Freitag, 30. September 2016

Überzeugungskraft

Verschiedentlich haben in den letzten Wochen wertvolle Menschen ein schätzbares Ansinnen an mich herangetragen. Ich möge, so jene, die immer noch an das Gute glauben, jemanden, die Hofer zu wählen plane, dazu bewegen, davon abzustehen.
Nämlich wie? Nämlich mit der Kraft der Argumentation.
Dies nehme ich als gegebenen Anlass für eine bedauerliche, aber unvermeidliche Verlautbarung:
Das geht leider nicht.
Soweit ich die Lage überblicke, sind Argumente ebenso geeignet zur Überzeugung von Hofer-Wählern wie ein Gabelschlüsselsatz für einen Gottesbeweis. Ich habe nach Kräften nachgedacht und bin zu dem Schluss gelangt, dass Hofer-Wähler in der Regel anderweitig zu dem ihren gefunden haben. Denn wer Hofer wählt, beweist damit nicht automatisch, dass er kein Verständnis für rationale Argumentation hat, sondern nur, dass die nicht immer den Ausschlag geben muss. Wir aufgeweckten Zeitungskonsumentinnen und Social-Media-Userinnen wissen ja, dass Hofer Wasser predigt und Wein trinkt, dass er sich erfundener Argumente bedient, dass er Versprechungen macht, die er niemals einlösen wird, und so weiter und noch mehr. Von der Frage, wie rechts oder rechtsextrem Hofer ist oder nicht ist, schweigen wir getrost, weil die Antwort für die Einstellung seiner Wählerschaft entweder unerheblich ist oder genau zum Gegenteil dessen führt, was jene sich erhoffen, die immer wieder nachweisen wollen, dass Hofer aber schon bei den Neonazis oder Identitären oder weißichwem anstreift. Geschenkt! Denn Hofers Klientel wird ihn nicht wählen, weil er mehr oder weniger weit rechts steht. Genauso wenig wie mein alter Kumpel Herb den einen Song lieber hört, weil er ihn mit 33 abspielt und den anderen aber mit 45.
Wer Hofer wählt, so glaube ich, will sich keinen Vertreter wählen, sucht gar nicht einen Präsidenten, der möglichst für seine (des Wählers) Ansichten steht, hat gar kein Bild von einem Österreich, das anders aussieht als das jetzige und in das uns Hofer führen soll.
Hofer-Wähler sind auf etwas anderes und Tieferes aus: Sie wählen keinen Politiker. Sie wählen das Gefühl, zu etwas zu gehören, das größer ist als sie selbst. Hofer bringt in ihr Leben etwas, das mit der lebenslangen Anstellung, dem stetigen Besserwerden und dem überschaubaren Grad der Beschleunigung des Lebens verlorengegangen ist. Das Kreuz bei Nobsi stiftet für die Betreffenden Sinn, der über das zu besetzende Amt und auch die politische Sphäre weit hinausreicht. Es hätte tatsächlich keinen, ihnen das wegargumentieren zu wollen. Wenn Harry Potter auf seinem Besen dem kleinen goldenen Ball nachhetzt, wer stellt sich ihm in den Weg, um ihm zu erklären, dass er in Wahrheit gar nicht fliegen kann? Dabei kann nichts herauskommen als ein schmerzhafter Absturz und die Gewissheit, wer daran schuld ist.
Was also tun?
Ich sehe nur eine Möglichkeit: Wir gehen alle NICHT wählen und fechten die Wahl dann an, weil weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten teilgenommen haben. Ist zwar in der Verfassung nicht vorgesehen. Das war die kommende Wahlwiederholung aber auch nicht. Bei der nunmehr bekannten Lese- und Rechenschwäche der Verfassungsrichter gebe ich der Sache gute Chancen.

