Freitag, 28. Mai 2021

Ein-Mann-Überwachungsstaat

 

Dieses zur-sache.at, o politisch interessierte Lesehäschen, ist einfach immer einen Besuch wird. Dort findet man ganz neue Aspekte an Dingen, die man längst behirnt zu haben glaubte. Freilich sind es oft etwas sonderbare Aspekte, sodass sich vor dem einschlägig Interessierten eine Wiese voller Stilblüten ausbreitet, die aber wegen der allzu zahlreich herumliegenden Kadaver geschossener Böcke stark ins ästhetisch Fragwürdige lappt.

Euer Ergebener meint damit nicht die Kampagne zur Abschaffung des Genitiv (nicht etwa „des Genitivs“), die anscheinend top-down gefahren wird: Wenn dem Chefredakteur der Inhaber „des Gasthaus“ recht ist, so darf dem Unterschackl die Ausstellung „des Pass“ nur billig sein. Offen bleibt, ob der zweite Fall in seiner Rolle als Juniorpartner oder aber als Opposition des ersten über die Klinge springen soll.

Darum also soll es nicht gehen, sondern vielmehr um die feine Klinge, die der Chefredakteur zu führen weiß, wenn es die Sache seines Klienten, also der Neuen ÖVP, gilt. Zur großen Freude von zur-sache.at hat nämlich Joachim Lottmann in der Welt einen Essay darüber geschrieben, wie arm die Politiker sind, weil die Journalisten so gemein zu ihnen sind. Dieser verbirgt sich zwar hinter der Bezahlschranke der Welt, aber Chefredakteur Reitan hat schön für uns zusammengefasst, was Lottmann zur Ibiza-Affäre eingefallen ist. Gudenus und Strache wurden dort nämlich "abgefüllt und abgehört“ (für solche Formulierungen braucht man den Popliteraten, gelernt ist gelernt!), wodurch sich Lottmann an das umfassende Spitzelsystem erinnert fühlt, das Fürst Metternich einst in Österreich errichtet hatte und jenes andere, als in der DDR die Stasi damit beschäftigt war, die Bevölkerung zu belauschen und ihre Briefe zu öffnen.

Und tatsächlich: Wenn man so drüber nachdenkt, ist das doch in Ibiza genauso gelaufen! Ein Beamtenheer trat ins Glied, um im Rahmen einer generalstabsmäßig geplanten Großaktion zwei bis dahin praktisch unbescholtene Staatsbürger in einen Hinterhalt zu locken und anschließend an den Pranger zu stellen. Eigentlich irre, dass es volle zwei Jahre gedauert hat, bis das jemandem auffällt! Jaja, der Blick von außen ist oft der klarere, und wir gelernten habsburgischen Untertanen sind für das Offensichtliche bisweilen blind.

Man kann die Beflissenheit nur kopfschüttelnd bestaunen, mit der ein einstiger Journalist diesen Schmarren an die Öffentlichkeit trägt. Und man kann nur spekulieren, dass hier das Belauschen von Politikern überhaupt in Misskredit gebracht werden soll, nach dem Muster: Wenn es schon böse und schlecht ist, die zwei Schießbudenfiguren auf Ibiza heimlich zu filmen, wie böse und schlecht ist es dann erst, die Chatprotokolle von Sebastian und Gernot nachzulesen! (Wobei noch zu klären bleibt, wer von ihnen den größten Schaden angerichtet hat.) Das ist dann das gefinkelte journalistische Bandenspiel, bei dem freilich, wenn es blöd hergeht, unterm Strich auch nur übrig bleibt, dass Gernot und Sebastian immerhin nicht ganz so deppert sind wie Haze und Johann.

Wenigstens lernen wir daraus, dass einem kein Gefährte zu doof ist, wenn man es sich zur Aufgabe hat machen lassen, die ÖVP gut dastehen zu lassen. Es darf einem halt nicht gleich grausen, und vermutlich hat sich der Herr Reitan schon angewöhnt, die Sachertorte gleich mit dem Schweinsbraten zu essen, weil im Magen ja eh alles zusammenkommt.

Und noch etwas haben wir gelernt: Wikipedia ist durchaus einen Klick wert, durch den man dann erfährt, dass Herr Lottmann „auch in seinen journalistischen Arbeiten einen lockeren Umgang mit Tatsachen“ pflegt. Allerdings.

Schönes Wochenende!

