Freitag, 29. November 2013

Schön wär’s



Texter, bleib bei deinen Sätzen, rufe ich mir heute selber zu. Beziehungsweise: Riefe ich mir zu, wenn ich dazu imstande wäre. Damit sind wir beim Thema. Es geht um den Konjunktiv, genauer gesagt, die Konjunktive. Denn gäbe es nur einen, wäre die Sache einfach. Es gibt aber bekanntlich mehrere, und da fangen die Schwierigkeiten an. Man schlage eine beliebige Zeitung auf, und trinke bei jedem nicht regelkonformen Konjunktiv einen Schnaps. Bis du die Möpse auf Seite 7 zu Gesicht kriegst, bist du schon fett wie die russische Erde. Ein Beispiel aus dem gestrigen Standard: "Das Unternehmen würde es bedauern, 'dass es durch Mitarbeiter zu Falschmeldungen gekommen ist.'"
Wie jetzt? Entweder gab es Falschmeldungen, und das Unternehmen bedauert dies, dann muss es heißen: "Das Unternehmen bedauere, dass es ...". Der Konjunktiv "bedauere" drückt aus, dass das Bedauern nicht vom Redakteur stammt, sondern ein Zitat ist.
Oder es gab keine Falschmeldungen: "Das Unternehmen würde es bedauern, wenn es durch Mitarbeiter zu Falschmeldungen gekommen wäre." Hier drückt "würde bedauern" den irrealen Charakter aus, die Hypothese. Der Journalist wollte sich wohl auf die sichere Seite schlagen, hat aber die Sache nur furchtbar kompliziert gemacht: Er hat sich über den Konjunktiv I (bedauere) nicht drübergetraut und sich deshalb in den Konjunktiv II geflüchtet. Dieser, also "bedauerte", sieht aber aus wie der Indikativ, weshalb er noch ein "würde" anflicken musste, um ihn kenntlich zu machen. W
Warum sind Zeitungen dafür so anfällig? Weil das Problem eben besonders gern im Zusammenhang mit indirekten Zitaten auftaucht. Neu ist es nicht – ich hatte kürzlich Gelegenheit, die Kinder von Bullerbü wieder einmal zu lesen (also: vorzulesen). Zumindest der deutsche Übersetzer hat bei fast jedem Konjunktiv den Absprung knapp verpasst, indem er meist den Konjunktiv II setzt, wo der Konjunktiv I die normgerechte Wahl gewesen wäre.  (Für interessierte Einsteiger: Den Konjunktiv I bilden wir von der Gegenwartsform, z.B. "stehen – stehe", "sagen – sage"; den Konjunktiv II von der Mitvergangenheit: "ging – ginge", "sagen – sagte".)
Doch wie ist das nun wirklich mit dem Konjunktiv? Wer zum Schmied geht anstatt zum Schmiedl, findet bei Karl Kraus ein Beispiel aus Schillers Wallenstein:

"Mir meldet er aus Linz, er läge krank,
doch hab' ich sichre Nachricht, daß er sich
zu Frauenberg versteckt beim Grafen Gallas."

Im "läge" ist erstens ein Zitat ausgedrückt (als Paraphrase von "er hat mir gesagt, dass er liegt"), zweitens der Zweifel daran. Würde ich ihm glauben, dann schriebe ich: "er liege krank". Dieser Konjunktiv I ersetzt einfach den dass-Satz im Indikativ. Der Konjunktiv II "läge" teilt den Zweifel mit. Dieser ist berechtigt, denn ich habe gehört, dass er sich "versteckt". Stünde hier "dass er sich verstecke" (also: ein dass-Satz, in dem auch noch ein Konjunktiv steckt), dann wäre auch dieses angezweifelt, und ich müsste ihn anderswo suchen.
Kurz: Im indirekten Zitat ohne dass-Satz drückt der Konjunktiv I Glauben ans Gesagte aus, der Konjunktiv II Misstrauen am Gesagten. Im dass-Satz kommt das Misstrauen schon mit dem Konjunktiv I, weil zur reinen Wiedergabe der Indikativ genügte.
Ausgenommen sind natürlich Fälle, in denen der Konjunktiv I genauso aussieht wie der Indikativ – "er sagte, dass sie gehen müssen". Hier wäre "müssten" angebracht.
Beim nächsten Mal bohren wir die Bedingungssätze (unter Freunden: Konditionalsätze) an und schauen, was da unter der Kruste wurlt. Oder auch nicht. Ganz wie ihr wollt. Schaut euch den Carponizer an. Schönes Wochenende!

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