Freitag, 30. April 2021

Rechenbeispiel

 

Ihr kennt das bestimmt, o teure Lesehäschen: Man findet sich irgendwo ein, dort sollte jemand auftauchen, der weiß, wo es langgeht, und stell dir vor, keiner geht hin. In der Grammatik sieht das dann zum Beispiel so aus:

Eingerichtet wurde der Blog von PR-Muftis und kann somit als Täuschungsmanöver betrachtet werden.

Irgendwas stimmt da nicht. Das kann im zweiten Satzteil steht herum wie bestellt und nicht abgeholt. Glatt aufgehen würde etwa diese sprachliche Gleichung:

Der Blog wurde von PR-Muftis eingerichtet und kann somit als Täuschungsmanöver betrachtet werden.

Oder auch diese:

Eingerichtet wurde der Blog von PR-Muftis, somit kann er als Täuschungsmanöver betrachtet werden.

Was ist geschehen? Wenn zwei Hauptsätze aneinandergereiht sind, die sich ein Subjekt (nämlich den Blog) teilen, so wie – Bildungsauftrag! – die Graien der griechischen Mythologie, die zu dritt mit nur einem Auge und einem Zahn auskommen müssen, dann gilt es dieses Subjekt entweder voranzustellen. Oder es geht sich halt nicht aus, dann muss man ein zweites Subjekt (hier „er“) herbeirufen.

Wenn aber die Prädikate (eingerichtet wurde und kann) vorneweg marschieren, ohne dass im zweiten Glied ein Subjekt mithampelt, dann kann man das, in den unsterblichen Worten meines geliebten Lukas, schon machen, aber es sieht dann halt kacke aus.

Im ÖVP-Blog geschieht nicht selten Ähnliches, weil man als soigniertes Chefsubjekt halt nicht überall sein kann und die beiden Schacklprädikate einen Schmarren hinschreiben, so schnell kannst du gar nicht schauen.

Heute lernen wir nämlich den schönen und leider unübersetzbaren Ausdruck to bury the lede. Er bedeutet, dass ein (obacht, jetzt folgt ein schönes Beispiel für eine Formulierung, die uns das Gendersternchen erspart) journalistisches Nackerbatzerl das Wichtigste an einem Artikel (eben: the lede) irgendwo im Inneren versteckt und sich bis dahin in weniger interessanten Details verliert.

Sebastian Winter (das ist der kongeniale Kollege von Peter Stöckl bei zur-sache.at) liefert dafür ein Beispiel in seinem „Artikel“ über zusätzliche Impfdosen, die Österreich zuteil werden sollen. Stolz verkündet er, dass „für Mai von diesen zusätzlichen Dosen rund 410.000 erwartet“ werden. Im Gesundheitsministerium, so führt er aus, schließt man daraus, „dass im Mai zwischen 400.000 und 500.000 Impfdosen in Österreich erwartet sind“.

Man würde nun zumindest ein empörtes Gicksen erwarten ob der Tatsache, dass die Regierung ursprünglich anscheinend überhaupt keine Impfdosen für Mai erwartet hatte (da ja die gesamte erwartete Menge in den zusätzlichen Dosen aufgeht), aber irgendwie ist das an Herrn Winter vorbeigegangen. Ein noch empörteres Gicksen wäre fällig ob der Tatsache, dass in der letzten Aprilwoche mehr Impfdosen eintrudeln als laut Herrn Winter im ganzen Mai, aber das ist dann irgendwie auch schon wurscht.

Man darf raten, welches Organ sich die beiden Nachwuchspolitiker teilen, und man darf ein bisschen Mitleid mit ihrem Chef haben, aber nur ein bisschen. Denn wir sehen daran, dass man erstens in den Grundrechnungsarten genauso schwach sein kann wie in Grammatik und trotzdem noch einen ÖVP-Blog schreiben, und dass man zweitens, wenn man sich darauf einlässt, solche journalistischen Inselbegabungen leiten zu wollen, bekommt, was man verdient.

Schönes Wochenende!


Freitag, 23. April 2021

Untypisch

 

Wie, o teure und medial stets auf dem Quivive befindliche Lesehäschen, geht es denn zur-sache.at, dem sogenannten Blog, den sich die ÖVP angeblich wachsen hat lassen, um „die Diskussion zu versachlichen“, was in der Praxis darauf hinausläuft, dass ÖVP-Politiker Beiträge von zur-sache.at teilen, damit bei Unbedarften der Eindruck entstehe, ein journalistisches Medium habe etwas Positives über das Gebaren der türkisen Reichshälfte zu sagen?

