Freitag, 25. November 2022

Maul halten

Heute, liebe Lesehäschen, kommen wir nicht drumrum, da war doch was. Genau, die Fußball-WM, die sich tatsächlich manche anschauen, zumindest, bis es mit dem Advent so richtig losgeht, denn im Wettstreit der Lockungen von Punschstand und Ballkunst sieht euer Ergebener, was die österreichische Seele angeht, einen klaren Favoriten. Glücklicherweise, denn solange man noch hinschaut, sieht man eventuell nicht etwa eine sogenannte One-Love-Kapitänsbinde, sondern eine faule Ausrede für eine solche. Der Zweckdichter war zunächst mehr als geneigt, diese Binde für eine gute Sache zu halten. Denn wenn ein nicht so ganz heutiger Staat wie Katar sich für einen Haufen Schmier- und anderes Geld ein gigantisches TV-Spektakel holt, um sich zu einer echt bescheuerten Zeit auf der ganz großen Bühne besser darzustellen, als er ist, dann ist alles gut, was den PR-Gewinn am Ende geringer ausfallen lässt. So mein Kalkül.

Nach einer Diskussion mit dem Zweckdichterbalg bin ich da nicht mehr so sicher. Klar ist es löblich, den Kataris in ihre berechnete Suppe zu spucken. Die One-Love-Binde wäre aber so ziemlich der niedrigste moralische Verkehrsberuhigungshuppel, den man besteigen könnte, um dieses Ziel zu erreichen.

Denn euer Ergebener hat wenig Ahnung von Fußball. Aber es ist schon so, wie das Balg sagt: Da fahren gut bis sehr gut bis exzellent bis obszön bezahlte Spezialisten zur WM, obwohl sie alle schon seit Jahren ziemlich genau wissen konnten, unter welchen Umständen nicht nur die Vergabe zustande kam, sondern – viel schlimmer – unter welchen Umständen die Stadien errichtet wurden, in denen sie nun ihre hoch dotierten Kunststückchen aufführen.

Dort angekommen, kriegen sie plötzlich einen Moralischen und überlegen, ob sich der jeweilige Anführer die gedachte Binde umschnallen sollte. Diese ist ein Signal gegen eh alles, was der westliche Hipster nicht leiwand findet, nämlich, so Wikipedia, „gegen Ausgrenzung von LGBTQ+ Menschen [ohne den eigentlich nötigen Bindestrich, weil der nach dem + scheiße aussieht], aber auch gegen Rassismus und Antisemitismus“. Dagegen, Hackler wie Sklaven zu behandeln und reihenweise krepieren zu lassen, ist sie kein Signal. Ist sich halt nicht mehr ausgegangen.

Doch damit nicht genug: Die Fußballmillionäre haben sich dann doch gegen die Binde entschieden, weil die FIFA-Kumpane der Kataris nur allzu bereitwillig darauf hereingefallen sind und angefangen haben, wegen dem Schmarren mit gelben Karten zu wacheln.

Sie verzichten deshalb darauf, sich diese ziemlich billigen Moralpunkte zu holen, die man auch bekäme, wenn man einen Wiener Pensionisten zurechtwiese, der einem gleichgeschlechtlichen Paar hinterherpöbelt.

Stattdessen inszeniert sich zum Beispiel die Piefkeriege fotogerecht mit zugehaltenen Mündern. Dass die Herren damit weit beredter darüber Beschwerde führen, wie sie von der bösen Union aus bösem Verband und bösen Scheichs mundtot gemacht wurden als darüber, dass diese selbe Union eine ganze Menge Menschen ganz tot gemacht hat, scheint sie nicht zu kümmern. Was die Spieler da aufführen, beweist nur, dass das englische Sprichwort recht hat: You can’t have the cake and eat it. Man muss sich entscheiden, ob man moralisch am längeren Hebel sitzen oder bei der WM mitspielen will. Davon ausgenommen sind selbstverständlich die Iraner, die mit ihrer Weigerung, die Hymne zu singen, ein echtes Zeichen gegen ihr eigenes Regime gesetzt und dafür ein großes Risiko in Kauf genommen haben. Schönes Wochenende!



