Freitag, 28. Juli 2017

Unter Strom

Wenn ich ihr wäre, o teure Häschen, würde ich noch eine Runde irgendwohin fahren. Denn in Zukunft wird das wahrscheinlich schwieriger werden. Dafür sorgt z. B. Nicolas Hulot, Frankreichs Minister für Umwelt und Energie. Er hat angekündigt, plusminus 17 der 58 französischen Atomkraftwerke zu schließen, und er will außerdem bis 2040 den Verbrennungsmotor aus dem Straßenverkehr eliminieren. Das ist natürlich löblich, aber ich misstraue dem Urteilsvermögen des Monsieur Hulot, den der Standard offensichtlich in einem Anfall von Ironie als „Umwelt-Realo“ apostrophiert: Er kontert den Aufschrei der Automobilindustrie (Stromerzeugung drosseln und Verbrennungsmotor verbieten – wie soll das gehen?) mit dem Hinweis, „neueBatterien würden rasch entwickelt“. Wow! Damit hat dieser Tausendsassa nicht nur das Problem der Mobilität gelöst, sondern auch gleich alle anderen: Welthunger? Einfach mehr Lager für Lebensmittel bauen, die füllen sich von selbst. Schulabgänger können nicht lesen? Druckt mehr Bücher! Impfstoffe fehlen? Kein Problem, wir müssen nur genügend Injektionsspritzen auf Halde legen. Und so weiter und so fort. Wir heißen Herrn Hulot herzlich willkommen am Facepalm-Punkt: Jenem Punkt, wo man sich als normaler Mensch an den Kopf greift und denselben ratlos schüttelt vor der Frage, wie ein Wichtiger eigentlich wichtig geworden sei? (Ich weiß schon, dass man nachhaltig mit dem Zug fahren soll und nicht mit dem Auto. Aber als ich zuletzt nachgeschaut habe, haben Züge auch Strom gebraucht.)

Besonders vielversprechend ist der Ansatz von Monsieur Hulot, weil auf Seiten der Automobilindustrie kongeniale Gegenüber wie Volvo-CEO Håkan Samuelsson warten, der in einem ausführlichen ZEIT-Interview ungefähr überhaupt nichts Sinnvolles rausgelassen hat. Er ist zwar sicher, dass Volvo in drei Jahren fünf verschiedene Elektromodelle anbieten wird, aber der Rest wird sich zeigen, beziehungsweise eben nicht zeigen, sondern mit Bullshit gedüngt, auf dass bald Dividendenblümlein sprießen. Samuelsson spintisiert zum Beispiel von einem Auto-Abo, in dem man eine monatliche Flatrate zahlt und alle zwei Jahre ein neues Auto bekommt. Was man mit den Rückläufern plane, will der ZEIT-Interviewer wissen. Denn alte E-Autos kann man ja nicht, wie alte Verbrenner, irgendwann nach Afrika verschiffen, wo sie fahren, bis sie zerfallen. „Das müssen wir berücksichtigen, wenn es so weit ist. [...]Wir müssen [...] erst einmal ein Gefühl dafür bekommen...“ Man kann nur hoffen, dass das Gefühl innerhalb der nächsten vier, fünf Jahre entsteht. Dann sind ja, so Herr Saemuelsson, die ersten Gebraucht-Abo-Fahrzeuge zu erwarten. Ich für mein Teil habe jetzt schon ein Gefühl: das Gefühl, dass um obgedachte Rückläufer kein großes G’riss sein wird, weil alle potenziellen Käufer schon einmal ein Handy gehabt haben und sich deshalb hüten werden, einen wahrscheinlich fünfstelligen Betrag in eine Gerätschaft zu investieren, über deren Akkuvorleben man nichts Genaues weiß. Von den Umständen, unter denen die für Hochleistungsakkus erforderlichen Seltenen Erden abgebaut werden, schweige ich, wir wollen uns ja nicht das Wochenende versauen.