Antwort: den Umständen entsprechend. Weshalb der Chef dieser Veranstaltung, Claus Reitan, sich als erfahrener Journalist den Schmarren antut, ist ein Geheimnis, das hoffentlich nur er selber kennt, denn wenn es jemand von der ÖVP weiß, dann ist das auch schon die Antwort darauf, warum er mitspielt.

Dass seine beiden Schackln hoffen, hier parteiintern zu punkten, ehe sie 25 werden, liegt auf der Hand. Unterwindet man  sich tatsächlich der Lektüre ihrer Beiträge, stellt man – wenig überraschend – fest, dass ihre Pöstchen offenbar nach dem Prinzip „schreiben kann eh jeder“ besetzt wurden. Wer hier ein Kopfgeld auf gerade Sätze aussetzt, muss ebensowenig die Verarmung fürchten, wie jemandem, der sich bei jeder von einer gesellschaftlichen Vision getragenen Aussage des Kanzlers einen Schnaps genehmigt, der Weg in die Trunksucht vorgeizeichnet ist.

Sucht man hingegen die geschossenen Böcke auf, so findet man sich in einem, wie der Engländer sagt, target-rich environment wieder. Man muss sich schon fragen, auf das Niveau welcher Zielgruppe man sich begibt, wenn davon die Rede ist, dass bei uns höhere COVID-Unterstützungen ausgezahlt werden „als wie in Deutschland“. (Antwort: 23-jährige Möchtegern-Politkarrieristen, denen bei so mancher Klassensprecherwahl noch übler mitgespielt wurde als bei der Deutschschularbeit.) Auch der fast vergessene Babyelefant trabt noch durch die Sätze, wenn etwa von einem „pro Kopf Schlüssel“ die Rede ist, in dem jedes Wort vom anderen brav Abstand hält, weil der „Redakteur“ gefürchtet hat, durch die naheliegende Koppelung mit Bindestrichen eine Infektionskette zu provozieren.

Unlustig wird es, wenn dem wahrhaftigen Journalisten Florian Klenk unterstellt wird, er habe Angehörige von Personen, die vor dem Ibiza-Ausschuss befragt werden, in sozialen Medien persönlich beleidigt, was zwar ein Blödsinn ist, womit sich aber der „Redakteur“ die Rutsche legt, um wiederum Klenk als „Kollegen“ zu beleidigen. Dieser Peter Stöckl ist jemand, der kraft seiner journalistischen Expertise nichts dabei findet, Sätze wie diesen zu schreiben: „FMA-Vorstand Helmut Ettl wird in Commerzialbank-Skandal als Beschuldigter geführt.“ Wir haben zwar in den vergangenen Monaten allerlei Erstaunliches über die österreichische Justiz gehört. Dass sie aber neben Instituten wie dem Zivil- und dem Strafprozess auch den „Skandal“ kennt und dass man in einem solchen „als Beschuldigter geführt“ werden kann – um das zu lernen, haben wir die versachlichende Kraft von „Zur Sache“ gebraucht, welches Organ man nur dankbar darauf hinweisen kann, dass „im“ Commerzialbank-Skandal sich noch graziöser läse als „in“.

Leider sind nicht alle Beiträge von „Zur Sache“ namentlich gezeichnet. Nur zu gerne wüsste man, wem wir die Aufklärung verdanken, was das Ziel des „Girls’ Day des Bundes“ ist: dass nämlich Mädchen „in Ministerien und anderen Institutionen Einblicke in für sie untypische Berufsfelder […] bekommen.“ Gut zu wissen, dass der offizielle Blog der Neuen ÖVP ein Ministerium als untypisches Berufsumfeld für Mädchen sieht. Schönes Wochenende!

Freitag, 16. April 2021

Datenschonzeit

 

Willkommen zurück, o vernünftige und distante Lesehäschen! Euer Kolumnator ist – hoffentlich endgültig – aus dem Coronaland heimgekehrt. Wollt ihr wissen, wie es dort war? Anders als vermutet, soviel ist sicher. Denn einst (so um den 50. März 2020, und heute ist erst der 412.) – einst also ward uns versichert, es sei ganz, ganz wichtig, die Infektionsketten nachzuvollziehen, auf dass man sie unterbreche.

