Freitag, 5. Juli 2019

Oben ohne

Euer Kolumnator sonnt sich ja gerne in den wärmenden Strahlen des Ruhms, d.h. erfreut sich an der Vermutung, dass es auch außerhalb der Bundeshauptstadt Lesehäschen gibt, die gelegentlich hier reinschauen. Was, meine Teuren, habt ihr euch gedacht, als ihr medienweise erfahren habt, dass in der Wiener U-Bahn derzeit testbeduftet wird, inkl. public voting über den bevorzugten Duft? Einerseits stehen dahinter nur hehrste Beweggründe, nämlich die Attraktivität der Öffis zu steigern. Andererseits fragt man sich, ob die Wunderbaumtaktik dafür der richtige Weg ist. Bisher blieb die Beduftung ja der individuellen Initiative der Fahrgäste überlassen, und ob man jetzt Irrésistible, das gute alte Pitralon oder aber Käsekrainer in Achselschweißbakterien zu riechen bekam, diese Frage machte jeden Öffieinstieg um das entscheidende Quentchen spannender. Angesichts generell steigender Temperaturen wird vielleicht bald die Frage virulent, wie vielen Nippeln welchen Geschlechts man mit gelassener Miene ins, nunja, Auge sehen kann? Die Hausordnung der Wiener Linien enthält nämlich wohl den Hinweis, dass der Konsum von Alkohol in den Öffis oft Unmut erregt, schweigt sich aber darüber aus, wie umfassend der Fahrgast seinen Körper zu bedecken habe.
Damit sind wir bei der Frage, wie die Hipster das sehen (wie Fettes Brot das sehen, weiß man ja). Das ist leicht herauszufinden, sofern man boshaft genug ist, um das Onlinemagazin ze.tt als ihr Sprachrohr ernst zu nehmen. Von ze.tt war hieramts ja schon das eine und andere Mal die Rede. Für heute genügt uns die Gewissheit, dass man sich dort der Themen annimmt, die junge Menschen von heute umtreiben: Sind Avocados vertretbar? Wie retten wir das Klima? Soll man auf einem Festival sein T-Shirt ausziehen?
Zu letzterer Frage hat ze.tt, weil sie ja wirklich auf den Nägeln brennt, eine kleine Umfrage veranstaltet. Hintergrund war natürlich nicht die Frage, ob Männer auf Festivals ihr T-Shirt ausziehen dürfen sollen – das wäre zu platt und kündete von einem betrüblichen Mangel an gesellschaftlichem Problembewusstsein. Vielmehr ging es darum, ob es genderpolitisch ein Bringer ist, wenn Festivalveranstalter ihren männlichen Besuchern verbieten, blank zu ziehen, weil es sozial unverträglich ist, weibliche Brüste auf Festivals dauerhaft zu entblößen und man daher als moderner Mann solidarisch verhüllt bleiben sollte. Der Tenor unter den befragten Männern: „von mir aus“. Der Tenor unter den befragten Frauen: „recht geschieht ihnen“. Besonders schön die Antwort von „Anna & Fox (22)“, die in nicht weniger als zehn Zeilen schulaufsatzmäßig zusammenfassten, worum es bei der Sache geht, um schließlich zu dem Fazit zu gelangen, dass strukturelle Ungleichbehandlung durch eine T-Shirt-Pflicht für Männer nicht zu beseitigen sein wird. No shit, Sherlock! Einhaken müssen wir jedoch bei Jolan, der zu bedenken gab: Was haben wir davon, wenn sich am Ende niemand mehr ausziehen kann, obwohl es ja viele vielleicht gerne wollen?
An dieser Stelle ist es Zeit für euren Ergebenen, sich (nicht zum ersten Mal!) als konservativer Scheißer zu outen. Noch nie habe ich mich bemüßigt gefühlt, mich abseits beschwimmbarer Wasserflächen in der Öffentlichkeit „frei zu machen“. Das sei vorausgeschickt, ehe ich Jolan erkläre, was wir davon haben, nämlich an einem Beispiel: Was haben wir davon, wenn am Ende niemand in der Straßenbahn furzt und sich dann selber applaudiert, obwohl es ja viele vielleicht gerne wollen? Die Antwort haben wir alle in der Schule in Philo gelernt: Persönliche Freiheit geht vollrohr in Ordnung, solange die Ausübung meiner Freiheit die deinige nicht einschränkt. Beziehungsweise, wie die möglicherweise baldige SPD-Chefin Franziska Giffey einmal gesagt hat: Die Freiheit, deinen Arm zu schwingen, endet dort, wo meine Nase beginnt. Man unterschätze also nicht die Anzahl der Menschen, die gerne ihre Freiheit ausüben, in der Öffentlichkeit keine unbekleideten fremden Oberkörper zu sehen. Das Ausziehverbot für Männer dient der Erhaltung dieser Freiheit. Schönes Wochenende!

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