Freitag, 1. September 2017

Erkenntnisgewinn

Willkommen zurück, teure Häschinnen, Häsen und MGs (mitgemeinte Genders). Wisst ihr noch, was letzte Woche war? Genau: Wissenschaft härtester Gangart. Denn das Feld der Mineralogie ist von bitteren Differenzen geplagt: Auf der einen Seite steht die empathische Schule, die sich dem einzelnen Kristall widmet und die Unterschiede zwischen komplexen Formen feiert. Die geometrische Schule andererseits sucht nach den Bauprinzipien, die ebendiese Formen entstehen lässt. Sie trachtet danach, im Verschiedenen das Gemeinsame zu erkennen und so den Ursachen der Verschiedenheit auf den Grund zu kommen. Die Empathiker finden dies rüde und werfen den Geometrikern vor, sie handelten nach einem Mechanismus, der auf die Beseitigung von Binnendifferenzen und empirischer Komplexität, dafür umso mehr auf Homogenität, Abstraktion und Vergleichgültigung im Inneren von Differenz abzielt.
Schmäh! Es geht gar nicht um Gesteine, es geht immer noch um die beiden Genderologie-Professorinnen, die sich auf den Schlips (ha! Diesen billigsten aller Witze musste endlich jemand reißen, und wenn ich es selber bin!) getreten fühlten. Warum? Unter anderem, weil die Gegenseite zur Abstraktion neige. Denn Abstraktion ist für die beiden Heldinnen gewaltvolle Gleichmacherei und Beseitigung von Binnendifferenzen.
Uuuund schon weiß ich mehr über die Genderforschung, als ich je wissen wollte.
Es ist nämlich so: Als Newton den legendären Apfel fallen sah, da hat er sich nicht gefreut, dass er zufällig Zeuge geworden war, wie dieser eine Apfel seinem plötzlichen Streben Richtung Mutter Erde nachgab, sondern weil ihm etwas Grundlegendes über das Wesen der Beziehung zwischen Äpfeln und Planeten klargeworden war.
Emmanuel Leroy Ladurie wollte nicht nur möglichst viel über das Dorf Montaillou und seine Bewohner herausfinden, er hoffte dadurch auch mehr über die französische Landbevölkerung im 14. Jahrhundert zu erfahren.
Dass Frau Butler ihren Derrida gelesen hat, ist bekannt. Doch sie hat seine Leidenschaft für sprachliche Performanzen gegen die beinahe katholische Überzeugung eingetauscht, dass sich das biologische Geschlecht gesellschaftlich konstruieren lasse. (Wer Kleists Über das Marionettentheater noch nicht gelesen hat, hole das alsbald nach, kommt zur Prüfung!)
Aber ich schweife ab, verehrte Genderforscherinnen. Die wichtigste Bedeutung von Abstraktion ist gemeinhin: die Übertragung von Erkenntnissen und Methoden vom Einzelnen auf die Vielheit der Fälle. Es ist lieb von euch, dass ihr der einzelnen Person ihren Wert lassen wollt. Wenn ihr aber einer jeden gewalttätige Neigungen unterstellt, die sich nicht mit der Sammlung von Einzelfällen begnügt, sondern irgendwann einen größeren Zusammenhang ins Auge fasst, dann drängt sich mir die Frage auf, ob die Genderforschung überhaupt Fragen nachgeht oder sich mehr als Jägerinnen-und-Sammlerinnen-Fachrichtung sieht. Worüber trachtet sie mehr zu erfahren, wenn sie sich niemals vom Individuum und den feinen Unterschieden zwischen mehreren davon lösen darf?
Mir scheint es sehr bequem, sich als Wissenschaft zu gerieren und gleichzeitig Leuten, die einem auf den Pelz rücken, nicht etwa Mangel an Wissenschaftlichkeit, sondern an Empathie vorzuwerfen. Reality call: Dass der Gegenüber nicht nett ist, beweist nichts für den Wert des eigenen Tuns.
Und ja, ich weiß inzwischen auch, dass Abstraktion in Tiefenpsychologenkreisen eine spezielle, unerfreuliche Bedeutung hat. Wenn die Genderforschung aber beschließt, sich der tiefenpsychologischen Fachsprache zu bedienen, muss sie das bitte vorher sagen. Eine Elektrikerin darf von Männchen und Weibchen reden, ohne dass die Genderistinnen aufheulen, aber nur, weil man schon weiß, dass Männchen und Weibchen in Elektrikerinnenkreisen etwas anderes bedeuten als in der Genderei.

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