Freitag, 27. August 2021

Ganz indirekt

 

O vielgeliebte Lesehäschen, der Sommer geht in Pause, wobei man sich regional uneinig ist, ob Kaisers Geburtstag (18. August) oder Maria Empfängnis (15. August) den Abschied einleitet. Weiters ist die Frage, ob eine indirekte Frage im Konjunktiv zu formulieren ist respektive sei.

Da haben wir schon den Salat. Stellst du die Frage direkt, dann ist alles klar wie Klärchen. „Kommst du mit zum Essen?“ „Schläfst du noch?“ „Bist du okay, Frank?“ Das fragt sich selbstverständlich im Indikativ, weil du ja wissen willst, was der Fall ist. 

Ebenso eindeutig liegt der Fall, wenn du mir erklärst, was Sebastian gefragt hat: „Sebastian fragt, ob Afghanistan eh ein sicheres Land sei.“ Hier brauchen wir den Konjunktiv (vorzugsweise Konjunktiv I), weil Sebastians ursprüngliche Frage in indirekter Rede wiedergegeben ist, und die indirekte Rede erkennt man am Konjunktiv, da beißt die  Maus keinen Faden ab.

Doch gibt es allzumal Fallstricke, warum nicht auch hier. Mir will nämlich scheinen, dass manche Fragen nur so tun, als seien sie indirekt. Wie etwa diese:

„Ich frage mich, ob man indirekte Fragen wirklich immer im Konjunktiv formulieren –“  tja. Muss oder müsse?

Formal liegt eine indirekte Frage vor, also schreiben wir müsse. Wie aber lautet die direkte Frage, die sich irgendwann verpuppt hat, auf dass aus dem Kokon später eine wunderschöne indirekte Frage schlüpfe? Bin ich wirklich irgendwann schlaflos gelegen und habe mich gefragt: „Muss man indirekte Fragen wirklich immer im Konjunktiv formulieren?“, um später von diesem Erlebnis zu berichten? Natürlich nicht, doch das wäre auch wurscht. Denn landesüblich sagt man ja nicht nur „ich habe mich gefragt, ob …“ sondern durchaus auch „ich frage mich, ob“.

Wenn ich mich jetzt frage, ob, dann referiere ich keine Frage, die ich mir irgendwann gestellt habe. Sondern ich berichte live aus meinem Gehirn – so fad kann live sein – was dort gerade abgeht. Man kann sich daher, finde ich, den Konjunktiv in diesem Fall getrost sparen. Wenn Robert Seeger erzählt, was am Ganslernhang los ist, japst er ja auch nicht: „Ich sehe aus unserer Kommentatorenkabine, dass Michael Matt sich gerade die Startnummer zurechtzupfe“, sondern dass jener sie zurechtzupft.

In Wahrheit ist die Sache natürlich komplizierter, weil standardsprachlich der Konjunktiv dran ist, wenn ich referiere, was ich gehört, jedoch der Indikativ, wenn ich referiere, was ich gesehen habe. Dies nicht etwa, weil die Sprache den Ohren weniger vertraute als den Augen, sondern weil man Gehörtes aus zweiter Hand empfängt: Ich habe gehört, du seist dem Alkohol verfallen, ich habe aber gesehen, dass du nur Wasser trinkst. Habe ich hingegen optisch wahrgenommen, dass du angeblich säufst, dann steht auch hier der Konjunktiv: Unsere Mutter schreibt mir, du trinkest gern einen über den Durst.

Im Falle von Mario Matt darf man aber dem eigenen Augenschein trauen, sodass selbst ein Sprachkünstler von Seegers Rang nicht auf die Idee käme, zurechtzupfe zu sagen.

Deshalb, o scharfsinnige Lesehäschen, gibt es zumindest einen Fall, in dem eine scheinbar indirekte Frage keinen Konjunktiv braucht. Schönes Wochenende!

