Freitag, 11. Dezember 2015

Small Data

Weil ihr so aufgeweckte Cyberhäschen seid, habt auch ihr einst so manche Mußeminute damit vertändelt, euch zu fragen, worin eigentlich das Geschäftsmodell von facebook bestehe. Mittlerweile scheint das Rätsel gelöst (Weltherrschaft durch Ersticken jeglicher Gegenwehr mit einer Mischung aus Neid- und Fadesse-Content, der von den Opfern / Usern selbst erstellt wird). Doch lange war es legitim, darüber zu diskutieren, wann und wie die Transsubstantiation von Information in etwas Brauchbares stattfinde. Über Transsubstantiationen weiß man ja in der Regel recht gut Bescheid. In der katholischen Eucharistie beispielsweise lässt sich jener Augenblick wie mit einer Präpariernadel fixieren, in dem das Brot zu Fleisch wird.
Bei facebook war es schwieriger, und für mich ist es gerade ebenso schwierig.
Letztens nämlich war ich mit meinem manchen von euch bekannten Herrn Hund durch die Stadt unterwegs. Wie das schon so ist, der Hund macht sein Ding, markiert gelegentlich, das Herrl ist mit den Gedanken woanders, niemandem wird wehgetan.
Als ich plötzlich von hinten ein eher barsches „Entschuldigen Sie!“ vernahm.
Im Umdrehen sah ich mich einem Herrn gegenüber, der soeben aus einem Bürolokal im Parterre geschossen war. Er erklärte mir, mein Herr Hund habe sein Auto „angepisst“ (so er), und er erwarte von mir, die Besudelung zu beheben.
Nun bin ich schon bekannt harmoniesüchtig. Wenn ich etwas noch mehr bin als harmoniesüchtig, dann ist es feig. Und wenn ich etwas noch mehr bin als feig, dann ist es neugierig. So etwas war mir noch nicht widerfahren. Also erklärte ich mich selbstverständlich zum Reinigungseinsatz bereit. Ich wartete sogar brav, bis der aufgebrachte Herr mit einer Wasserkaraffe und einer Küchenrolle wiederkehrte, und dann wischte ich ebenso brav über den linken vorderen Frontspoiler des beleidigten BMW, freilich ohne dass ein Effekt erkennbar gewesen wäre. Dann verabschiedete ich mich freundlich und ging meiner Wege.
(Kleiner Exkurs: Soweit ich sehe, ist es natürlich unhöflich, seinen Hund einen Frontspoiler anpinkeln zu lassen. Mehr aber auch nicht, denn einem unter normalen Bedingungen benützten Automobil stößt dabei nichts hygienisch Nennenswertes zu, besonders nicht in einer Stadt, in der es auch Tauben und Fiakerpferde gibt. Etwas anderes wäre es natürlich, wenn z. B. eine Dogge en passant den Türgriff abschmeckt.)
Die Frage ist nun, für wen von uns es sich ausgezahlt hat. Denn wenn es darum ging, die Nettourination des Wagens zu beeinflussen, war die kleine Performance natürlich nutzlos. Der Herr Hund hat sich ja nicht über den Spoiler entleert, weil er eine Abneigung gegen bayrische Premiummarken hätte. Er hat diesen nur markiert, wie sichtlich schon fünf andere vor ihm und vermutlich ein Dutzend weitere nach ihm.
Dem Mann bleibt als Gewinn somit nur der zweifellos sehr, sehr schöne, aber auch sehr vergängliche Glücksmoment, der ihm ward, als ein Hundehalter seinen Wagen befeuchtete.
Doch war dieser Glücksmoment nicht gratis. Er hat dafür bezahlt, und weil wir 2015 schreiben, hat er dafür mit Informationen bezahlt.
Denn ich weiß jetzt nicht nur,
wie und wo der Mann sein Geld verdient,
was für ein Auto er fährt
und welches Kennzeichen dieses hat.
Ich weiß selbstverständlich auch, wie er heißt.
Und vor allem weiß ich, dass er ein Mensch ist, den man im Tausch für einen kleinen Triumph um Wasser und Küchenrolle schicken kann.
Die Geschmäcker sind natürlich verschieden.  Aber ich würde so ein Paket an persönlichen Informationen nicht dem nächstbesten Hundehalter in den Schoß werfen. Ich hoffe also, für den Herrn hat es sich gelohnt.
Für mich bleibt die Frage, was ich jetzt mit den Daten anfange. Was würde Mark Zuckerberg tun? Ist es schon Zeit für einen Börsegang?

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