Willkommen im neuen Jahr, o nur geringfügig gealterte, im Übrigen
aber bestens erhaltene und rundum knackige Lesehäschen! Im neuen Jahr stellt
sich die Frage, wie man Jugendlichen vor Augen führen kann, dass sie keinen Blödsinn machen sollen. Euer Kolumnator
hat nämlich gelernt, dass es heutzutage nicht mehr statthaft ist, dies mittels
der zu befürchtenden Konsequenzen zu tun.
Was schreibt er da? Gemach, die Aufklärung folgt sofort: Auf
Bahnhöfen geschehen bisweilen Unfälle, und manchmal sind die Opfer junge
Menschen. Diese laufen über den Bahndamm, weil sie verpennt haben und noch den
Zug erwischen wollen, um zur Matheschularbeit zurechtzukommen. Oder sie stellen
sich auf die Brücke und schiffen auf die Oberleitung, weil der Kevin „feig!“
gesagt hat, und was dann passiert, mag man sich gar nicht ausmalen, glaube ich.
Die meisten jedenfalls nicht, hoffe ich.
Kurz: Auf Bahnhöfen soll man vorsichtig sein, auch im
Interesse der ÖBB, denn wenn so ein Jungspund unter den Waggon gerät, sind die
Möchtegernreisenden drei Stationen weiter ob der resultierenden Verspätung ja
auf die ÖBB angefressen und nicht auf den verstümmelten Jungspund. Deshalb
ließen sich die ÖBB eine entsprechende Kampagne basteln, die sich das Abschreckungsprinzip zu eigen machte:
Man sah junge Menschen, die mittels der Magie von Photoshop mit bleibenden
Schäden ausgestattet wurden und daher zum Beispiel im Rollstuhl saßen oder eine
Beinprothese trugen. Die Botschaft war klar: Nicht über den Bahndamm laufen,
sonst könntest du verstümmelt werden.
Zahlreiche Behindertenorganisationen, allen voran eine namens
„Selbstbestimmt Leben Initiative Österreich“, fanden das fürchterlich
unsensibel, weil die Kampagne „bestehende Vorurteile ausnützt und verstärkt“.
Das Vorurteil besteht darin, dass Behinderte „als Opfer eines Fehlverhaltens
dargestellt“ werden. Dabei stößt den Betreffenden nicht nur sauer auf, dass man
auch auf den Rollstuhl angewiesen sein kann, ohne den entsprechenden Unfall verschuldet,
ja sogar ohne einen solchen erlitten zu haben, was nur eine Verwechslung von
Feststellung und allgemeinem Wahrheitsanspruch wäre. Vielmehr bemängelt die
SLIÖ auch, dass die Kampagne nicht zeige, „wie mit Unfällen umgegangen und
gelebt werden kann“.
Das verstehe ich nicht. Wenn jemand einen Unfall hat und
deshalb nicht mehr gehen kann, dann zeigt der Rollstuhl doch, wie man mit
diesem Unfall umgeht und mit den Folgen lebt? Natürlich zeigt er nicht, dass
man als Rollstuhlfahrer ein voll cooles
Leben führen kann mit allem Drum und Dran. Aber die Presseaussendung, die die
SLIÖ rausballert, wenn die ÖBB Jugendliche vor Leichtsinn warnt, indem sie
ihnen zeigt, wie lässig man es als Rollstuhlfahrer hat – die Presseaussendung
würde ich gerne lesen!
Die ÖBB haben die Kampagne übrigens zurückgezogen und durch
eine ersetzt, an der bisher niemand Anstoß genommen hat.
Wir lernen daraus, dass Rollstuhlfahrer und Prothesenträger sich einer wesentlich
leistungsfähigeren Lobby erfreuen
als als Raucher. Denn man kann zwar auch einerseits an Folgen des Rauchens
leiden und trotzdem selbstbestimmt und erfüllt leben. Und man kann andererseits
auch impotent werden, früh sterben, Lungenkrebs kriegen oder ein kränkliches
Kind gebären, ohne jemals geraucht zu haben. Aber trotzdem ist es gesellschaftlich
akzeptabel, impotente Lungenkrebskranke auf jedem Tschickpackerl damit zu
konfrontieren, dass sie wahrscheinlich selber schuld sind. Es ist aber nicht
akzeptabel, depperte Pubertierende damit zu konfrontieren, dass sie
möglicherweise im Rollstuhl landen, wenn sie über die Bahngleise hopsen. Also
Vorsicht mit dem, was ihr sagt, und schönes Wochenende!

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