Ähnlich locker im Umgang mit dem, was der Fall ist, zeigt sich mitunter auch die gute alte ZEIT selber, im konkreten Fall ein Herr namens Sebastian Preuss, der in einem Artikel überalte Möbel kundtut, dass 8.700 Euro für viele Menschen zwei oder drei Monatseinkommen sind. Hier fehlt nur noch der Hinweis, dass jene doch Kuchen essen sollen.
Schönes Wochenende und bis später, denn euer Kolumnator verabschiedet sich in den Urlaub.

Freitag, 21. Juli 2017

Neues Wort, neues Glück

Ich werde, das ist für meine treuen Häschen nichts Neues, älter. Euch geht es ebenso, deshalb will ich nicht anstehen, euch eine geschmeidige Salbe auf die Sprachgelenke zu schmieren, damit ihr nicht etwa auf einer Apposition, achtlos liegengelassen von einem etwas gar zu saloppen language-user, ausrutscht oder euch sonst etwas Unwillkommenes widerfährt. Zum Beispiel wissen wir ja, dass die Sprache mit der Zeit nicht dieselbe bleibt. Auch sie bekommt Falten, lässt sich eine Warze wachsen, kriegt das mit dem Rasieren nicht mehr so exakt hin und bückt sich ungern.
Naja, nicht wirklich. Natürlich wird die Sprache nicht älter, nur anders (so wie ihr unglaublich gut erhaltenen Lesehäschen). Zum Beispiel sagt man seltener sgott und mehr hallo, man kann heute auch als Nichtsteirer etwas daunalodna, und wenn du von deiner Mehlbox sprichst, hält dich keine für eine Bäckerin.
Das ist aber noch nicht alles. Ich habe neulich gelernt, dass heute kein vernünftiger Mensch mehr auf ein Fest, ein Festl oder gar (nicht weinen, liebe Fans von Sophie Marceau!) auf eine Fete geht. Man geht heute wahlweise auf eine
Party
Homeparty
oder Gardenparty
Dem wohnt Verwirrungspotenzial inne. Denn Menschen meiner Generation, die zu einer Homeparty geladen werden, fragen sich unwillkürlich, wie sie auf die Gästeliste des Botschafters geraten sind, und ob die Homestory noch weit ist, wenn man es schon zur Homeparty gebracht hat. Doch gemach, meine Teuren. Hier das praktische Glossar für nicht mehr ganz frischg’fangte Partyhasen.
Die Gardenparty erklärt sich von selbst: Das ist jene Art von Veranstaltungen, in der nach zwei Stunden alle leicht angefeuchtet in der Wohnung herumlungern, dass die Scheiben anlaufen, während sich die Gastgeberin fragt, warum niemand Getränke im Kühlschrank eingekühlt hat anstatt in der Kühlbox, die noch im Garten steht, aber bei dem Wetter jagt man ja keinen Hund vor die Tür. Denn wir sind hier in den mittleren Breiten.
Die Party ist eine sehr schätzbare Sause mit Vor- und Nachteilen, denn sie findet in einem Lokal statt. Man erspart sich daher als privater Gastgeber das Aufräumen, dafür ist es für die Gäste meistens irgendwie nicht so gemütlich und manchmal weiß man nicht genau, wer jetzt die Getränke zahlt.
Und die Homeparty? Man ahnt es: Das ist die Party, die wir alle kennen und lieben. Wo die meisten in der Küche abhängen und das Bier in der Badewanne oder auf dem Balkon lagert. Wo es, je nach Altersklasse und Anspruch, irgendwas Salziges vom Hofer oder was selbstgemacht Pikantes gibt. Wo alle froh sind und manche noch froher (nämlich die, die nachher nicht aufräumen müssen). Kurz: Es ist ein Festl, liebe Mit-Gen-Xer. Wenn euch also, weil ihr ja gut erhaltene und lebensbejahende Häschen seid, eine Einladung zu einer Homeparty ins Haus flattert, spart euch das Geld für die Smokingmiete und denkt stattdessen an Nirvana: Come as you are.


