In den eher besonnenen, vielleicht sogar ein bisschen linken Medien fragen sich die Bedenkenträger in diesen Tagen, wie es denn sein kann, dass Leute, die sie einst für vernünftig, eher besonnen, vielleicht sogar ein bisschen links hielten, mittlerweile mit der AfD liebäugeln, Kickl gar nicht so übel finden oder die Proteste jener Ivy-League-Studenten nachvollziehen können, die Israel gern ausgelöscht sähen.
Euer Zweckdichter, o gewiss immer noch besonnene Lesehäschen, weiß es auch nicht. Er hat aber eine Vermutung, die ihm selbst sehr unangenehm ist.
Denn wenn man sich bemüht, ein ordentlicher Mensch zu sein und seinem Nebenmenschen mit Respekt zu begegnen, solange dieser jenen nicht verwirkt hat, dann fühlt man sich ja auch ein bisschen gut dabei. Weil man sich zu Zeiten, wo es vielleicht nicht so rund läuft, zumindest an der moralischen Gewissheit wärmen kann, dass man selber kein so übler Bursche ist. Deshalb ist es umso ärgerlicher, wenn man feststellen muss, dass ein Vorurteil, dass man stets aktiv gemieden hat, sich infolge gemachter Erfahrungen in ein gleichlautendes, nun aber unvermeidliches Urteil verwandelt hat.
Euer Ergebener zum Beispiel war allzeit bemüht, gegenüber, sagen wir, gescheckten Eseln ebenso vorurteilslos zu handeln wie gegenüber einfärbigen, ja sogar gegenüber Pferden. Als deshalb im Stall des Zweckdichters eine Box freiwurde und zwei gescheckte Esel zu verstehen gaben, dass sie gern einziehen würden, war der Zweckdichter dazu gern bereit. Denn nur weil Kickl und seine Haberer immer erklären, dass gescheckte Esel bissig seien und viel Schmutz machten, muss das ja nicht stimmen.
Alsbald machten die Esel es sich bequem und erwiesen sich im Großen und Ganzen als brauchbare Stallbewohner, Kickl zum Trotz. Sie zahlten pünktlich die Stallmiete und ließen ansonsten wenig von sich hören. Nach einigen Jahren endete ihr Mietvertrag. Da sprachen die Esel: „Die Zeiten sind schlecht, wir müssen uns einen billigeren Stall suchen.“ Worauf der Zweckdichter erwiderte: „So will ich euch diesen Stall zu einem günstigeren Preis überlassen.“ Dies teils aus Nettigkeit, teils, weil er keine Lust hatte, den Stall zu renovieren.
Worauf die Esel blieben.
Nach überraschend kurzer Zeit aber zogen sie trotzdem aus und ließen sich noch bestätigen, dass sie die (allerdings mittlerweile unüblich geringe) Stallmiete stets bezahlt hatten. Bei näherer Betrachtung musste euer Ergebener nun feststellen, dass sie nicht so gehaust hatten wie erhofft: Die Futterraufe war zerbrochen, an unvermuteten Stellen fand sich Eselmist, und überhaupt war der Stall in einem traurigen Zustand. Als er deshalb das hinterlegte Geld der Esel behalten wollte, um seinen Aufwand zu decken, begannen diese zu streiten.
Inzwischen besitzt euer Zweckdichter anstatt eines Vorurteils gegenüber gescheckten Eseln ein Urteil über einige solche. Und leider werden deshalb in diesen Stall keine mehr einziehen. Freilich hat Kickl dadurch keine Stimme gewonnen. Aber gegenüber den wahrscheinlich doch existierenden wohlerzogenen gescheckten Eseln ist das unfair. Die wahre moralische Frage ist freilich: von wem? Schönes Wochenende!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen