Freitag, 26. August 2022

Selber schuld

 

Nun denn, ihr kultur- und herrschaftsgeschichtlich ausgeschlafenen Lesehäschen, wie ist das mit der versprochenen kulturellen Aneignung oder vielmehr, da man auch nicht mehr „innere Kündigung“ sagt, sondern quiet quitting, der cultural appropriation? Diese bedeutet: Angenommen, Menschen deiner Hautfarbe, deines Glaubens oder dessen, was die Nazis deine Rasse genannt hätten, haben irgendwann Menschen anderer Hautfarbe, anderen Glaubens oder anderer Rasse unterdrückt, diskriminiert oder halt irgendwie in großem Stil benachteiligt. (Falls du ein alter, weißer Sack bist wie dein Ergebener, dann weißt du jetzt eh, was die Stunde geschlagen hat.)

Und weiter angenommen, diese Menschen tun oder benutzen etwas, das in weiterem Sinne zur Kultur gehört und das du lässig findest. Das kann ein Musikstil sein, ein typisches Kleidungsstück, eine Frisur oder sonst was.

In diesem Fall ist das Lässige für dich verboten. Denn jene anderen haben sich den Genuss des Lässigen (Dreadlocks oder Sari tragen, rappen, sich mit Federn schmücken) durch die Qual verdient, die sie seitens der dir Ähnlichen erleiden mussten. Du aber nicht, deshalb darfst du eben nicht Dreadlocks tragen oder mit Froschgiftpfeilen jagen. Und bevor du fragst: Ja, das gilt auch dann, wenn die sieben Generationen vor dir lauter Osttiroler Bergbauer waren und du der Erste in gerader Linie bist, der überhaupt einmal jemanden einer anderen Ethnie zu Gesicht bekommen hat.

Was daran alles seltsam ist, liegt auf der Hand. Erstens gibt es keine wertschätzende Aneignung mehr, sondern nur eine diebische. Dass Eminem oder Smudo gut rappen können, ist nicht etwa erfreulich für Freunde des gehobenen Sprechgesangs gleich welcher Hautfarbe, sondern jedenfalls ein Schlag ins Gesicht jener Schwarzen, deren ohnmächtige Wut sich im Rap Luft zu machen suchte.

Zweitens scheint eine Abstufung der Aneignungen mitgedacht zu sein, die keinen Sinn ergibt. All die weißen Dreadlockträger, die wegen ihrer Dreadlocks gecancelt wurden, ob derer sich irgendwer „nicht gut“ fühlte – hätten die wirklich ohne Filzrollen auftreten und Reggae spielen dürfen? Man sollte meinen, der Reggae (und jetzt bitte keine Abschweifungen in die komplizierte Geschichte karibischer Musik) gehörte ebensowenig den Weißbroten wie die Dreads, oder?

Drittens, und darüber freut sich Papst Franziskus, findet im Kampfbegriff der cultural appropriation eine christliche Lehre wieder ins Rampenlicht. Denn für jene Woken, die so gut darin sind, sich nicht gut zu fühlen, spielt es keine Rolle, ob Thomas D. schon einmal Schwarze diskriminiert hat. Es genügt, dass er weiß ist, und wenn er sich das ordnungsgemäß vor Augen führt, dann lässt er das Rappen ganz von selber bleiben. Das nennt man White Consciousness: Wenn man allzumal feste dran denkt, wie privilegiert man kraft seiner Hautfarbe und seines Geburtsortes ist, dann hat man ein derart schlechtes Gewissen, dass cultural appropriation und so weiter.

Manche erinnern sich aber gemeinsam mit eurem Zweckdichter, wie Franziskus das nennt: Erbsünde heißt, dass wir alle sowieso ein bisschen ein schlechtes Gewissen haben müssen, weil Adam und Eva damals vom Baum der Erkenntnis genascht haben. Ist doch nett, dass die aufgeweckten Linken zwar in der Fünften Reli abgewählt, aber in Ethik dann so gut aufgepasst haben, dass sie die Erbsünde ganz von selber neu erfunden haben. Schönes Wochenende!

