Freitag, 9. Oktober 2020

Reimtest

 

Der Wiener Wahlkampf, das können wir, o vielgeliebte Lesehäschen, frei nach Josef Hader festhalten, warat jetzt do. (Für kabarettistisch Unterversorgte: In Hader muss weg lässt sich ebendieser gründlich darüber aus, wie idiotisch der Satz I warat jetzt do ist, indem er konjunktivisch in der Schwebe zu lassen versucht, was offensichtlich der Fall ist, und dieses Offensichtliche auch noch ausspricht.)

Im Falle des Wahlkampfs hat der Konjunktiv seine Berechtigung, weil bei Besichtigung der Plakatbotschaften Zweifel keimen, ob der Wahlkampf tatsächlich der Fall ist. Denn wie einst hieramts festgehalten:Man merkt den Wahlkampf an der doofen Formulierung „Stopp dem“. Selbst Dominik Nepp hat die Chance vergeigt, mit diesem Klassiker bei der verlässlich ansehnlichen Zielgruppe der Grammatikschwachen jeden Alters zu punkten. Womit wir beim Thema sind, das uns ja alle beschäftigt, nämlich: ob Dominik Nepp unsere Stimmen verdient. Da man sich auf Wahlversprechen bekanntlich nicht verlassen kann, schicken wir die FPÖ in den Reimtest für Unentschlossene. Als Prüfstein der Wählbarkeit diene uns der Klassiker unter Nepps Wahlplakaten. Kann es im Vergleich zu den Großtaten der Partei aus Zeiten, als sie noch groß war, überzeugen?

Das fragliche Werk zeigt links leider verhüllte Frauen mit der Beischrift Wiener Islam, rechts einen leider unverhüllten Nepp. Dieser deutet in die ungefähre Richtung des Stephansdoms. Mit der Bildmontage wurde offenbar der Billigstbieter beauftragt. Anscheinend weist Nepp gar nicht zum Dom hin, sondern auf etwas, das weiter weg, aber leider nicht mehr zu sehen ist, etwa seinen Heimatplaneten.

Diese Vermutung bestärkt die Headline, denn dort, wo Nepp hinzeigt, sei Unser Daham. Dass er den Stephansdom meint, ist unwahrscheinlich, weil fast zwei Drittel der Wiener Einwohnerschaft nicht katholisch sind und die katholische Kirche in Wien einen jährlichen Schwund von etwa 1,7 % zu verzeichnen hat.

Doch genug der Spekulation über Nepps wahre Abkunft. Connaisseure der politischen Lyrik erkennen hier natürlich ein Kickl-Zitat, von dem die Steilvorlage Daham statt Islam ja stammt.

Wie schlägt sich die Nepp-Line im Vergleich?

Im Reimabgang bleibt der männliche Reim (Achtung, Bildungsauftrag: Ein männlicher Reim endet mit der betonten Silbe. Ein weiblicher Reim hat zwei reimende Endsilben, von denen die vorletzte betont ist.) erhalten, weil es ja um den Islaaaam geht. In puncto Versmaß schlägt sich Nepp auf den ersten Blick tapfer, indem er zwei viersilbige Verse bringt, in denen jeweils die erste und vierte Silbe betont ist. Geht sich sauber aus, gibt’s nix zu meckern.

Kickl ließ da fünfe gerade sein. Denn bei ihm hat der erste Vers zwei Silben, der zweite aber drei. Ein handwerklicher Schnitzer? Mitnichten. Hier zeigt sich, wer dichtet und wer bloß reimt. Wo Nepp hofft, dass braves Abzählen genügt, um etwas Brauchbares zu erzeugen (wie man ja auch nicht ohne Meterstab auskommt, wenn man sich einen Kasten bauen will), weiß Kick um den Unterschied zwischen selbstgezimmerten Kellerregalen und selbstgeschmiedeten Reimen: Im letzteren Fall gewinnt, wer wagt. Gerade die zusätzliche Silbe im zweiten Vers gibt dem (unappetitlichen) Gedanken Zeit und Raum, Anlauf zu nehmen und mit Schwung die Distanz ins Hirn des potenziellen Wählers überspringen.

Wo Kickl ästhetisch-poetisch übermächtigte, konstatiert Nepp bloß. Er hat zwar mitbekommen, dass die FPÖ irgendwie das Ausländerthema bespielen sollte, scheitert aber an der Aufgabe, sich darauf einen Reim zu machen, was angesichts seines Nachnamens nur umsomehr verwundern kann.

Schönen Wahlsonntag!

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