Da haben wir’s, meine lieben Lesehäschen. Der Herr Bürgermeister kann sich nicht entscheiden, ob er lieber mit den Grünen oder mit den Pinken in die Zukunft steuern will, oder vielleicht hat er sich schon entschieden, will aber damit nicht herausrücken.
Er hat jedenfalls angekündigt, dass eine Entscheidung kommen müssen wird. Oder muss sie eher kommen werden? Denn wie es in der Politik ist, so ist es bisweilen auch in der Grammatik. Das sozialdemokratisch eingesessene „kommen“ kann sicherlich mit „müssen“ eine Koalition der Infinitive eingehen, während „wird“ in der finiten Form konstruktive Oppositionsarbeit leistet, eh klar, wie das in der Opposition halt so Brauch ist.
Halt, stopp! Was hat es nochmal mit den finiten Verbformen im Gegensatz zum Infinitiv auf sich? Da darf man ruhig den Lateiner raushängen lassen: Finite Verbformen sind solche, die sich festgelegt haben, zu welcher Person, zu welcher Zahl, welcher Zeit, welchem Genus (Aktiv oder Passiv) und welchem Modus (Indikativ, Konjunktiv oder gar Imperativ – das sind die Verben, die es etwas strenger mögen) sie sich hingezogen fühlen. Man sagt auch, das Verb wird flektiert (gebeugt), indem es sich den Anforderungen des Satzes anpasst und also die Aufgabe übernimmt, Dinge auszudrücken, die über seine unmittelbare Bedeutung hinausgehen. So ist fühlte etwa Singular Imperfekt Indikativ und entweder erste oder dritte Person, denn so ganz allein sieht man ihm nicht an, ob ich fühlte, er oder sie.
Im Tausch gegen diese existenzielle Gewissheit nehmen die finiten Verbformen in Kauf, dass ihnen Grenzen gezogen sind (lateinisch fines), weil eben fühlte niemals Plural sein kann.
Der Infinitiv seinerseits darf von Blüte zu Blüte flattern, wie es seinem Namen eingeschrieben ist. Denn das „In“ des Infinitivs ist dasselbe wie von „indiskutabel“ oder „indisponiert“: Es sagt uns, dass der Infinitiv keine Grenzen anerkennt. Ein kleiner grammatischer Anarchist tut hier, was er will.
Weil es aber nicht ohne klare Positionen geht, braucht es die finiten Verbformen. Und manchmal hat man, wie der Wiener Bürgermeister, die Wahl. Womit wir bei der Frage sind, ob etwas geschehen werden muss oder geschehen müssen wird.
Des zur Klärung überlege man, womit man es zu tun hat. Nämlich mit einem sogenannten Vollverb (geschehen), einem Hilfs- oder Auxiliarverb (werden) und einem Modalverb (müssen). Die entsprechende Regel lautet einfach: Wenn Hilfs- und Modalverb gemeinsam auftreten, dann nimmt das Hilfsverb die finite Form an. Es wird also etwas geschehen müssen. Weil nämlich das Hilfsverb sonst eh nichts zu tun hat. Es dient werden ja eben dazu, die Zeitform (das Futur) zu definieren und kann dann gleich auch Zahl, Person und so weiter mit ausdrücken, wo es schon dabei ist. Das Modalverb müssen darf sich hingegen ganz der Aufgabe widmen, zu verdeutlichen, dass eine Verpflichtung oder Unausweichlichkeit besteht.
Oida, entringt es sich da einem emotional weniger gefestigten Lesehäschen, und was ist mit „gesagt werden muss?“.
Hier wird ja das Modalverb flektiert, während das Hilfsverb sich im zwanglosen Infinitivnegligé herumfläzt, und das am hellichten Tag. In Wahrheit ist die Regel also eine Runde komplizierter:
Wenn Hilfs- und Modalverb gemeinsam auftreten, dann wird im Aktiv das Hilfsverb flektiert, im Passiv das Modalverb. Im Passiv ist werden nämlich zur Gänze mit dem Passivausdruck ausgelastet, sodass es sich sogar einen Kumpel zu Hilfe holen muss, um Passiv Futur auszudrücken: In Wien wird eine Entscheidung getroffen werden müssen. Hier haben wir ein werden für das Passiv und zusätzlich noch ein wird für das Futur. Dass die Entscheidung, wen man beugen soll, nicht immer leicht fällt, davon kann Michael Ludwig gewiss ein Lied singen.
Schönes Wochenende!
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