 

Freitag, 18. November 2022

Demut

 

Der Falter, o linkslinke Lesehäschen, ist ja eine nicht genug zu schätzende Institution im ansonsten eher mäßig diversen Biotop österreichischer Medien, wobei „Biotop“ hier durchaus so verstanden werden darf, wie es Jodok S., damals Mitschüler eures Ergebenen, im Biologieunterricht zirka 1987 auf den Punkt brachte: „A Biotop ischt a Dräckloh“, ein Biotop ist ein Dreckloch. Darin gedeihen bekanntlich Symbiosen, auf die man als Gebührenbeiträger gerne verzichtet hätte.

Jedoch hat auch der Falter noch Luft nach oben, zumindest, was die Qualität der Schreibe angeht. So kommt der Redakteurin innerhalb eines Artikels aus:

Der Beschuldigtenstatus der beiden […] Flüchtlinge […], er war jetzt offiziell.

Und auch: Schlafen, das konnte er dann zwei Wochen nicht.

Es ist ja nicht falsch, ein Satzglied so mit Komma hervorzuheben und dann einen Platzhalter nachzuschieben. Jedoch: Übertreiben, das soll man dabei bleibenlassen. Man erinnert sich dann wieder, warum es früher sogenannte Edelfedern gab. Eine Edelfeder war (meist) ein alter, weißer Mann, der von nichts wirklich Ahnung hatte. Das machte er dadurch wett, dass er sehr, sehr gut schreiben konnte. Zeitungen und Magazine ließen ihn tun, was er am besten konnte: Sie schickten Journalisten und Rechercheure hierhin und dahin, die Material zusammentrugen und ordneten, bis das Gerüst einer brauchbaren Story dalag. Dieses übergab man der Edelfeder, die daran ihre Magie wirkte und sich niemals dazu hinreißen ließ, ein hervorstechendes Stilmittel zweimal hintereinander zu verwenden. Ja, so war das damals.

Heute gibt es Vergleichbares noch für Amtsschimmelnostalgiker. Es war ja schon hie und da die Rede von Leckerbissen wie der Schulschwimmkanzlei oder den Schleifen, die einen das digitale Amt beschreiben lässt.

Wer aber seinen inneren Staatsbürger endlich wieder einmal so richtig gezüchtigt sehen will, weil man,  ein bisschen katholisch bleibt Österreich ja doch, schon etwas angestellt haben wird, der halte sich nicht mit Ämtern auf. Vielmehr begebe er sich stracks zur Österreichischen Gesundheitskasse, die, wir erinnern uns, aus diversen Krankenkassen zusammengestückelt wurde, um eine Milliarde Euro zu sparen und die stattdessen mehrere hundert Millionen Euro zusätzlicher Kosten verursacht hat.

Euer Ergebener nämlich tat desgleichen und rief den medizinischen Dienst an, weil Therapierechnungen des Zweckdichterbalgs abgelehnt worden waren, mit der Begründung, dass die Leistungen nicht von medizinischem Personal erbracht worden waren. Es ward ihm die Auskunft, er könne während der Öffnungszeiten ohne Termin vorbeischauen, um den Fall zu besprechen (immerhin interessant, weil die Therapieleistungen von medizinischem Personal nicht angeboten, jedoch von der behandelnden Ärztin empfohlen werden und nachweislich wirksam sind).

Dort angekommen, fragte ein „Schaltermitarbeiter“ (das ist jemand, der hinter einer Glasscheibe sitzt und Ankommende ausfratschelt, sich aber für etwas Besseres als einen Portier halten will), nach dem Begehr. Dies dargetan, beschied er euren Ergebenen, er möge sich trollen, weil die Leistung nicht übernommen werde. Als euer nicht mehr ganz so Ergebener darauf bestand, dass es ihm laut telefonischer Auskunft zustehe, die medizinische Frage mit jemandem vom medizinischen Dienst zu besprechen, verstieg sich die Schalteramöbe zu der Antwort: „Das tun Sie ja gerade.“

Mehr selbstherrlich frotzelnd präsentierte Amtsstubenherrlichkeit konnte man, o meine Teuren, selbst in den 70er Jahren von der österreichischen Bürokratie nicht erwarten. Bravo, und schönes Wochenende!

