Freitag, 22. März 2019

Vampir

Kolumnieren, meine o wie geliebten Lesehäschen, ist eine Sache von Angebot und Nachfrage. Letzte Woche zum Beispiel besann sich euer Ergebener wieder auf die Wurzeln, sprach zu sich selbst ad fontes!, schrieb über irgendwas Grammatisches, und was soll ich sagen: waschkörbeweise Fanpost! Toll, wie kleine Waschkörbe es heutzutage gibt, hat Otto Waalkes schon gesagt.
Also weiter im, tatsächlich, Text. Kürzlich wurde sich in meiner Umgebung gefragt, ob eine Konstruktion wie die eben demonstrierte zu bewerten sei: eine, und jetzt kommt eine Angeberformel, passive Reflexivkonstruktion ohne Subjekt. Halt! Stopp! Wie war das?
Also der Reihe nach: Was eine Konstruktion ist, wisst ihr. Sogar, wenn eine grammatische Konstruktion gemeint ist, das ist ja jetzt nicht rocket science. Eine Reflexivkonstruktion ist eine, in der ein Wort (nämlich das Reflexivpronomen) sich (ja, das war jetzt das Reflexivpronomen) auf etwas bezieht, das schon früher im Satz vorgekommen ist – hier war das das sich, das zum Wort zurückdeutete. Die Hoffartshäschen unter euch können sich das leicht merken, weil auch der Spiegel, in dem ihr gerne euren Flauschepelz bewundert, euer Bild auf euch zurückreflektiert, so wie das Reflexivpronomen sein Bezugswort.
Eine passive Reflexivkonstruktion ist so einfach wie eine bilaterale Watschen. Finde eine Reflexivkonstruktion, die etwas mit sich geschehen lässt. Und schon wird sich über eine passive Reflexivkonstruktion gefreut.
Das Blöde ist aber, dass das so nicht funktioniert. Denn im Passiv tauschen Subjekt und Objekt die Plätze. Aktiv schreibe ich eine Klugscheißerkolumne – hier bin ich das Subjekt (wer schreibt?) und die Kolumne ist das Objekt, genauer gesagt, das Objekt im Akkusativ, auch bekannt als „direktes Objekt“ (wen oder was schreibe ich?).
Im Passiv wird eine Klugscheißerkolumne geschrieben. Nun ist die Kolumne das Subjekt (wer wird geschrieben?). Hier eröffnet sich eine grammatische Twilight Zone. Im Aktiv verlangt der Satzbau die Angabe, wer schreibt, weil ein Satz eben ein Subjekt braucht. Im Passiv kann man sich aber um die Angabe herumschwindeln, wer der Urheber des Geschriebenwerdens ist. Man kann wohl ergänzen: Eine Klugscheißerkolumne wird von mir geschrieben, man muss aber nicht. Die Planstelle kann, im Gegensatz zur Planstelle „Subjekt“, vakant bleiben.
Diese mögliche Leere kann im reflexiven Satz zum schwarzen Loch werden. Ich freue mich auf das Wochenende ist ein einwandfreier Satz mit der reflexiven Wendung ich freue mich. Im Passiv Auf das Wochenende wird sich gefreut hat das sich hingegen kein Ziel. Das Reflexivpronomen weist ins Leere, der Satzvampir bleibt im Spiegel unsichtbar.
Wir können zwar das Ersatzsubjekt es einführen: Es wird sich auf das Wochenende gefreut. Das macht aber nichts besser, weil es nicht der Ausgangspunkt der Freude ist – wer sich freut, bleibt offen. Lässt sich das Loch irgendwie flicken, indem wir ergänzen, wer sich freut? Etwa Von mir wird sich auf das Wochenende gefreut? Nein, das geht auch nicht, weil sich immer noch verzweifelt nach einem Subjekt sucht, an dem es andocken kann, wie ein blindes Katzenbaby auf der Suche nach der mütterlichen Zitze. Ja, sehr traurig ist das, wenn Wörter ziellos durch Sätze torkeln. Deshalb, meine Lieben: Adoptiert aktiv verwaiste Reflexivpronomina. Es gibt so schon genug Elend in der Welt. Schönes Wochenende!

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