Wann, o achtsame Lesehäschen, habt ihr eigentlich zuletzt jemandem etwas befohlen? Ein „Komm!“ in Richtung Vierbeiner zählt nicht, und wenn der Zweckdichterhund ein auch nur entfernt aussagekräftiges Beispiel liefert, wäre es auch meist vergebene Liebesmüh, wobei jener zusätzlich zum generellen Beagletum mittlerweile auch noch die Ausrede der partiellen Taubheit geltend machen kann.
Habt ihr aber in letzter Zeit einem anderen Menschen etwas, wie in Ostösterreich üblich, angeschafft (während man früher auch weiter nordwestlich jemandem etwas zu schaffen, allerdings nicht anzuschaffen, pflegte)?
Dachte ich mir. Und ehrlich: Man merkt’s. Der Imperativ ist, knallhart gesagt, der Genitiv der 2020er-Jahre, dem der Dativ bekanntlich längst den Garaus gemacht hat. Liegt es daran, dass sich niemand mehr traut, vom anderen etwas zu fordern, während wir stattdessen nur fragen, ob es vielleicht ginge, dass, oder ob man so nett ist (nicht „sei“, das wäre zu korrekt), oder mal Zeit hätte und so weite?
Dafür spricht, dass die besonders klaren Befehlsformen ohne Schluss-e immer seltener zu werden scheinen. „Nenne mich bei meinem Lieblingspronomen“, nicht aber „nenn“, „ruf-e“ mich an, „geh-e zur Impfung“ – anscheinend brauchen wir das vokale Abschiedsstreicheln des E am Ende, damit wir uns nicht auf den Schlips getreten fühlen. Wirklich erforderlich ist es ja nur bei Verben, deren Stamm auf -eln oder -ern endet: Natürlich kann man nicht „samml“ sagen, sondern „sammle“ („sammel“ ginge freilich). Und Verben auf -d oder -t befehlen sich mit e einfach shmoover: rede mit mir und rate mir. Ansonsten aber käme man auch ohne E aus, und euer Ergebener ist davon überzeugt, dass einem Befehl ohne E mehr Überzeugungskraft innewohnt. Deshalb kommt auch niemand auf die Idee, dem Flocki komme! oder sitze! zuzurufen, weil dann jedem Hundianer sofort klar wäre, dass man es eh nicht so ernst meint.
Noch erstaunlicher ist die Geschwindigkeit, mit der die starken Imperative sich in Luft auflösen, da kann mancher Gletscher nicht mithalten. Ob die Postbusfirma mit der Aufforderung „bewerbe dich“ neue Lenker sucht oder der Fastfoodriese mit der Aufforderung „vergesse nicht“ an uns herantritt – je nun, man muss wohl froh sein, dass man, brächte man es denn übers Herz, immer noch etwas „befohlen“ hätte anstatt „befehlt“. Dass freilich selbst einer studierten AHS-Lehrerin ein „Lese genau!“ in roter Korrekturtinte aus dem Stift rinnt, kann man nur zurückspielen: Tun Sie desgleichen, und zwar im Duden, allwo man die Formen unregelmäßiger Verben jederzeit recherchieren kann.
Beziehungsweise: Sieh im Duden nach, geschätzte Lehrperson, und finde dort heraus, dass der Imperativ von „lesen“ weiterhin „lies“ lautet. Gehabt euch wohl und genießt das Wochenende!
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