Freitag, 14. Juli 2017

Bürsten

Ihr wisst, o teure Häschen, dass euch hieramts stets Rat wird, wenn die Not am größten ist. Aus gegebenem Anlass drängt sich heute die Frage aufs Tapet: Wie man es mit der Körperpflege in der Öffentlichkeit halten soll?  Erfreulicherweise hat mir die Beste von Österreichs bestsortiertem Flohmarkt ein Benimmbuch aus den 50er Jahren mitgebracht, dass so betulich daherkommt, als wären es die 1850er und nicht die 1950er. Aber dazu vielleicht ein andermal mehr, denn bedauerlicherweise habe ich nicht nachgeprüft, was der unglaublich redselige Autor („wie ich einmal ein Empfehlungsschreiben an einen Minister bekommen habe, das sofort eine Freundschaft zerstört hat“) über hygienische Verrichtungen zu sagen hat, bei denen man zuschauen kann.
Ich jedenfalls bin kürzlich U-Bahn gefahren (nein, es war die U3, nicht die U6), und tat, was man so tut, wenn man nichts Besseres zu tun hat, nämlich Zeitung lesen. Neben mir saß eine Frau, die drückte ein Weilchen an ihrem Handy herum. Dass sie noch jung war, sieht man daran, dass sie ohne Schwierigkeiten an ihrem Handy herumdrückte, obwohl sie auch in der U-Bahn ihre sehr dunkle Sonnenbrille trug. Schließlich war sie mit Herumdrücken durch, griff in ihre Handtasche, brachte das entsprechende Werkzeug zum Vorschein und hub an, sich die Haare (dunkel, halblang) zu bürsten. Natürlich dachte ich mir sofort, was sich in solchem Falle jeder denkt, nämlich Oida! Weil ich aber ein KS (konservativer Scheißer) bin, dachte ich mir als Nächstes: Gehört sich das?
So etwas will reiflich erwogen sein. Mit einem vorschnellen Urteil macht man sich ungebührlich wichtig. Denn wir sind ja nur zufällige Weggefährten zwischen Landstraße und Gasometer, und wir könnten ja auch einfach weiter Zeitung lesen oder selber am Handy herumdrücken, anstatt der Tante beim Bürsten zuzuschauen. Doch am andern Ende der Nahrungskette warten Kolleginnen oder Sexualpartner, denen die dunkelhaarige Tante, mit ungebürsteten Haaren entgegentreten müsste, nur damit wildfremde U-Bahn-Mitbenützer nichts über ihr Ghörtsich zu meckern haben. Auch haben wir ein Beispiel öffentlichen Haarbürstens aus der besten, ja allerbesten Gesellschaft, nämlich jener, die so exklusiv ist, dass ihr überhaupt niemand angehört, zumindest niemand Realer: Ist doch die Loreley berühmt für nichts anderes als Singen und Bürsten. (Habt ihr übrigens gewusst, dass Brentano die Loreley vollrohr erfunden hat? Ich nicht. Ich habe Heine das mit dem Märchen aus uralten Zeiten abgekauft und erst jetzt erfahren, dass besagtes Märchen gerade mal 23 Jahre alt war, als Heine seinen berühmten Vers geschrieben hat.)
Aber zurück zum Thema. Soll man nun, oder eher nicht? Ist man die Loreley, dann natürlich ja, selbstverständlich, sowieso! Und wenn nicht?
Generell gilt ja die Benimmregel, dass man coram publico keine Verrichtungen vornimmt, nach denen man etwas hinterlässt. In die Ecke pinkeln, aus dem Fenster erbrechen, Nasenbohren, Nägel schneiden – all das erledigt der Mensch von Welt unter Ausschluss der Öffentlichkeit, während es gerade noch zulässig ist, sich an unverfänglichen Stellen zu kratzen. Die Frage ist mithin, ob es der sonnenbebrillten Tante lediglich um die Verschönerung des Haarbildes (so heißt das glaubich in Fachkreisen) zu tun war (war da nicht was mit 100 Bürstenstrichen?), oder aber um die Beseitigung abgestorbenen Haarmaterials, welches sich gegebenenfalls in der Bürste verfangen hätte, wobei aber nicht ausgeschlossen hätte werden können, dass sich gedachtes Haarmaterial, und sei es auch nur teilweise, selbständig und im U-Bahnwagen breit macht. Dann also natürlich: nein, kein Gebürste, bitte morgen den Wecker früher stellen, dann geht sich das alles aus. Danke.

