Freitag, 8. September 2017

Geisteswissenschaft


Es ist, teure Häschinnen und Häseriche, die stillste Zeit im Jahr: Frühherbst, a.k.a. Altweibersommer, also ideal, um sich den großen Fragen zu stellen: Woher kommen wir, wohin gehen wir, und ist wir weiblich, männlich oder sonstwas?
Kurz: Der Genderforschungs-Hype fegt durch die Lande, niemand hat mehr was anderes im Kopf, und ich schon gar nicht. Denn ich habe wieder etwas Neues in Sachen Genderologie gelernt, und weil ich weiß, dass ihr fingernagelkauend auf dem Sesselrand hin- und herrutscht wie sonst nur in den letzten fünf Minuten einer Game-of-Thrones-Folge, spanne ich euch nicht länger auf die Folter, sondern verrate euch, wie das mit der Genderei einerseits und dem Feminismus andererseits ist. Glaube ich.
Also: Erstens ist mir mittlerweile klar, warum die Schwestern Oberinnen der Genderistik, Frau Butler und Frau Hark, die Abstraktion so unerfreulich finden: Weil sie gestandene Poststrukturalistinnen sind. Der Poststrukturalismus (kleiner Exkurs für alle, die im Unterschied zu mir was Gescheites gelernt haben) ist mit sich selber im Unreinen. Merken muss man sich aber, dass im Poststrukturalismus erstmals so richtig klar wurde: Sprache bildet nicht nur Realität ab, sie kann auch Realität sein und schaffen (wie wahr!).
Nun ist, was sprachlich der Fall ist, immer konkret, niemals abstrakt-verallgemeinert. Es ist ein Unterschied, ob es ein Unterschied ist, ein Unterschied besteht, es einen Unterschied macht oder noch etwas anderes. Deshalb sind die beiden von so tiefem Misstrauen gegenüber der Abstraktion beseelt: weil sie darin Gefahr für die Grundfesten poststrukturalistischen Denkens wittern.
Das Schöne am Poststrukturalismus ist, dass er so viele interessante Fragen an Texte aufwirft. Das Dumme ist, dass man die Sache nicht zu wörtlich nehmen darf. Im Wikipedia-Eintrag von Frau Butler lese ich zum Beispiel, dass ihr zufolge Worte auch den biologischen Körper schaffen und ändern können. (Lernt man so etwas am Minerva-McGonagall-Institut für Transformation der UC Berkeley? Hab nicht gewusst, dass Hogwarts jetzt dort eine Expositur hat.)
Vielleicht ist die Butlersche Geschmacksrichtung der Genderforschung aber auch eher religiös geprägt? Denn so wie Jesus gekommen ist, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schweigertochter mit ihrer Schwiegermutter, so hat auch Frau Butler in der feministischen Theorie Zwietracht gesät, weil diese das binäre Geschlechtersystem weiter festschreibe, indem sie Frauen Merkmale einer Gruppe zuweist. Stimmt, tut sie. Muss sie sogar. Denn der Feminismus ist immer auch politisch, während die Genderomantik dem Feminismus einen Bärinnendienst erweist, wenn sie sich zu politischen Aussagen hinreißen lässt. Politik ist nämlich eine Frage der Mobilisierbarkeit. Wer keine Wählerinnen an die Urnen bringt, keine relevanten stakeholder an die Maustasten, die wird politisch nichts reißen. Auf die Größe der Gruppe kommt es mithin an, und für eine Gruppe braucht es – na? Genau: Jene gemeinsamen Merkmale, deren Festschreibung Frau Butler am Feminismus kritisiert. Ich kann sehr gut verstehen, dass sie sich für gemeinsame Merkmale wie etwa den strukturellen Einkommensnachteil von Frauen gegenüber Männern nicht so brennend interessiert. Bezöge ich ein professorales (oder muss das genderastisch professorinal heißen?) Jahresgehalt von fast 300.000 Dollar, ginge es mir bestimmt ähnlich.Wenn also der Feminismus bereit ist, einen guten Rat von einem mittelalten Hodensack anzunehmen, sage ich euch: Bewundert die Genderforschung, denn der Poststrukturalismus ist eine spannende Angelegenheit. Aber bewundert sie von ferne, und lasst euch mit Worten keine Körperteile zaubern, die ihr nicht haben wollt.
Gern geschehen!

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