Freitag, 19. August 2022

Haare

 

Euer Ergebener will, o alerte und argute Lesehäschen, keineswegs damit protzen, wie doof er ist, könnte er doch dann niemals den selbst auferlegten Bildungsauftrag allfreitäglich an euch erfüllen. Trotzdem sei hier gesagt: Die Sache mit den Dreadlocks ist mir rätselhaft. Kann mir das bitte jemand erklären?

Für alle, die die letzten Monate unter einem Stein verbracht haben, müssen wir erzählen, wie das funktioniert:

Schritt 1: Eine Band oder ein Musiker wird für ein Konzert gebucht. Falls sie politisch überhaupt zuordenbar sind, dann gehören sie in die linke Reichshälfte, ebenso wie das durchschnittliche Publikum des Veranstaltungslokals.

Schritt 2: Irgendjemandem fällt auf, dass einer oder mehrere Musiker Dreadlocks tragen. Der Jemand tut gegenüber dem Veranstalter sein Unbehagen kund. Dies ist jedenfalls die handelsübliche Formulierung: Leute fühlten sich angesichts der Filznudelfrisur „nicht gut“, weil sie diese nur auf Leuten sehen wollen, die diskriminiert werden oder deren Vorfahren diskriminiert worden sind. Wichtig: Die Leute, die sich nicht gut fühlen, gehören immer der „Dominanzkultur“ an. Ihr Unbehagen rührt niemals daher, dass sie selbst sich von den Dreadlockträgern diskriminiert fühlen. Sie glauben aber, dass jemand anderer sich  diskriminiert fühlt, der aber irgendwie nicht imstande ist, das zu artikulieren. Wahrscheinlich hat er zuviel Angst vor dreadlockwackelnden Punkmusikern.

Schritt 3: Der Veranstalter will sich keinen Shitstorm einhandeln. Deshalb sagt er das Konzert ab (engl. „to cancel“) und „sucht das Gespräch“ mit den Künstlern. Diese lehnen dankend ab, vermutlich, weil sie keine Ahnung haben, worüber sie da reden sollten. In einem Fall wurde einer Dreadlockträgerin statt eines Gesprächs angeboten, sie nicht zu canceln, wenn sie sich die Haare abschneide. Um ein Angebot und nicht etwa um versuchte Erpressung handelte  es sich deshalb, weil die Dreadlockträgerin weiß ist.

(Das funktioniert übrigens nicht nur mit Haaren. Das Internet weiß zu berichten, dass das Modehaus Chanel sich schon vor Jahren eine Rüge holte, weil jemandem auffiel, dass Chanel teure Bumerangs verkaufte. Alle Bumerangs gehören aber den Aborigines und dürfen nicht für viel Geld von Unternehmen der Dominanzkultur verkauft werden. Oder so ähnlich. Ob es für Dominanzfirmen okay ist, Schier zu verkaufen, harrt der Klärung, stammt doch der älteste Schifund aus einer heutigen russischen Teilrepublik, die vom finno-ugrischen Volk der Komi besiedelt ist, und so manches finno-ugrische Volk wurde schon ganz schön heftig diskriminiert, also vielleicht doch besser snowboarden, wenn man woke bleiben will.)

Schritt 4: Alle, wirklich alle posten, dass sie das doof finden. Der Veranstalter legt Wert darauf, dass die Geschichte nichts mit Cancel-Culture zu tun habe, und der Dreadlockfall ist erledigt bis zur nächsten Buchung eines Künstlers mit Spinne am Kopf.

So, das hätten wir geklärt.

Rätselhaft ist, was das Ganze soll. Euer Zweckdichter war zum Beispiel nie auf einem Konzert der Böhsen Onkelz (schon gar nicht, als diese noch offiziell böse waren), weil er sich dabei wahrscheinlich nicht gut fühlen würde, ebensowenig wie bei, puh, Kerstin Ott oder Ross Antony. Es würde unsereinem aber nicht einfallen, deshalb eine Absage der Konzerte zu erwarten. Jaja, ich weiß schon, ist ganz was anderes, weil „kulturelle Aneignung“.

Wisst ihr was? Heben wir uns die kulturelle Aneignung für nächste Woche auf, das wird interessant. Bis dahin legen wir allen Konzertveranstaltern ans Herz, sich ein aktuelles Porträtfoto schicken zu lassen, ehe sie jemandem einen Auftritt versprechen.

Schönes Wochenende!

 

Freitag, 12. August 2022

Narrenhüte

 

Noch, o flauschig durchgewärmte Lesehäschen, ist Sommer, also eine der beiden Jahreszeiten, die, in den Worten Jesu, geeignet ist,  den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Es gibt nämlich, so seltsam es klingen mag, Leute, die Hitze mögen, und bisweilen scheint es beinahe, als seien sie sogar in der Überzahl gegenüber jenen Vernünftigen und charakterlich Gefestigten, die den Winter vorziehen, der damit als zweite Zwistsaison gespoilert sei. Wer bitteschön genießt es, mitten in der Nacht schweißgebadet aufzuwachen und das rettende Fenster öffnen zu wollen, nur um festzustellen, dass es schon offensteht? Üble Gesellen, that’s who! Wieviel erfreulicher ist es doch, sich in die Pfühle zu kuscheln, während draußen der Schneesturm tobt!

Freilich kann niemand mehr die Augen davor verschließen, dass die Hitzefreunde Oberwasser (oder zumindest den Mangel daran) haben. Denn Politik gibt es mittlerweile in zwei Geschmacksrichtungen. Beide funktionieren wie Autobahnbaustellen, die es ebenfalls in zwei Geschmacksrichtungen gibt. Die erste kennen wir zum Beispiel aus der Zusammenlegung der Krankenkassen, die der türkisen Regierung bekanntlich ein Herzensanliegen war, weil sie so gewaltige Einsparungen verhieß, die dann leider doch nicht eingetreten sind, wofür niemand etwas kann.

Solche Autobahnbaustellen erinnern ein bisschen an einen Ameisenhaufen, in den ein boshafter Mensch einen Stein geworfen hat: Es ist gewaltig viel Betrieb, riesige Maschinen dampfen, stinken und brummen, das Ganze dauert ziemlich lange, aber irgendwann – das Warten hat sich gelohnt – sind die Arbeiten abgeschlossen und es gibt: eine zweispurige Autobahn (so wie vorher, nur teurer).

Die zweite Sorte von Politik und Autobahnbaustellen gestaltet sich wie die Maßnahmen zur Rettung des Klimas in den letzten 30 Jahren und erklärt, warum es nicht schöner, aber einfacher wäre, die Hitze zu mögen: Man fährt so seiner Wege, selbstverständlich im Rahmen der erlaubten Höchstgeschwindigkeit, als diese sich plötzlich ändert. Da ist ein Hunderter, der alsbald in einen Achtziger übergeht, denn die Fahrbahn ist durch Hütchenreihen verschmälert. Die nächsten zwei Kilometer fährst du also in einer Hütchenallee achtzig. Anfänger glauben, es müssten jetzt wieder irgendwo Bauarbeiter:_+*innen oder schweres Gerät zu sehen sein. In Wahrheit ist so eine Baustelle aber genau wie die Klimarettung: Es stehen viele, viele warnende Hütchen, doch es geschieht nichts, wovon nach Entfernung derselben noch etwas zu sehen wäre. Also fährst du irgendwann, wenn die Hütchen sich verloren haben, wieder 130, bis hinter die nächste Kurve, wo erneut Hütchen stehen.

Dies, o teure Lesehäschen, ist ein weiterer Grund, den Winter vorzuziehen, in welchem die Hütchen sich nämlich rar zu machen pflegen.

Schönes Wochenende!