Freitag, 7. Juli 2017

Berufswunsch


Hand hoch, frischgebackene Lesehäschen: Wer ist jetzt endlich mit der Schule fertig und überlegt sich, was es werden will? Kürzlich habe ich zu meiner großen Freude das Selbstporträt eines Zehnjährigen gelesen, der als Berufswunsch angab: Wenn ich groß bin, werde ich ... in einem Büro arbeiten. Way to go, junger Freund!

Nun hat die Büroarbeit sicher viel für sich (Dach überm Kopf, beheizt, keine schweren Hebearbeiten). Wer aber mehr erleben will, der zieht vielleicht eine Laufbahn bei der Wiener Polizei in Betracht. Und sieh da: die „sucht Nachwuchs“ (laut Update vom 13. Februar 2013, aber was soll’s, Polizistinnen werden sicher immer gebraucht. Außerdem habe ich läuten hören, dass nicht wenige hoffnungsfrohe Kandidatinnen an der Rechtschreibprüfung scheitern. Also fleißig BamF lesen und gelegentlich ins Archiv schauen!).

Jetzt ist natürlich die Frage, was einen dort erwartet. Diebe stellen? Verkehrssünder ermahnen? Leben retten? Auch, aber nicht nur. Dies lehrt uns folgende Anekdote aus der Welt der Privatschulen.

In einem Wiener Park haben Zehnjährige, denen beim Schulabschlusskränzchen fad war, eine Runde Fußball gespielt. Damit waren sie nicht allein, denn nahebei spielten andere Buben (vielleicht gleich alt, vielleicht ein, zwei Jahre älter, jedenfalls hatten sie Migrationshintergrund, im Gegensatz zu den obgedachten Zehnjährigen mit Immatrikulationshintergrund) ebenfalls Fußball. Dabei unterlief ihnen irgendwas, das die Zehnjährigen lächerlich fanden.

Lasset uns an dieser Stelle innehalten.

Ich weiß ja nicht, wie flauschig eure Kindheit war. Aber wenn ich in einem mir nicht vertrauten Park gespielt hätte, und daneben hätten mindestens gleich große Buben gespielt, die dort offenbar öfter zugange waren, und einem wäre etwas unterlaufen – also, ich hätte mir gut überlegt, ob ich mir da einen Lacher auskommen lasse.

Jedenfalls wundert mich die nächste Szene nicht im Geringsten: Zehnjähriger Immatrikulant wird von Nachwuchsmigranten in den Schwitzkasten genommen und geboxt.

So weit, so vorhersehbar. Und dann? Opfer läuft zu Eltern und erhebt Klage. Immer noch vorhersehbar.

Aber jetzt: Mehrere Väter springen wie ein Mann auf, stellen die Täter und zwingen sie zu verharren.

Worauf galt es zu warten?

Passt auf: Wenn 2017 ein noch nicht einmal halbwüchsiger Rabauke gegenüber einem etwas ungeschickten beinah Gleichaltrigen handgreiflich wird, weil der im falschen Moment gelacht hat, dann ist das keine zweifellos rauhe, aber trotzdem stichhaltige Lektion des Lebens, sondern der Anlass für einen Polizeieinsatz. Ja, im Ernst. Übrigens versuchten die Beschuldigten sofort, den Spieß umzudrehen, weil die Väter sie ja handgreiflich zum Bleiben gezwungen hatten. Glücklicherweise erwiesen sich die Amtsorgane (denen mein ganzes Mitgefühl gilt) als die Besonnensten, sodass es ihnen gelang, die Situation zu entschärfen.

Daraus erhellt auch, warum die Polizei Nachwuchs sucht. Wäre es in meiner Kindheit üblich gewesen, vorpubertäre Rangeleien durch die Exekutive klären zu lassen, dann hätte die am besten gleich eine Wachstube im Internat eröffnet und sich viel Wegzeit erspart.