Freitag, 21. Mai 2021

Nein doch

 

Endlich, liebe Lesehäschen, müssen wir der Klarheit nicht mehr ermangeln. zur-sache.at, der ÖVP-Blog, der sich journalistisch findet (jaja, Selbstbild und Fremdbild), hört endlich auf, uns nicht über sprachliche Sachverhalte aufzuklären. Anlass ist die Frage, ob der Bundeskurze die Gelegenheit nicht ausgelassen hat, dem Ibiza-Untersuchungsausschuss nicht die Wahrheit zu sagen, und zwar auf die Frage zu Thomas Schmid und der ÖBAG-Bestellung: „Haben Sie mit ihm nie darüber gesprochen, dass er das werden könnte?“ Kurz erwiderte: „Nein, es war allgemein bekannt, dass ihn das grundsätzlich interessiert …“.

Dem profil-Journalisten Gernot Bauer fiel daran auf, dass der Wunderkanzler eine verneinte Frage verneint und damit „genau genommen“ den Frageinhalt bejaht hat: Nein, ich habe nicht nie mit ihm darüber gesprochen, also: Ja, ich habe mit ihm darüber gesprochen.

Darüber war Profiblogger Sebastian Winter natürlich in seiner „Analyse“ nicht traurig und eröffnet gleich mit der Behauptung, Bauer sei der Ansicht, dass der Bundeskanzler tatsächlich ausdrücken wollte, er habe mit Schmid über die Postenvergabe gesprochen. Angesichts dessen, dass Bauer die Sache als „Funfact“ präsentiert, ist das zumindest mutig.

Selbst der WKStA – darüber freut sich Herr Winter natürlich noch mehr – ist die Sache aufgefallen. Sie merkt an, dass „im allgemeinen Sprachgebrauch“ eine verneinte Frage nicht mit „Nein“ abgelehnt wird sondern mit „Doch“. Nicht unnniedlich ist nun, was bei zur-sache.at als rhetorischer Kniff durchgeht: Die WKStA versuche „auf den allgemeinen Sprachgebrauch, also die Umgangssprache, zu verweisen“. Na geh, Sebastian Winter, das kannst du aber nicht schlechter! Einfach zu behaupten, allgemeiner Sprachgebrauch und Umgangssprache seien ident, das ist doch etwas billig. Im allgemeinen Sprachgebrauch spricht man einen Bundeskanzler als „Herr Kanzler“ an, das ist nicht dasselbe, als würde man Oida zu ihm sagen.

Es ist aber eh wurscht. Worauf es ankommt: Sprachliche Logik ist nicht nicht nicht (ja, wir können sogar Dreifachverneinung!) dasselbe wie formale Logik. Eurem Ergebenen wurde in diesem Schuljahr mitgeteilt: Nur weil das Unterrichtsministerium erlassen hat, dass im ersten Semester eine Schularbeit durchgeführt werden darf, wenn bis 6. Dezember noch keine stattgefunden hat, lässt sich daraus nicht schließen, dass keine zweite Schularbeit mehr stattfinden darf, wenn bereits eine stattgefunden hat. (Spoiler: Natürlich ließ sich das sehr wohl schließen, weil man sogar im Unterrichtsministerium gerissen genug ist, für einen Erlass nicht die Formallogik heranzuziehen. Aber man muss gerade in „herausfordernden Zeiten“ – wer mir das ins Gesicht sagt, kriegt den großen „Mut-kann-man-nicht-kaufen-Orden“ in Form meines Handabdrucks auf die linke Wange – also, gerade in Zeiten wie diesen muss man auch den Mathematikprofessoren ihren Spaß lassen.)

Herr Winter mag sich diebisch darüber freuen, dass der Kanzler formal vielleicht doch nicht gelogen hat. Man muss dem Kanzler aber dafür erstens unterstellen, dass er zu doof ist, um zu wissen, wie man ausdrückt, dass der Inhalt einer verneinten Frage nicht zutrifft. Nämlich: „Lieber Thomas, hast du nie deinen Chatverlauf gelöscht?“ Erhoffte Antwort wäre: „Doch, Sebastian, keine Sorge, ich habe ihn gelöscht.“ Leider-Antwort: „Nein, Sebastian, das hab ich leider vergessen. Bald sieht Österreich meine Dick-Pic-Sammlung.“ Antwort, auf die nur Sebastian Winter kommen kann: „Nein, Sebastian, natürlich habe ich ihn gelöscht.“

Zweitens wäre ich gerne dabei, wenn Winter, Kurz und Schmid im Auto unterwegs sind und von der Polizei aufgehalten werden: „Wissen Sie nicht, wie schnell Sie gefahren sind?“ Wenn darauf einer von den dreien nicht vergeblich die Eier sucht, mit Nein zu antworten, kriegt er einen Schlecker von mir.