Freitag, 23. September 2016

Vorraumkunde

Heute, meine Damen, Herren und Häschen, wird mal wieder was weggesudert. Weil es nämlich rundum bergab geht. Wie eine geschätzte Bekannte einmal geschrieben hat: „Früher war alles besser. Gestern zum Beispiel war Sonntag.“ Nicht einmal auf Klebstoff ist mehr Verlass. Kann sich noch jemand an jene US-Präsidentenwahl erinnern, bei der es zu gröberen Unstimmigkeiten kam, weil die Stimmabgabestanzgeräte nicht sauber arbeiteten und die auszustanzenden Futzerln teils in den Löchern steckenblieben? Im Jahr 2000 war das, und was haben wir damals gelacht! Heute darf die Welt sich abhauen, weil in Österreich der Klebstoff nur so heißt. Beziehungsweise: Nachdem aus FPÖ-Kreisen die Existenz eines Wunderkugelschreibers kolportiert wurde, dessen Tinte unsichtbar wurde, wenn man sein Kreuzerln für den Kandidaten Hofer gemacht hatte (und nur dann, sonst wäre die Geschichte ja zwecklos), nehmen wir die Existenz eines nicht ganz so wunderbaren Klebstoffs zur Kenntnis, der vor, während oder nach der Stimmabgabe des Klebens überdrüssig wird, unabhängig von der politischen Ausrichtung des betroffenen Stimmberechtigten. Naja. Einen Wahlkampfsong haben wir ja nun immerhin – Hallihallo, wer sitzt am Klo ...
Aber darüber wollte ich mich ja gar nicht verbreiten. Sondern darüber motschkern, worin fragwürdige Entscheidungen nur allzuoft wurzeln, in einem Erfolg nämlich, genauer gesagt: in erfolgreichem Lobbying. Früher hätte es das nicht gegeben. Denn früher gab es kein Lobbying, früher wurde antechambriert. Das Antechambrieren ist dem Lobbying in jeder Hinsicht überlegen, wie ein denkender Mensch ohne weiteres zugeben muss.
Erstens ist antechambrieren eine dieser seltenen graziösen Mischungen aus französischem Stamm und dem gestelzten –ieren – so wie hasardieren, bajonettieren oder tranchieren. Sehr hübsch!
Zweitens geht es zwar in beiden Fällen darum, dass es sich jemand richtet, wie er’s braucht. Wer antechambriert, tut dies aber eher auf eigene Hand und sozusagen im privaten Rahmen. Denn eine Antechambre gibt es ja nicht bei jeder öffentlichen Bedürfnisanstalt, sondern sie ist Räumen vorgeschaltet, in denen empfangen zu werden pflegt. Seien es private Salons oder Amtsstuben alten Stils – im Vorzimmer wird sorgfältig vorgezimmert, damit später im Allerheiligsten bereits ein tragfähiges Gerüst wartet und man ans erwünschte Ziel gelangt.
Ganz anders die Lobby: Die hat jedes Hotel, jedes Bürohaus, ja jede Mehrzweckhalle, und rechts hinten geht es zu den Klos. Hier hängen Professionelle herum, und wenn ihr mich fragt: Den Körper kann man waschen?. Und es sich selber oder dem Neffen deines Schwagers zu richten, ist eine Sache. Aber Vitamin B für zahlende Kunden? Ich weiß nicht. Wer antechambriert, verfügt sich in die Räume eines Menschen, von dem er sich Entgegenkommen erhofft. Wer lobbyiert, hat eine Geschäftsidee daraus gemacht, fürs „Aufs-Zimmer-Gehen“ zu geizig zu sein. Früher wurde man in solchen Fällen „Berater“, und Besprechungen fanden prinzipiell beim Kunden oder, noch besser, beim absetzbaren Lunch statt. Heute hält man sich an die Lobby und klaut wahrscheinlich die Erdnüsse von der Bar nebenan. Deshalb: Antichambriert mehr, und macht einen Bogen um die Lobby.

