Wer, o gedächtnisstarke Lesehäschen, erinnert sich noch an die letzte Singleauskoppelung der Ersten Allgemeinen Verunsicherung vor ihrem ersten Nummer-1-Hit? Ja klar, das war Ba-Ba-Banküberfall, damals am 1. Dezember 1985. Die Scheibe schaffte es auf Platz 4, im März darauf kam der Märchenprinz. Wer hat damals besonders gut aufgepasst? Nicht etwa unser vielgeliebter Herr Bundeskanzler, denn der hat immer gut aufgepasst, weshalb es eine unangemessene Unterstellung wäre, zu behaupten, er habe einmal besonders gut aufgepasst. Gut aufgepasst hat er aber, wie man ihm anhört. Daran ersieht man wieder einmal seine Erlöserqualitäten. Dürfte doch die Zeugung des damals gerade erst werdenden Bundesbauxerls am oder um jenen 1. Dezember vonstatten gegangen sein, und schon war er aufmerksam!
Denn was, um die Glückssträhne der rhetorischen Fragen nicht abreißen zu lassen, hat der Ich-Erzähler der besagten Panzerknackerhymne laut eigenem Bekunden? An Hunger und an Durscht, also, falls das einmal jemand nördlich des gern launig so genannten Weißwurstäquators lesen sollte, einen Hunger und einen Durst.
Dies ist eine sprachliche Spezialität, besser gesagt, ein Schmankerl, das einen eigenen Namen verdienen würde: dass man nämlich dem Sprachduktus einen dialektal-umgangssprachlichen Anstrich verleiht, indem man nicht Zählbares mit dem unbestimmten Artikel verheiratet. Denn dieser ähnelt bekanntlich dem ersten Zahlwort in einer schier nicht enden wollenden Reihe derselben, der Eins!
Warum umgangssprachlich? Weil, so die Logik der Näselnden, nur ein Umgangssprecher freiwillig den Eindruck erweckt, er würde Unzählbares zählen. Wie dank EAV allseits bekannt, hat man im erdigeren Umfeld Ostösterreichs nicht Hunger, sondern einen Hunger, und nicht Durst, sondern einen Durst. Der Klugscheißer rümpft darob die Nase.
Nicht so der Kanzler, dessen rhetorische Begabung sich, beiläufig gesagt, in dem Kunstgriff erschöpft, genau diesen unbestimmten Artikel zu setzen, auf dass am Ende Volkstümlichkeit herauskomme. Deshalb hat er uns in seiner Rede zum jüngsten Lockdown erklärt, wann wir hinausdürfen: wenn wir einen Bedarf haben. Möglicherweise auch mit zwei Bedarfen, oder Bedärfern, oder Bedarfsenen, wer weiß das schon so genau. (Wer es genau wissen will: Duden kennt „fachsprachlich“ tatsächlich den Plural Bedarfe. Er kennt allerdings auch den Plural Milche, der ebenfalls nur etwas für Spezialisten ist.)
Der Kanzler also gesteht uns zu, nicht nur mehrere Gründe fürs Hinausgehen zu haben, sondern auch mehr als einen Bedarf. Es ist sehr schön von ihm, dass er im Wege der Artikelvergabe ein gerüttelt Maß an Volksnähe beweist. Vielleicht hat er eine Angst, er würde andernfalls nicht wiedergewählt. Er könnte natürlich auch darauf vertrauen, dass er im Ernstfall ein Glück haben wird.
Was er einstweilen jedenfalls außer unbestimmten Artikeln zu vergeben hat, sind bestimmte Summen. Hat sich Herr Kurz doch im vergangenen Mai dazu gezwungen gesehen, schweren Herzens das Repräsentationsbudget, das ihm als Kanzler für Einladungen, Reisen und sonstige Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung steht, zu vervierfachen. Wer weiß, vielleicht könnte Faymann noch Kanzler sein, wenn er rechtzeitig auf diese Königsidee gekommen wäre! Wie auch immer: Kurz hatte die Idee, hat sie umgesetzt und hat deshalb jetzt was? Genau: ein Geld, hingegen immer noch weniger als 1 Erbarmen mit ersaufenden Flüchtlingen.
Schönes Wochenende!