Ist ja auch klar: Wenn du wissen willst, wo du das in langen Lockdownnachmittagen liebevoll im Geiste Bob Rossens (there are no mistakes, just happy little accidents) gepinselte Nacktselbstportrait aufhängen kannst, ohne dass es abends in der Hütte dunkel bleibt, dann solltest du herauskriegen, wo die Stromleitung ist, ehe du den Nagel  einschlägst. Und wenn du deinen Dackel retten willst, ehe ihn der Dachs dauerhaft einbuddelt, dann musst du wissen, wo die Gänge des Baus verlaufen. (Wer jagdlich jetzt nicht so versiert ist: Der Dackel heißt so, weil er einst für die Dachsjagd gezüchtet wurde, und die Tieferlegung des Dackelgestells soll das Einfahren in den Dachsbau erleichtern. Der Dachs ist aber ein boshaftes Viech und es kommt durchaus vor, dass er den ungebetenen Dackel bei lebendigem Leibe eingräbt, weshalb der kluge Jäger rechtzeitig mit dem Spaten bei der Hand ist.)

Der Dackel profitiert davon, dass für den Dachs zwar von Jänner bis Mai Schonzeit gilt. Die Dachsdaten sind aber ganzjährig Freiwild, sodass man ohne weiteres eruieren darf, wo der Dachs und seine Gänge sich befinden.

Anders steht es um die Menschendaten, die als höchst schutzwürdiges Gut gelten, was allen, die Corona härter erwischt, als tröstliches Glück im Unglück bleibt: Deine Daten, mein Guter, sind so sicher wie eh und je, auch wenn es deine Zellen nicht sind.

Deshalb, so die Vermutung eures Ergebenen, war das „Tracing“ vielleicht einmal wichtig. Doch jetzt ist komplett nebbich: Wenn du als Infektionsfall agnosziert bist und von der zuständigen Stelle gefragt wirst, wo du dich angesteckt hast, und du dann antworten kannst: „Ich vermute stark, es war bei einer inoffiziellen Party, wo wir uns zwei, drei Stunden angetschechert und zwischendurch die Zungen in den Hals gesteckt haben. Daran teilgenommen haben außer mir folgende Personen Doppelpunkt.“ – dann freut man sich höchstwahrscheinlich, kontaktiert die Betreffenden und teilt ihnen mit, dass das mit dem Zungeindenhalsstecken nicht so die Königsidee war.

Sagst du hingegen: „Hm, das könnte in der Seilbahn geschehen sein, mit der ich in letzter Zeit immer wieder mal gefahren bin, wenn auch natürlich vorschriftsgemäß maskiert etcetera.“ – dann erwidert die Tracingstimme: „Also unbekannt.“ Und dein Tracing ist beendet. Denn es waren zwar du selbst und wenigstens die Hälfte der anderen Passagiere bei jeder Fahrt mit einem nicht übertragbaren Saisonticket unterwegs, sodass die Seilbahngesellschaft zu einem gegebenen Zeitpunkt weiß, dass der und die und der auch gemeinsam mit dir unbewusster Virenschleuder in der Gondel waren. Sie muss das aber ganz schnell wieder vergessen. Denn das Virus, so die Logik, ist irgendwann besiegt. Das Datum aber, dass du am soundsovielten Mustermonat um neunuhrdreißig mit einer ganz bestimmten Gondel gefahren bist – wenn diese Katze einmal aus dem Sack ist, fängt sie keiner mehr ein. Man mag sich gar nicht vorstellen, was da alles passieren könnte, wenn das herauskommt!

Obwohl: Ein bisschen mag ich es mir schon vorstellen. Und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es in 99,99 % der Fälle pforzpiepegal wäre, nur dass man halt, wenn man solche Daten weniger porzellankistenartig behandelte, eventuell die Chance hätte, tatsächlich hin und wieder die eine oder andere Infektionskette nachzuvollziehen. Nur so ein Gedanke. Man könnte ja die Schonzeit für Daten wieder ausrufen, wenn wir diesen Pandemiescheiß im Griff haben. Dachse gibt es auch immer noch reichlich, obgleich sie sieben Monate im Jahr gejagt werden dürfen.

Einstweilen seien euch Gesundheit, gegebenenfalls ein milder Verlauf und jedenfalls ein schönes Wochenende herzlichst angewunschen!