Freitag, 5. August 2022

Wasser

 

Willkommen zurück, o erholte und hoffentlich nur mäßig hitzegeplagte Lesehäschen! Euer Ergebener hat seinen eigenen Rat beherzigt und ist im Lande geblieben. Aufkommendes Fernweh ließ sich ohne weiteres durch Konsumation eines Spritzweins an der Hallstätter Tankstelle bekämpfen. Wer einmal beobachtet hat, wie ein Tourist, der offenbar alle anderen für Vollidioten hält, das Verkehrshütchen vom reservierten Parkplatz an gedachter Tankstelle entfernt, um sein Auto dorthin zu stellen, denn dass dort noch keines steht, kann ja nur daran liegen, dass der freie Parkplatz noch keinem aufgefallen ist, der erkennt erstens die Wahrheit des alten Spruches, was der Unterschied zwischen Touristen und Terroristen sei (Antwort: Letztere haben Sympathisanten) und mag sich zweitens gar nicht vorstellen, wie es sein muss, mit dem Betreffenden eine Woche lang zum Beispiel den Frühstücksraum zu teilen. Man hört aber, dass andere Pfiffikusse sich das Aussteigen gleich ersparen und das Hütchen einfach überrollen, zum Gaudium des Publikums.

Was das hier schon öfter angesprochene Bauvorhaben betrifft, so darf ich verkünden, dass das österreichische Baurecht dem Katholizismus etwas voraus hat. Musste Jesus Wasser in Wein verwandeln, um Denkwürdiges zu bewirken, so kann sich, wenn man an der richtigen Stelle etwas errichten will, Wasser in Wasser verwandeln, was keineswegs dasselbe ist.

Solange nämlich Wasser sich im Rahmen eines Wolkenbruchs seinen Weg zu Tal bahnt und dabei die eine oder andere sonst trockenliegende Rinne nutzt, ist „die Wildbach“ für dieses Wasser zuständig, wohl, weil es so wild rauscht. Ist das Wasser aber unten angekommen und trödelt so flüssig dahin, dann sickert es hastdunichtgesehen in die Zuständigkeit des Gewässerbezirks.

Beide gemeinsam dienen der Vergewisserung, dass das Leben kompliziert ist. Denn jede der beiden nicht genug zu preisenden Instanzen berechnet die Wassermengen, die eventuell auf einen zukommen könnten, sowie deren vermutliche Auswirkungen. Unnötig zu sagen, dass sie dabei keineswegs zum selben Ergebnis gelangen, sodass der Bauvorhabende von der einen Behörde eine solche Rückmeldung bekommt, von der andern eine andere. Wer geglaubt hat, der Konjunktiv II sei eine kitzlige Angelegenheit, der hat sich noch nie vergegenwärtigt, was beim Zusammenwirken von Wasser und Schwerkraft amtlicherseits herauskommen kann. Wenn man Glück hat, lernt man dabei auch den Unterschied zwischen Faktizität und Relevanz am lebenden Objekt kennen. Üblicherweise wird dieser durch den in China umgefallenen Reissack illustriert, der dann zwar faktisch daliegt, was uns aber wurscht sein kann.

Es geht auch viel näher: Der Nachbar eures Ergebenen plante ein Carport zu errichten, welches auf acht hölzernen Stehern von jeweils zehn Zentimetern Durchmesser ruhen sollte. Diese Steher aber, so tat der Gewässerbezirk auf Nachfrage kund, seien imstande, im Hochwasserfall das Strömungsverhalten des nahen Flusses nachteilig zu beeinflussen.

Der Nachbar bestand darauf, dies rechnerisch nachgewiesen zu bekommen. Es zeigte sich, dass der Gewässerbezirk faktisch recht hatte, irrelevanterweise aber erst in der achten Nachkommastelle.

Es sei deshalb jedem herzlichst angeraten, einmal etwas bauen zu wollen. Man ist beschäftigt, lernt etwas fürs Leben, und das Risiko, irgendwann tatsächlich ein Stück Boden zu versiegeln, ist vernachlässigbar.

Schönes Wochenende!