Freitag, 16. September 2016

Training on the Job

Bildung ist ja allzumal unser großes Thema hier, teure Lesehäschen. Lernen wir für die Schule, oder hätten wir in der Schule was lernen sollen? Ist aus uns was geworden, weil wir was Gescheites gelernt haben, oder obwohl? Oder hätte aus uns was werden können, hätten wir nur nix Gescheites gelernt? Die Meinungen wechseln, doch ein Schlagwort der Debatte besticht durch seine Zählebigkeit: Lifelong Learning oder, wie auf den Werbemitteln (Bleistifte HB2) des Knabenkonvikts meiner verlorenen Jugend stand: Ma lernt nia us. All jene, die glauben, dies sei nur eine Worthülse, die uns von Politikern gern zugeworfen wird, wie man dem Hund einen Knochen gibt („Kauen beruhigt!“ wissen die Hundetrainer), all jene also werden gleich merken, was beim Glauben am höchsten ist. Denn uns ist ein strahlendes Beispiel erwachsen, wie man dank Lifelong Learning nicht nur etwas Gescheites, sondern etwas noch Gescheiteres werden kann. Wer ist diese Lichtgestalt? Ihr werdet überrascht sein, liebe Häschen: Dr. Josef Ostermayer, der einst auf Faymanns Rockschößen in die Spitzenpolitik geritten kam.
Der Herr Dr. Ostermayer war im April schon bei uns zu Gast. Kurz zur Erinnerung: Der Mietrechtsexperte sammelte Erfahrungen als Leiter des Wiener Wohnfonds, die ihn ministrabel machten, und zwar kulturministrabel, denn nichts qualifiziert mehr für die Kulturpolitik als eine tiefe Kenntnis des Wiener Wohnbauwesens. Wir schließen daraus, dass letzteres ein Riesentheater ist. Noch größer als das Burgtheater, dessen Direktor der Herr Dr. Ostermayer als eine seiner ersten Amtshandlungen schasste.
Nun gut, Herr Dr. Ostermayer ist mittlerweile so sehr Kulturminister, wie Faymann Bundeskanzler ist. Damit hat er freie Kapazität, die er künftig als Vorstand der Sozialbau AG füllen wird. Dies ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert.
Erstens erfüllt die Sozialbau eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, da hier Sprösslinge der Wiener Sozialaristokratie sich ein Auskommen verdienen, denen dies andernorts oft schwerfallen dürfte. Vielleicht erzähle ich dazu einmal die eine oder andere Anekdote. Es fällt daher umsomehr auf, dass ein qualifizierter Mensch wie Herr Dr. Ostermayer sich hier nützlich machen darf.
Zweitens sieht das auch Hermann Gugler, Aufsichtsratsvorsitzender der Sozialbau, so: „Wir sind sehr glücklich, mit Herrn Dr. Ostermayer einen ausgewiesenen Experten in den Vorstand berufen zu können.“ Wie sympathisch spüren wir hier die Erleichterung, die Herr Gugler empfunden hat, als er erfuhr, dass der neue Vorstandskandidat einer sein würde, der tatsächlich eine Ahnung von seinem Tätigkeitsfeld hat. Entlarvender kann man das kaum formulieren – danke, Herr Gugler!
Drittens aber ist Herr Dr. Ostermayer ein derart ausgefuchster Immobilienfachmann, dass ihm neben seiner Vorstandstätigkeit noch Zeit bleibt, Vorlesungen an der Universität für Angewandte Kunst zu halten. Ab Herbst referiert Gastprofessor Dr. Ostermayer dort zu Fragen der Kulturpolitik. Damit schließt sich der Kreis: Herr Dr. Ostermayer qualifizierte sich als Wohnrechtsexperte für die Kulturpolitik, von der er zwar so viel Ahnung hatte wie ich vom Wohnrecht, die ihn aber nichtsdestoweniger für die Rückkehr in die Wohnsphäre qualifizierte, wo er sich die freie Zeit mit Vorlesungen über Kulturpolitik vertreibt, worüber er einschlägige Kenntnisse während seiner Tätigkeit als Minister erworben hat. Wie gerne würde nicht jede von uns sich daran ein Beispiel nehmen! Ich zum Beispiel fühle eine gewisse Affinität zum Dasein eines Starmoderators. Zwar habe ich diesen Beruf noch nie ausgeübt, doch das sollte geradezu eine Empfehlung sein, wenn man die Laufbahn des Exministers betrachtet. ORF, bitte kommen!

