Freitag, 28. Juni 2019

Ora et labora

Wir haben es ja hieramts schon des Öfteren festgestellt, meine teuren Flauschehäschen: Es ist alles so kompliziert. Nur wenige Dinge sind einfach, zum Beispiel der Glaube. Entweder man glaubt, oder man glaubt nicht. Es sei denn, man folgt dem Beispiel Pascals, der bekanntlich erklärte, an Gott zu glauben sei immer die bessere Option: Wenn es Gott doch nicht gibt, hat man nichts dabei verloren. Solche Herangehensweisen scheinen unter kühl denkenden Physikern verbreitet, wird doch von Niels Bohr berichtet, er habe ein Hufeisen über der Tür aufgehängt. Von seinem Kollegen Pauli darauf angesprochen, soll er erklärt haben, das Hufeisen wirke ja auch, wenn man nicht daran glaube. Über die tiefe Kluft zwischen dem pascalschen Glauben auf Verdacht und dem Bohrschen Götzendienst wollen wir uns lieber nicht auslassen!
Vielmehr sind wir bei Sebastian Kurz, der nach eigenem Bekunden in die bekannte Betveranstaltung geraten ist wie H.C. Strache in jene lustige Wirtshausrunde: Der Ex-Vizekanzler saß ja nur zufällig an einem Tisch mit den amtsbekannten Identitären. So hatte auch Kurz nur gehört, in der Stadthalle seien gerade ein paar Leute. Man muss das verstehen: Er bekleidet derzeit kein Amt, kann mangels eines solchen nicht in seinen erlernten Beruf zurückkehren, und einen Wahlkampf mögen andere führen – tu felix Sebastian loquere, o glücklicher Sebastian, rede mit den Leuten. Deshalb üben Menschenansammlungen eine unwiderstehliche Anziehung auf Jung-Wasti aus. Da kann es einem schon passieren, dass man auf die Stadthallenbühne stolpert, um Hallo zu sagen, und plötzlich ist man der Gegenstand eines Massengebets. Wer konnte das ahnen!
Euer Ergebener fand ja die Sache recht halbherzig. Das Gebet für den Kanzler dauerte gerade einmal eine Minute. Wo ich herkomme, ist für Gebetsinhalte, die der Rede wert sind, mindestens ein Rosenkranz fällig. Für alle, die das jetzt nicht gleich parat haben: Ein Rosenkranz dauert locker seine zwanzig Minuten. Da steht man auch nicht im Kreise Gleichgesinnter und reckt einmal kurz die Arme, sondern man kniet – in der Hardcoreversion der Maiandacht – und das Murmeln der betenden Schar wird nur sporadisch von einem Poltern unterbrochen, wenn der Gebetseifer einer Beteiligten sich als größer erweist als die Leistungskraft des Kreislaufs, sodass die Betreffende umkippt. Da muss man sich nicht aufregen, das wird wieder.  
Weiters stellt sich natürlich die Frage, inwiefern dem Altjungkanzler damit ein Vorteil für den Wahlkampf zuteil wurde (natürlich nur für den Fall, dass er sich überhaupt entschließt, jemals in diesen einzusteigen, man weiß es ja nicht). Ohne mich theologisch aufpudeln zu wollen, scheint mir doch die Gebetsmeinung der Teilnehmer dafür nicht unerheblich: War denen auch allen klar, wofür sie beten? Es ist ja schön, dass sie ihm „riesige Weisheit“ und „große Führung“ wünschen, aber was ist darunter zu verstehen, woher soll sie dem Kurz werden? Hier kommt es sehr auf Adressaten, Empfänger und Profiteure eines Gebets an. In dieser Hinsicht ist die track record innig Glaubender leider nicht allzu ermutigend. So richtete kürzlich eine fundamentalchristliche Organisation eine Petition an Netflix: Man möge doch die religiös anstößige Serie Good Omens vom Netz nehmen. Bei Netflix hätte man diesem Wunsch sicher gerne entsprochen, ist doch Good Omens eine Amazon-Serie.
Es ist sehr schade, dass auf die christliche Zielsicherheit so wenig Verlass ist. Wie schön wäre es, wenn wir nun mit der Gewissheit in den Sommer gehen könnten, dass uns im Herbst ein Altneujungkanzler wird, der dank so vieler Fürbitten weise und gut wie kein anderer ist. So aber bleibt uns nur Pascal: Nutzt’s nix, schadt‘s nix. In diesem Sinne: Danke fürs Mitbeten und schönes Wochenende!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen