Willkommen, o frischgewaschene Häschen, im neuen Jahr! Umsomehr, als man mit Fug behaupten darf: So viel neues Jahr war noch nie! Denn es bemisst sich ja die Neuheit danach, wie froh man darüber ist, dass man das alte Graffelwerk endlich zum ASZ bringen kann (für Stadtbewohner: Altstoffsammelzentrum, in vielen kleineren Siedlungen ein Hotspot des gesellschaftlichen Lebens, denn wo kein NahVERsorger mehr gedeiht, gibt es oft immer noch eine ENTsorgungsmöglichkeit für all den Schrott, den man sich übers Internet bestellt). Und wer würde 2020 nicht gerne auf die Müllhalde der Geschichte kippen!
Besser wird es nicht zuletzt deshalb, und da lässt euer Kolumnator jetzt ungeniert den alten Sack raushängen, weil wir nicht etwa viele Missliebigkeiten des alten Jahres nicht mehr erinnern werden, sondern weil wir uns an gedachte Missliebigkeiten nicht mehr erinnern werden.
Wie war das?
Je nun, es gab eine Zeit, an die sich die allermeisten noch erinnern, in der erinnern ein reflexives Verb war. Man erinnerte sich an die alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat. Man erinnerte sich an die eigene Schulzeit, die sich nur in digitalen Details vom Bildungsalltag des eigenen Nachwuchses unterschied. Und man erinnerte sich daran, wie es war, als erinnern noch nicht transitiv war.
Jetzt geht es nicht ohne Einschub, weil es nämlich immer schon ein zweites erinnern gab, nämlich das transitive erinnern: Ich erinnere dich daran, vom Bäcker glutenfreie Semmeln mitzubringen. Hier ist dich ein Objekt im vierten Fall (wen oder was erinnere ich?), und wenn ein Verb ein Objekt im vierten Fall hat, nennt man es transitiv, hihi. Vielleicht erinnert ihr auch einander daran, die Mathehausübung rechtzeitig voneinander abzuschreiben. Dann ist einander das Objekt im vierten Fall. Ein solches transitives Erinnern geht nur mit Personen. Zwar kann das Handy mich daran erinnern, den Müll rauszubringen, aber nicht umgekehrt.
Mittlerweile ist uns aber ein drittes erinnern zugewachsen, das ebenfalls transitiv zu sein scheint. Wer es in Aktion sehen will, muss bis zum Anfang des Universums zurückreisen, nämlich zum Anfang des Marvel Cinematic Universe. Denn im ersten Avengers-Film diskutieren die göttlichen Hallodribrüder Thor und Loki nicht etwa, woran sie sich erinnern, sondern was sie erinnern. Als Zuschauer denkt man sich, dass das ein sprachliches Mitbringsel aus Asgard sein könnte, wo die Eisriesen vielleicht schon dies und jenes zerdroschen haben, warum also nicht auch die eine oder andere sprachliche Feinheit. Man lernt dann, dass es in Norddeutschland gang und gäbe ist, etwas zu erinnern. Man fragt sich als Nächstes, warum die Synchronisationsverantwortlichen eine Avengers-Fassung für Nordlichter erstellt haben und ob es auch eine in Standarddeutsch gibt. Bis einem einfällt, dass ja nicht nur Norddeutsche etwas erinnern, sondern auch Engländer samsing rimembern, sodass man enttäuscht zur Kenntnis nimmt, dass wir es also mit einem nicht mit einem sympathischen Fischkoppismus, sondern mit einem doofbanalen Anglizismus zu tun haben, der einstweilen noch weit eher Sinn macht als ergibt.
Und weil wir uns 2021 erinnern werden, wie es im Lockdown war, anstatt den Lockdown zu erinnern, deshalb wird 2021 so prächtig.
Schönes Wochenende!
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