Freitag, 6. August 2021

Echt jetzt

 

Meine lieben unterhaltungshungrigen Lesehäschen, die Zeiten werden immer besser. Dies beweist das Amazon Inclusion Playbook, eine Handreichung des Medienriesen für Film- und TV-Schaffende, die jenen unter anderem nahebringt, wie man als Herstellers eines Films oder einer Serie “the best people for the job” kriegt. Unter “Inclusive Casting” heißt es dort, man möge zunächst festzustellen, für welche Rollen Gender, Rasse, Ethnie, Religion, sexuelle Orientierung u.a. festgelegt sind. Demgegenüber gibt es Rollen, die „allen Genders, Ethnie, Fähigkeitsstufen“ etc. offenstehen. Was wohl heißen soll, dass dass die erstgenannten Rollen eben nicht allen offenstehen, sondern bestimmte Voraussetzungen für Gender, Rasse, Ethnie, Religion, sexuelle Orientierung, körperliche Beeinträchtigung und so weiter der Schauspieler mitbringen. Das spielende Personal ist nun mit diesen Parametern in Einklang zu bringen, sodass wir als Zuschauer sicher sein können, dass uns kein X für ein U und keine Wald-und-Wiesen-Hete für ganz was anderes vorgemacht wird.

Das ist höchst erfreulich weil uns dank dieser Richtlinien künftig Peinlichkeiten wie Elephant Man, My Left Foot, Accused, Philadelphia, Forrest Gump oder Rain Man  – um nur eine zufällige Auswahl unangenehmer Machwerke zu nennen – erspart bleiben, die wir uns in weniger erleuchteten Zeiten einbrocken konnten, obgleich John Hurt nicht an Elephantiasis leidet, Daniel-Day Lewis nicht gelähmt ist, Jodie Foster nicht hetero, Tom Hanks nicht schwul und genauso wenig Autist wie Dustin Hoffman. Von Kinkerlitzchen wie Neil Patrick Harris, der, obwohl schwul, einen Hetero, und Eric Stonestreet, der, obwohl Hetero, einen Schwulen spielt, wollen wir gar nicht reden. Gut, dass wir das hinter uns haben!

Die schlechte Nachricht ist, dass wir anscheinend auf halbem Wege stehen bleiben, nämlich bei der Schauspielerei. War es hier schon peinlich genug, immer wieder Menschen dabei zuzusehen, wie sie vorgaben, etwas zu sein, das sie nicht waren, so sind wir wohl auf einem kulturellen Auge blind, wenn wir anderen Kunstschaffenden weiterhin alles durchgehen lassen. Zwar bestehen wir nun darauf, dass zum Beispiel nur Transpersonen die Geschichte von Transpersonen erzählen dürfen (worüber bekanntlich Halle Berry voriges Jahr im Wege des Shitstorms belehrt wurde). Doch was ist mit jenen Heerscharen gewissenloser Schreiberlinge, die auf zigtausenden Seiten Geschichten ausbreiten, die nicht die ihren sind? Selbst heute noch mangelt es nicht an Menschen, die zum Beispiel über Inuit schreiben, ohne welche zu sein, über Serienkiller, ohne das entsprechende Gen zu besitzen, und so weiter. So geht das nicht!

Das Ideal der Literatur muss vielmehr Karl Ove Knausgård sein, der bekanntlich ausschließlich über sich und sein Leben schreibt. Mordgeschichten wollen wir in Zukunft nur noch von ausgewiesenen Mördern erzählt bekommen, Geschichten politischer Unterdrückung ausschließlich von Unterdrückten und Unterdrückern, et cetera. Man ist schließlich, da hilft alles nix, nur mit sich selber identisch, und wer sich künftig erfrecht, die von Amazon so löblich postulierte Einheit des Künstlers mit seinem Werk aufbrechen zu wollen, der wird schon sehen, was er davon hat.

Und selbst das wird irgendwann noch zu wenig sein, weil ein Bild bekanntlich mehr sagt als tausend Worte und daher „eine Geschichte erzählt“. Wer in der Kunstgeschichte nachschaut, wo jemand eine andere als seine eigene Geschichte zu Markte trägt, findet sich in einem target-rich environment wieder. Da darf man nicht zimperlich sein und vielmehr ganz oben anfangen, damit Stümpereien wie die Mona Lisa oder Las Meniñas endlich als jene unappetitlichen Schmieragen alter weißer Männer agnosziert werden, die sie immer schon waren. Die Zukunft wird endlich authentisch. Schönes Wochenende!