Schönes Wochenende!

Freitag, 14. Mai 2021

Recht billig

 

Von dem großen Alfred Polgar ist das Bonmot überliefert, er werde erst dann ein Flugzeug besteigen, wenn es sich eingebürgert habe, dem Piloten beim Aussteigen ein Trinkgeld zu geben. Alle, die nach geglückter Landung schon einmal applaudiert haben, mögen darüber nachdenken.

Wir anderen können uns über ein verwandtes Finanzproblem Gedanken machen, eingedenk der englischen Aufforderung put your money where your mouth is, also: Rede nicht nur daher, sondern tu das Richtige, selbst wenn es dich etwas kostet. Womit wir wieder beim Gendersternchen und seiner gesellschaftlichen Relevanz sind, also einer alten weißen Männerkolumne.

Vor einer Weile wurde hieramts vermerkt, das Sternchen fülle jene Leerstelle, für die es zuvor Bewusstsein geweckt habe. Einem boshaften Menschen wie eurem Ergebenen kann darob die Frage einschießen, ob diese Leerstelle wirklich so dringend der Füllung bedarf oder ob das Gendersternchen so etwas wie der Herrgottswinkel (für Spätgeborene: eine Zimmerecke, in der ein Kruzifix und eventuell sonst noch passende Devotionalien und Dekoartikel hängen) der Sprache ist: Man fühlt sich irgendwie besser, ob aber die Gemeinten davon etwas mitbekommen, bleibt fraglich. Denn man weiß nicht genau wie zahlreich jene Gemeinten eigentlich sind. Eine Studie nennt ein Prozent. Allerdings nicht ein Prozent der Bevölkerung, sondern ein Prozent jener, die aus medizinischer Sicht ins Trans-Spektrum fallen, also ungefähr ein Prozent von einem Prozent (die übrigen 99 Prozent medizinisch ausgewiesener Transpersonen fühlen sich als Männer respektive Frauen).

Andererseits verortete sich in einer US-Umfrage etwa ein Drittel der Befragten als „divers“. Man sieht daran, dass es offenbar nicht so einfach ist, festzustellen, wie divers man ist, wenn man divers ist.

Allerdings geht es ja, da sind wir sicher, beim Gendersternchen um Sprache. Und nicht jedes sprachliche Dokument ist ein Roman. Auch im Telefonbuch oder im Reisepass steht sprachlich Fixiertes. Was steht da genau? Nun: In Deutschland kann man sich aussuchen, ob man im Pass männlich, weiblich oder divers vermerkt haben will. Gebrauch gemacht haben von letzterer Möglichkeit bisher etwa 400 Personen, mithin ein Fünfundzwanzigtausendstel aller, die in jenem Zeitraum einen Pass erhalten haben.

Viele Unternehmen bemühen sich angesichts dieses Fünfundzwanzigtausendstels, das vielleicht sogar ein Dreitausendstel ist (je nachdem, wie viele auch gern ein D im Pass hätten, aber Repressalien in Reiseländern befürchten) aufs Löblichste um die sogenannte gendergerechte Sprache, was einst das Binnen-I meinte und heute das Sternchen bedeutet.

Zwischen den beiden gibt es freilich einen Unterschied: So ziemlich jede Firma hatte zu Zeiten des Binnen-I auch damals Toiletten für die beiden herkömmlichen Genders. So gut wie keine Firma, die sich des Gendersternchens befleißigt, prunkt aber mit einer Diversentoilette. Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber ich vermute, es hat damit zu tun, dass man vor der Errichtung einer solchen die gesellschaftliche Relevanz gern genauer geklärt hätte als vor dem Tippen eines *. Man will halt wissen, ob jeder dritte oder jeder fünfundzwanzigtausendste Besuch in der entsprechenden Anstalt ein diverser ist. Nämlich deshalb, weil Gendersternchen (die in einem handelsüblichen Gebrauchstext zehn-, vielleicht gar hundertmal so häufig vorkommen wie die damit Gemeinten in der Gesellschaft) nur die Anstrengung kosten, trotzdem weiterzulesen. Eine Installateurstunde hingegen kostet bei 130 Euro ohne Wegzeit.

