Freitag, 19. Juli 2019

Vergangenheiten

O teure und klassisch gebildete Lesehäschen, euer ergebener Kolumnator beschäftigt sich derzeit mit der Vermittlung lateinischen Grundwissens. Die Gründe dafür würden zu weit führen, genügen muss einstweilen ein lateinisches Sprichwort: Duo si faciunt idem, non est idem. Auf gut Deutsch: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe.
Wie betrüblich wahr das ist, merkst du zum Beispiel daran, dass dir schon nach der achten Hochschaubahnfahrt schlecht wird, während es dein Kind erst nach der fünfundzwanzigsten reckt. Früher war halt alles besser, auch das eigene Gleichgewichtsorgan!
Dass die Sprache feinere Unterschiede zwischen scheinbar gleichen Formulierungen kennt als deine Mudda zwischen Schwammtuchmarken, versteht sich von selbst. Höchst erfreulich, dass auch Kunden ein Ohr dafür haben, wie der Zweckdichter kürzlich erfahren durfte. Beinahe wäre ein Werbemittel in Druck gegangen, in dem zu lesen stand: Sie überzeugen zum richtigen Zeitpunkt mit dem passenden Angebot. Dem scharfen Auge auf Kundenseite ist es zu verdanken, dass dieser Fauxpas der Zielgruppe erspart blieb, in deren Sprachzentrum sich nun stattdessen eine weit geschmeidigere Formulierung schlängelt: Sie überzeugen mit dem passenden Angebot zum richtigen Zeitpunkt.
Schwein gehabt! Noch besser wäre vielleicht gewesen: Sie überzeugen mit dem richtigen Angebot zum passenden Zeitpunkt. Aber über Geschmäcker soll man ja nicht streiten, deshalb genug vom Feedback und her mit einer noch weit geschmäcklerischeren Frage.
Es begaben sich nämlich folgende beiden Wendungen:
Eine Idee entsteht, ohne dass ein Briefing hat stattfinden müssen.
und
Eine Idee entsteht, ohne dass ein Briefing stattgefunden haben muss.
Ist das nun das Gleiche oder nicht? In beiden Fällen ist ein Umstand formuliert, auf dessen Vorhandensein es nicht ankommt. In beiden Fällen drückt die Zeitenfolge (Präsens im Hauptsatz, Perfekt im Modalsatz) aus, dass das Eintreten jenes Umstandes vorgelagert ist. Und doch sind sie verschieden: hat stattfinden müssen lässt alles in der Vergangenheit stattfinden, weil hat müssen das Perfekt von müssen ist, mit stattfinden als vom Modalverb abhängigem Infinitiv.
Im zweiten Fall hingegen liegt in der Gegenwart eine Notwendigkeit vor (freilich verneint): etwas muss, nämlich stattgefunden haben. Damit ist hier klarer ausgedrückt, dass eine Handlung in der Vergangenheit Auswirkungen in der Gegenwart hat (oder eben nicht), und darum geht es ja in diesem Satz.
So zeigt sich wieder, dass die Sprache für gar manche Eventualität eine unvermutete Feinheit bereithält. Wolltest du zum Beispiel etwas über ein erhaltenes Feedback sagen, so könntest du dich für die erste Version entscheiden:
Änderungen werden eingekippt, ohne dass eine Reflexion hat stattfinden müssen. Darin spiegelte sich aufs Angemessenste, dass die Änderungen sich zwar auf dein aktuelles Befinden auswirken, dass es aufs Nachdenken zuvor jedoch keineswegs ankommt.
Schönes Wochenende!

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