweierlei zu beachten. Erstens verwirrt unbedarfte Marketingisch-Anfänger,
dass die Sprache äußerlich dem Deutschen ähnelt. Davon darf man sich nicht
täuschen lassen, sonst ist kein Lernfortschritt möglich! Zweitens handelt es
sich nicht um ein Rohtranskript. Ich habe hier und dort kleine Änderungen
vorgenommen, zugunsten des Leseflusses. Nun los:
Unsere Values sind, dass wir
zuerst immer auf elftausend Meter Flughöhe daherkommen, sonst sehen wir den
Kontinent vor lauter Wäldern nicht. Entscheidend ist die time to market, deshalb
muss man sich im Management nicht einmal fragen, was ist die
Entscheidungslogik, sondern fünfmal. Auf dieser Flughöhe müssen wir anfangen,
und dann müssen wir als erstes entscheiden: Ist der Patient schon tot? Wenn
nein, braucht er eine Notoperation oder eine Schönheitsoperation? Da haben wir
ein Rettungsthema, weil der Patient ein Eisberg ist, und wie es ihm geht, dabei
werden wir nie weiterkommen, da können wir nur oben auf den Eisberg ein rotes
Kreuz draufkleben. Wir müssen das Wasser ablassen, und dann kommt die Logik der
Customer Journey, dass ich den ganzen Eisberg sehe. Denn das ist wie die Eier
im Supermarkt: Ich habe den Stapel mit Todeseiern, da nützt auch die
Notoperation nichts mehr. Daneben habe ich den Stapel mit den glücklichen
Eiern, wo das Huhn regelmäßig Mund-zu-Mund-beatmet wird. Diese
Entscheidungslogik müssen wir durch die ganze Supply Chain mitziehen. Diese
Values sind extrem wichtig! Natürlich haben wir da auch ein Verkaufsthema, und
wenn auf dem Eisberg low hanging fruits unter Anführungszeichen wachsen,
erwarte ich mir von einem Partner, dass er diese best-practice-Logik mitgeht.
Man
sieht schon, dass die Linguistik des Marketingischen noch einen weiten Weg vor
sich hat. Bevor wir erfreut und erleichtert einen Langenscheidt Deutsch–Marketingisch in Händen halten, gilt es den
Stein von Rosetta zu finden, der uns den Schlüssel liefert. Erst dann werden
wir herausfinden, was sich in den bisher so rätselvollen Texten verbirgt. Wartet
hier ein Schatz der Weisheit darauf, gehoben zu werden? Die große vereinigte
Theorie von eh allem? Ist es nur die Reader’s-Digest-Version des Voynich-Manuskripts, das ja vermutlich
doch nur ein aufwendiger Schmäh auf Kosten der Möchtegern-Entzifferer ist? Oder
haben wir es schlicht mit einer Verkaufskeiler-Version des Rotwelschen zu tun, jener Gaunersprache, die nicht nur der
Verständigung diente, sondern ebensosehr der Verschleierung des Gesagten vor
jenen, die es einzutunken galt? Man darf gespannt sein!
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