Oder, und damit sind wir wieder bei den englischen Sprichworten: Talk is cheap.

Freitag, 7. Mai 2021

Mein linker kleiner Finger

 

Es ist ja meistens alles ganz einfach, o sprachlich firme Lesehäschen. Wenn einer sich nur um sich selber kümmert, schaut er auf sein Ego und ist ein Ego-ist. Wer sich in Sprachfragen auskennt, kann jenen, die das nicht von sich behaupten dürfen, die Zunge (lateinisch lingua) herausstrecken und sich Lingu-ist nennen. Wer das System gegen sich selbst auszuspielen trachtet, nimmt Leuten, die ihn vielleicht nötiger brauchen, den Sitzplatz nahe der Rezeption weg und ist ein Lobby-ist. Wer etwas ist, kriegt ein -ist eingehängt und ist das dann. So wird aus einem Wort ein neues Substantiv. Ich erzähle nichts Neues, wenn ich berichte, dass man auf ähnliche Weise auch Adjektive herstellen kann. Wenn etwas mit Komik zu tun hat, ist es kom-isch, wenn es aus Italien kommt, italien-isch, und wenn es echt der Hammer ist, tier-isch (zumindest bis ungefähr 1987).

Jedoch kann einem das eine oder andere span-isch vorkommen, wenn der Sprachgebrauch dir nicht etwa ein X für ein U, aber ein y für ein i vormacht. Denn wie nennt man jemanden, der Zeugs auswertet und dir dann erklärt, was es bedeutet? Das ist heute ein Analyst, den wir glaubich volley aus dem Englischen übernommen haben, wo man ja mit dem Ypsilon ein kuschliges Verhältnis pflegt. Bei uns hingegen steht das Ypsilon im Ruch des Geschmäcklerischen, wobei sich die Henne-Ei-Frage stellt, ob dies daran liegt, dass man den kleinen Finger abspreizen muss, um es zehnfingrig zu tippen, oder ob es die Position des linken Außenverteidigers auf der Tastatur innehat, weil es dort so gut hinpasst. Kein Wunder, dass es auf englischen Tastaturen mitten im Geschehen steht!

Im herkömmlichen Standarddeutschen jedenfalls hieß der Typ Analytiker. Darf man ruhig noch sagen, hat den Vorteil, dass man sich die ontologische Verunsicherung zwischen -ist und -yst erspart, freilich erkauft mit dem Nachteil, dass man eventuell selber als geschmäcklerisch gilt.

Die Ypsilon-I-Verunsicherung gibt es, ebenso wie die Herstellungsweise, auch für Adjektive, und zwar für alles, was mit Libyen (und eben nicht Lybien, sonst wäre ja alles klar) zu tun hat. Denn solche Dinge sind libysch, womit wir im Jahre 1934 angelangt wären. Als nämlich die Kommission zur Herstellung fehlender Wörter wieder einmal zusammentrat, weil Italien seine tripolitanischen Besitzungen nunmehr als Italienisch-Libyen bezeichnete und man damals ja sonst nichts zu tun hatte, bot sich die ganz große Luxusauswahl, wie man das entsprechende Adjektiv erzeugen könnte:

Libyisch nach spanischem Vorbild? Libyanisch wie in Brasilien? Libyenitisch, denn diese Methode ist im Jemen geläufig? Oder – naheliegend – libyenisch wie die italienischen Kolonialherren? War alles nix, beschlossen die Sprachkommissare, die es wohl ohnehin nie gegeben hat. Denn es hatten sich Bewegungen formiert, Demonstrationen waren an der Tagesordnung, die Zeitungsredaktionen quollen von Leserbriefen über. Was bewegte das Sprachvolk einst?

Muss man erst einmal draufkommen: Es gab zu wenige Wörter, die mit -ysch enden. Bis dahin waren das nur Flysch (das sind so Steine, für alle, die in Geo nicht aufgepasst haben) und faradaysch (wie der Käfig, der vor Blitzen schützt.) Wer jetzt nachgooglet und den Fluss Irtysch gefunden hat: Den könnt ihr behalten, für Eigennamen gelten eigene Regeln.

Also schuf die Kommission libysch auf Kosten der Logik, aber zur Freude der Sprecher*innen (mehr zum Sternchen vielleicht nächste Woche).

Schönes Wochenende und viel Spaß mit -ysch!