Freitag, 11. November 2022

Duell

 

Fasching, helau, oreore und überhaupt! Zwar dauert es noch ein Weilchen, bis die närrischen Tage so richtig in die Gänge kommen, aber spätestens dann zeigt sich in unseren Breiten, wer in der Stadt wohnt, weil die hemmungslose Einlassung auf fasnetliche Exzesse ja in Österreich, wie die eigenhändige Grabpflege, ein eminent ländliches Phänomen ist. In Deutschland ist das bekanntlich anders, da wird auch in dichter verbauten Gebieten saisonal die Sau rausgelassen.

Doch lustig ist das meist nur halb, wenn überhaupt. Also sprechen wir gleich über den Stoff großer Tragödien. Wir kennen ja die Geschichten von Macbeth und seiner Lady, von Othello und Jago, von Faust und Mephisto. Die größten Geister haben ihr Bestes gegeben, um die Katastrophen so recht fühlbar zu machen, die das Aufeinandertreffen konträrer Charaktere gebiert, wenn einer es gut meint und der andere vielleicht besser, vielleicht schlechter, aber jedenfalls auf moralisch tönernem Fundament.

Schade ist nur, dass sie bei der Auswahl geeigneter Protagonisten auf ihre Phantasie angewiesen waren und deshalb auf Paarungen verfielen, bei denen zwei einander halt nicht grün sind, aber ganz ehrlich, was ist das Schlimmste, das passieren kann, wenn ein Feldherr und sein Adjutant, ein Fürst und sein Berater sich in die Haare kriegen?  Hätten die Dichter das eine oder andere Bauprojekt angerissen, dann wären sie mit etwas Glück Zeugen eines Trauerspiels geworden, bei dem es auch im äußeren Ergebnis etwas auf dem Spiel steht und das wie kein anderes aus dem verseuchten Humus einer toxischen Beziehung zu wuchern vermag. Wir sprechen natürlich von jenem Grundkonflikt der condition humaine, der nicht nur ihre beiden Gegenspieler, sondern auch die umliegende Topographie nachhaltig in Mitleidenschaft zu ziehen vermag, jenem zwischen dem Polier und seinem Baggerfahrer.

Idealerweise wirkt dieses Paar in fruchtbarer Eintracht mit klar verteilten Rollen, wobei der Polier klare Anweisungen gibt, die der Baggerfahrer mit sanft, aber bestimmt geführter Schaufel treulich in die Wirklichkeit überführt, sodass Erde und Stein sich gerne der gestalterischen Absicht fügen.

Idealerweise.

Wenn du aber mittags den Blick vom Rechner hebst und dein Vorgarten aussieht wie Nordfrankreich nach der Somme-Schlacht, dann ahnst du, dass es zwischen den beiden nicht ganz so harmonisch läuft, wie es sollte. Die schlechte Nachricht lautet: Du hast zwar einen erstklassigen Platz Parkett Mitte. Aber mehr als zuschauen kannst du nicht. Genieße also, wenn auch unter Schaudern, wie das Drama sich entfaltet. Der Polier gibt, wie mit dir besprochen, Anweisungen. Der Baggerfahrer hat dazu seine eigene Meinung. Je nach Charakter widerspricht er oder grunzt zustimmend. Er kann sich beides leisten, denn am Ende sitzt er ja doch am längeren Hebel, beziehungsweise an den beiden einzigen Hebeln, die hier zählen, jenen, welche die Schaufel kontrollieren. Die Tragik liegt im Vis-a-vis von höherer Autorität des Poliers auf der einen Seite, die sich auf der anderen Seite der überlegenen Kraft des Baggers geschlagen geben muss. Es gibt, wie Adorno wusste, kein richtiges Leben im falschen. Und ein echter Polier ist erst, wer es geblieben ist, obgleich er diese Wahrheit auf einer Baustelle ertragen musste, die er mit den besten Absichten, aber einem schlechten Baggerfahrer betrat.

