Nun denn, ihr kultur- und herrschaftsgeschichtlich ausgeschlafenen Lesehäschen, wie ist das mit der versprochenen kulturellen Aneignung oder vielmehr, da man auch nicht mehr „innere Kündigung“ sagt, sondern quiet quitting, der cultural appropriation? Diese bedeutet: Angenommen, Menschen deiner Hautfarbe, deines Glaubens oder dessen, was die Nazis deine Rasse genannt hätten, haben irgendwann Menschen anderer Hautfarbe, anderen Glaubens oder anderer Rasse unterdrückt, diskriminiert oder halt irgendwie in großem Stil benachteiligt. (Falls du ein alter, weißer Sack bist wie dein Ergebener, dann weißt du jetzt eh, was die Stunde geschlagen hat.)
Und weiter angenommen, diese Menschen tun oder benutzen etwas, das in weiterem Sinne zur Kultur gehört und das du lässig findest. Das kann ein Musikstil sein, ein typisches Kleidungsstück, eine Frisur oder sonst was.
In diesem Fall ist das Lässige für dich verboten. Denn jene anderen haben sich den Genuss des Lässigen (Dreadlocks oder Sari tragen, rappen, sich mit Federn schmücken) durch die Qual verdient, die sie seitens der dir Ähnlichen erleiden mussten. Du aber nicht, deshalb darfst du eben nicht Dreadlocks tragen oder mit Froschgiftpfeilen jagen. Und bevor du fragst: Ja, das gilt auch dann, wenn die sieben Generationen vor dir lauter Osttiroler Bergbauer waren und du der Erste in gerader Linie bist, der überhaupt einmal jemanden einer anderen Ethnie zu Gesicht bekommen hat.
Was daran alles seltsam ist, liegt auf der Hand. Erstens gibt es keine wertschätzende Aneignung mehr, sondern nur eine diebische. Dass Eminem oder Smudo gut rappen können, ist nicht etwa erfreulich für Freunde des gehobenen Sprechgesangs gleich welcher Hautfarbe, sondern jedenfalls ein Schlag ins Gesicht jener Schwarzen, deren ohnmächtige Wut sich im Rap Luft zu machen suchte.
Zweitens scheint eine Abstufung der Aneignungen mitgedacht zu sein, die keinen Sinn ergibt. All die weißen Dreadlockträger, die wegen ihrer Dreadlocks gecancelt wurden, ob derer sich irgendwer „nicht gut“ fühlte – hätten die wirklich ohne Filzrollen auftreten und Reggae spielen dürfen? Man sollte meinen, der Reggae (und jetzt bitte keine Abschweifungen in die komplizierte Geschichte karibischer Musik) gehörte ebensowenig den Weißbroten wie die Dreads, oder?
Drittens, und darüber freut sich Papst Franziskus, findet im Kampfbegriff der cultural appropriation eine christliche Lehre wieder ins Rampenlicht. Denn für jene Woken, die so gut darin sind, sich nicht gut zu fühlen, spielt es keine Rolle, ob Thomas D. schon einmal Schwarze diskriminiert hat. Es genügt, dass er weiß ist, und wenn er sich das ordnungsgemäß vor Augen führt, dann lässt er das Rappen ganz von selber bleiben. Das nennt man White Consciousness: Wenn man allzumal feste dran denkt, wie privilegiert man kraft seiner Hautfarbe und seines Geburtsortes ist, dann hat man ein derart schlechtes Gewissen, dass cultural appropriation und so weiter.
Manche erinnern sich aber gemeinsam mit eurem Zweckdichter, wie Franziskus das nennt: Erbsünde heißt, dass wir alle sowieso ein bisschen ein schlechtes Gewissen haben müssen, weil Adam und Eva damals vom Baum der Erkenntnis genascht haben. Ist doch nett, dass die aufgeweckten Linken zwar in der Fünften Reli abgewählt, aber in Ethik dann so gut aufgepasst haben, dass sie die Erbsünde ganz von selber neu erfunden haben. Schönes Wochenende!