Freitag, 22. Juli 2016

Nackt und wahr

Ich weiß, ich weiß, ihr seid ganz heiß. Heiß auf die News aus der Tschickstummelszene, die Konzerne und Regierungen vor euch geheimhalten wollen. Keine Angst, in Kürze geht es weiter mit eurem Lieblingsthema. Wer hätte gedacht, dass Tschickstummel so spannend sein können! Heute haben wir aber etwas anderes zu klären. Es geht um Wendy, laut derstandard.at „Aktionskünstlerin und Stripperin“. Zwischen ihren beiden Tätigkeitsfeldern hat sie glücklich die Direttissima gefunden, eine schnurgerade Linie, die zum Beispiel entlang dem Donaukanal oder durch den Volksgarten führt und auf der sie, so dürfen wir uns das zumindest vorstellen, entlangmarschiert, wie Gott sie geschaffen hat, nämlich nackt, aber ohne Gewinnstreben, denn letzteres macht den Unterschied, ob Wendy ihren Stripperinnenhut (und nur diesen) oder den einer Aktionskünstlerin trägt. Sie teste, so wird berichtet, auf diese Weise „die Geduld und Reaktionen der Wiener“. (Hierin versteckt sich übrigens ein kleines Zeugma, einst eines unserer Lieblingsthemen in dieser Kolumne, bevor der Tschickstummel kam. Wer es findet, kriegt einen Tschickstummel.) „Wirklich schlechte Erfahrungen hätte sie noch nie damit gemacht“, heißt es im wieder einmal zu forsch gesetzten Konjunktiv II statt I weiter, mit der Begründung: „achtet sie ja auch immer schön brav auf kleine Kinder und Burkas“. Selbst wenn wir die Burka als pars pro toto für ihre Trägerin gelten lassen, schwelen in mir Zweifel daran, dass kleine Kinder sich in vergleichbarer Weise von einer nackten Blondine belästigt fühlen könnten wie Musliminnen bestimmter strenger Glaubensvariationen. Die Frage, was die Tante denn da macht, richtet sich gewiss eher an die Mama als an Allah.
Doch darum geht es nicht. Viel wichtiger ist das ja, zu dem wir in Wien ja eine engere Beziehung unterhalten als die Leute anderswo. Denn in weiten Teilen des deutschen Sprachraums kennt man zwar nur eine Verneinung („nein“), aber zwei Bejahungen, nämlich einmal die zustimmende: Machen wir uns nackig? – Ja! und die widersprechende: Kannst du mir nicht mit dem BH helfen? – Doch! In Wien gibt es nur eine, nämlich ja, im Widerspruchsfalle verstärkt durch ein o: Du hast jetzt nicht hergeschaut, oder? – O ja!
Deshalb ist uns das ja hier so teuer, dass wir nicht davon lassen können. Selbst nicht in Fällen wie dem vorliegenden, in dem etwas Merkwürdiges geschehen ist. Denn man würde wohl sagen: Schlechte Erfahrungen habe ich nie gemacht. Ich achte ja immer auf Burkas.
Schließt sich aber der zweite Teil als Nebensatz an, dann klappt es mit dem ja nicht mehr, sondern: Schlechte Erfahrungen habe ich nie gemacht, achte ich DOCH immer auf Burkas. Was ist das Merkwürdige? Die Wortarten haben miteinander Unfug getrieben, wie Gott sie schuf, und die Autorin hat sich nicht mehr ausgekannt. Denn ja bleibt immer Partikel. Doch hingegen ist als bejahende Antwort auf eine negative Frage zwar ebenfalls ein Partikel. Dieses doch ist aber nicht dasselbe wie das Adverb doch, das wir hier gebraucht hätten und das einen begründenden Adverbialsatz anzeigt. So hat vor lauter Hitze auch die Sprache sich freigemacht, und man sieht Dinge, die man nicht unbedingt sehen wollte. Wie bei den Leuten halt.
Zum Abschied noch eine weitere Zeitungsperle: Der Kauf von LinkedIn könnte zur Offensive werden, die nach hinten losgeht. Die Sphären der Metaphern passen eh zusammen, aber irgendwie will es doch nicht so recht.

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