Freitag, 9. September 2016

Dicke Bücher, dicke Frauen

Herrschaften, ich werde alt. Was noch mehr ist: ihr auch. Ihr habt diese Kolumne noch nicht fertiggelesen, da seid ihr dem Grab schon wieder ein bisschen näher. Selber schuld, dabei hättet ihr die Zeit nutzen können, um Pokémons zu fangen (wie Norbert Hofer) oder den Fang von Pokémons zu verdammen (wie Harald Vilimsky). Was ist eigentlich die liberale Position zum Fang virtueller Ungeheuer? Gibt es überhaupt eine PoPo (Pokémon-Position), die noch nicht autoritär besetzt ist?
Meine Position wären ja prinzipiell dicke Romane. Dicke Romane schätze ich seit Jahrzehnten. Ob das jetzt der Zauberberg ist oder der Mann ohne Eigenschaften, Herr der Ringe oder Cryptonomicon, der Großmüthige Feldherr Arminius oder die Aubrey-Maturin-Serie – wenn ein Buch dick ist, hat es bei mir schon einmal einen Sympathiebonus. Ist vielleicht nicht das anspruchsvollste Kriterium, aber es gibt schlechtere. Also sprach ich neulich zu mir, jetzt liest du Anna Karenina. Hast du noch nie gelesen, hat die Probe der Zeit bestanden, und dick ist es außerdem. Wird schon nicht so sein wie die Kreutzersonate, was bis dahin das Einzige war, das ich von Tolstoi gelesen hatte.
Nun, verehrte Lesehäschen und Freunde der Weltliteratur russischen Ursprungs, ich habe ein Geständnis zu machen. Ich finde Anna Karenina etwas langweilig. Was die Figuren so treiben und warum, das ist mir von Anfang bis Ende recht gleichgültig geblieben. Die Betrachtungen über den ganz besonderen Bezug des russischen Landarbeiters zur Scholle haben mich nicht in ihren Bann gezogen. Anna selbst hat so gar nichts außer einer Affäre. Kurz: Es war nicht meins.
Also sprach ich erneut zu mir: Alter, du wirst alt! Früher ein dickes Buch nach dem andern, und jetzt an unverlierbaren Kulturschätzen rummeckern! Reiß dich zusammen! Und ich ging hin und kaufte mir die Dämonen – von Doderer, nicht von Dostojewskij, bei den Russen bin ich jetzt eine Weile vorsichtig.
Nun ist es so, dass die Dämonen mir bis jetzt sehr gefallen. Wer’s nicht kennt: Es spielt in Wien, in den 20er Jahren. Es gibt mehr Figuren als in der U6. Die allermeisten Frauen sind ziemlich wohlbeleibt. Dies spielt im Verlauf des Romans eine wichtige Rolle. Die (meistenteils dicken) Frauen teilen sich in zwei Kategorien: Es gibt die, von denen Doderer erklärt, sie seien schön. Und dann gibt es noch die, von denen er sagt, sie seien wirklich schön. Woran man schon sieht, was für ein g’feanzter Hund der Doderer war, denn wenn die einen wirklich schön sind, wie sehen dann die Schönen aus? Kann man diesem Erzähler nun vertrauen oder nicht? Das sind so Fragen, die einen umblättern machen. Tolstois Erzähler, und darin gründet vielleicht seine Reizlosigkeit für mich, dem kann man blind vertrauen, immer und jederzeit. Sollte mir, was ich nicht hoffe, einmal etwas Dramatisches zustoßen, dann ließe ich mir gern, allzugern von Tolstois Erzähler unter die Arme greifen, über die Straße helfen oder das Bett richten. Wenn es hingegen darum geht, das mir Zugestoßene in Worte zu gießen, die auch jemanden interessieren, dann doch lieber Doderer.
Hier stehen wir jetzt: Ich finde mehr Genuss in einem Buch, dass mir von dicken Frauen erzählt, die möglicherweise schön sind oder auch nicht, in dem es eine 50seitige Schilderung eines gefakten Hexenprozesses in Frühneuhochdeutsch gibt und in dem ohne Unterlass ständig alle in sich und einander hineinhören, als an der Tragödie einer russischen Adligen voll großer Gefühle, Pferderennen und weißichnochalles. Mir scheint, mein Pokémon hat eine Schwäche für Mehlspeisen. Aber ich lese lieber weiter. Wenn Norbert Hofer es fangen mag, dann bitte.