Die gute Nachricht: Der nächste Frühling kommt bestimmt, dann kann man da noch viel machen. Schönes Wochenende!

 

Freitag, 4. November 2022

Verzichtunmöglich

 

Angesichts dessen, o schwer zu verblüffende Lesehäschen, was heute alles möglich ist, dass man vor einem Jahr für ausgeschlossen gehalten hätte (Putin überfällt die Ukraine, Thomas Schmid packt aus, Sobotka sitzt einem Ausschuss nicht vor), ist es umso erstaunlicher, was das Suffix (für die Nichtlateiner: Wortanhängsel) -unmöglich vorlegt: Es breitet sich aus wie das Drüsige Springkraut, das deshalb so heißt, weil es seine Samen derart weit von sich zu schleudern vermag, dass jetzt kein doofer Pornowitz folgt, sondern dass es dadurch Straßen überwinden kann, um auf der anderen Seite weiterzuwuchern.

Vor sagen wir zehn, fünfzehn Jahren gab es dieses Suffix noch gar nicht, wenn sich euer Ergebener recht entsinnt. Und heute ist es allgegenwärtig:

Was man nicht in Worte fassen kann, ist sagunmöglich. Was man nicht derglengt, ist erreichunmöglich. Was jeglicher Unbill trotzt, ist kaputtunmöglich. Wem keine Waffe etwas anhaben kann, der ist verwundunmöglich, was ihn wahrscheinlich auch so ziemlich verwechselunmöglich macht. Was einem in die Augen springt wie zwei bunte Hunde mit leuchtstiftgelben Hahnenfedern im Hintern, das ist übersehunmöglich. Und so weiter.

 

Ist natürlich alles Blödsinn, meine Lieben. So weit ich sehe, gibt es genau ein Wort, dem irgendwer irgendwann ein -unmöglich angehängt hat, nämlich denk-. Rätselhaft bleibt, warum zum Geier er (oder sie oder xie) sich das unterlaufen hat lassen. Bis dahin war das Wort denkunmöglich nämlich schlicht undenkbar.

 

Vollrohr denkbar ist hingegen, dass man ins Kino geht, um sich einen sehenswerten Film reinzupfeifen. Deshalb gibt es heute kein Feedback der Woche, nur den diesbezüglichen Hinweis, dass es nicht gerissen ist, den bestimmten Artikel zum Namensbestandteil eines Produkts zu machen und dann dessen Deklination zu verbieten. Es ist mir ausdrückschwer, aber irgendwie strauchle ich bei Formulierungen wie Aufführungen im „Das Theater“. Ist wahrscheinlich ein Geburtsfehler.

Aber zurück zum Kino und damit zu einer gemeinen Filmempfehlung. Gemein deshalb, weil der Film erst im Dezember anläuft. Euer Ergebener hat es aber erstmals im Leben zur Viennale geschafft (nicht durch eigenes Arschhochkriegen, sondern dank einem vom Zweckdichterbalg in denselben verabreichten Tritt) und kann deshalb berichten, dass Women Talking überaus sehenswert ist, ja, ein Kinobesuch ist diesfalls nachgerade unverzichtbar. Es geschieht tatsächlich kaum etwas, als dass Frauen miteinander reden. Doch worüber und wie sie reden, das sollte man sich nicht entgehen lassen. Es sei denn, man ist hart woke drauf, denn in Sachen Diversität ist der Streifen (so sagte man früher, wenn man zu cool war, um einfach „Film“ zu sagen) so ziemlich margarita (margarita sein: kaum gebräuchliche Wendung, die besagen will, dass etwas oder jemand ebensowenig drauf hat wie die gleichnamige Minimalpizza).

 

Schönes Wochenende!