Freitag, 7. Oktober 2016

Die neue Ehrlichkeit


Erstens habe ich, es ist schon einige Monate her, einen langen Artikel von einer jungen Frau gelesen, die erklärt hat, wie es jungen Frauen heute so geht:  Es gebe praktisch keine strukturelle Benachteiligung mehr, sie setzen ihren Charme ein, um etwas zu erreichen, und sie suchen sich ein „Gegenüber auf Augenhöhe“ eher unter deutlich älteren Männern, weil die jungen solche Wappler sind. (Dieses ist natürlich für den Zweckdichter, diesen alten Lustsack, eine interessante Neuigkeit.) Abgesehen davon, dass ich gerne von weiteren Fällen höre, wo eine im fünften Monat Schwangere zwei männlichen Bewerbern für eine Stelle vorgezogen wird, hat mich die ganze Geschichte von der neuen Superheit des Frauseins an eine Geschichte erinnert, die ich kürzlich von einer sehr geschätzten Tante gehört habe, einer Tante, die mittlerweile die 80 hinter sich gelassen hat, was ihrer generellen Coolness keinen Abbruch tut. Die hat mir erzählt, dass sie in ihrer Kindheit (sie war die Älteste) gemeinsam mit ihren beiden Schwestern von ihrer Mutter (also meiner Großmutter) routinemäßig zu allen möglichen Arbeiten im Haus herangezogen wurde. Eines Tages stellten sich die drei auf die Hinterbeine und wollten von ihrer Mutter wissen, weshalb sie ständig Tisch decken, Hühner füttern, Geschirr spülen und weiß der Geier was noch alles mussten, während ihren vier faulen Rabauken von Brüdern nichts von alledem abverlangt wurde.
Meine Großmutter lieferte prompt: „Wozu habe ich drei Töchter, wenn ich dann auch noch die Söhne im Haus arbeiten heißen soll!“
Man sieht daraus, dass es der Feminismus sehr weit gebracht hat. Wenn ich den gedachten Artikel noch einmal überfliege, denke ich mir, dass er es vielleicht schon so weit gebracht hat wie die sprichwörtlich denaturierten Stadtkinder, die glauben, dass Milch aus der Steckdose kommt. Ich rate, die feministischen Errungenschaften nicht gering zu schätzen und sich eher weniger über Männer zu mokieren, die einem beim ersten Date erklären, sie wären schon auch bereit, in Elternzeit zu gehen. Denn die Weisheit lautet, dass man sich nie sicher sein soll. Leicht gerät man an einen sehr sympathischen, völlig unverwappelten Mann auf Augenhöhe, von dem man Gleiches überhaupt nie zu hören bekommen wird.
Zweitens hat es auch die Fastfertigfutter-Werbung weit gebracht. Früher verhieß man uns gerne Knuspriges, Herzhaftes, Leichtes, mitunter auch bloß Heißes oder Schnelles, Hauptsache, es ging mit wenig Geschirr und ohne dass man Sachen kleinschneiden musste. Diese finsteren Zeiten haben wir glücklich hinter uns gebracht. Die Strategen von Knorr haben herausgekriegt, was der moderne Convenience-Food-User auf dem Teller haben will. Ist es Frische? Geschmack? Aroma? Nein. Es ist vor allem „authentisches Essen“. Endlich! kann man da nur seufzen und sich freuen, dass man genau an diesem Punkt der Ernährungsgeschichte durchs Zeitfenster schauen darf, so auf halbem Wege zwischen der Raviolidose von Inzersdorfer (authentisch wie bitte?, Essen räusper) und Soylent Green (extrem authentisch, denn It’s people!, aber ob man es essen mag, ist halt eine sehr persönliche Frage). Schön, dass man sich bei Knorr dazu durchgerungen hat, uns endlich Essen als Essen zu verkaufen, anstelle von manwillsichgarnichtvorstellenwas.
Da sage noch einer, dass es in der Werbung zu wenig Ehrlichkeit gibt! 

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