Freitag, 30. September 2022

Mittagstisch

 

Falls sich jemand fragt, wie das Fädenziehen beim Zweckdichterhund vonstatten gegangen ist: gar nicht. Der Operateur war anderweitig gebucht, die Fäden im Hundeinneren wurden aber resorbiert, sodass der hervorstehende Teil einfach abgefallen ist. Manchmal erledigen sich Dinge auch von selber.

Damit, geliebe Lesehäschen in Christo, zu einer anderen Frage: Wisst ihr, was es mit dem kommenden Montag auf sich hat? Beziehungsweise: was gestern für ein Tag war?

Es sei euch verraten: Gestern war Michaeli, also der Tag des Erzengels Michael, der bekanntlich Satan vom Himmel hinabstürzte. Das mit Satan ist jetzt aber nicht so wichtig., zumal das ohne viel Aufhebens vonstatten ging und ohne dass Intellektuelle Unterschriften dafür sammelten, dass Gottvater dem Teufel einen Teil der eroberten Gebiete dauerhaft überlasse.

Vielmehr müssen wir darüber reden, was es mit dem Montag nach Michaeli auf sich hat. Es ist der sogenannte Liachtbratlmontag. Dieser Brauch, so weiß ein Wikipedist zu berichten (Gendern ersparen wir uns auf Verdacht, weil Wikipedia ja größtenteils von hodenbehangenen Beiträgern bestückt wird), war einst weit verbreitet und noch vor hundert Jahren sogar in Wien nicht unbekannt. Heute kennt man ihn noch im Inneren Salzkammergut, und in Bad Ischl wird er so gründlich begangen, dass er sogar Weltkulturerbe geworden ist.

Früher nämlich stellte die Beleuchtung der Arbeitsräume für Betriebe einen nicht zu unterschätzenden Kostenfaktor da, weil man entweder teures Petroleum oder noch teureres Walöl (I shit you not) in die Lampen schüttete. Das war so ähnlich wie heute, wo alle angehaltenen Atems auf die Stromabrechnung warten, nur dass man es damals schon vorher gewusst hatte und eventuell mutige Männer in kleinen Boten große Meeressäuger dafür abschlachten mussten. Deshalb atmete der Meister auf, wenn entweder die Sonne so kräftig hereinschien, dass man keine Lampe brauchte, oder wenn es im Freien warm genug war, um die Belegschaft hinauszustampern, damit sie draußen beim Schein der Gelben Sau feinmechanische Arbeiten verrichtete.

Vor lauter Dankbarkeit investierte der Inhaber einen Teil des so Ersparten traditionell in ein mittägliches Bratenmahl, das eben am Liachtbratlmontag zu verzehren war, dem ersten Tag, an dem man zum Arbeiten wieder künstliche Beleuchtung brauchte.

Dieser schöne Brauch könnte eine zeitgemäße Wiederbelebung vertragen, wobei den Arbeitnehmern künftig ungeahnte Genüsse blühen dürften. Denn beim aktuellen Stand der Energiepreise wird sich der Chef geradezu lumpig vorkommen, wenn er seine Getreuen mit einem Braten abspeist. Mit Liachtausternmontagen und Liachtfiletsteakmontagen wird man nicht zu hoch kalkulieren. Zu klären bleibt einzig, ob auch in den Büroräumen der österreichischen Wasserkrafterzeuger im Sommer das Licht ausbleibt und ob die hereinrauschenden Übergewinne in die Montagsgestaltung einfließen, in welchem Fall einem Liachtfinediningmontag wohl nichts mehr im Wege steht. Mahlzeit und schönes Wochenende!

Freitag, 23. September 2022

Einfrieren

Mit der Wertschätzung kultureller Hervorbringungen ist es, meine lieben und stets aufnahmefähigen Lesehäschen, eventuell so eine Sache. Dass der Musikgeschmack von Ottilie Normalhörerin so ab 30 allmählich erstarrt, ist ja bekannt. Nur die wenigsten unter uns bleiben bis ins reife Alter von sagen wir 50 noch so interessiert und beweglich, dass sie die aktuellen Newcomer im Popbereich auf Spotify oder gar in den Plattenladen zu locken vermögen.

So weit, so gut. Doch was heißt das für andere Disziplinen? Die Frage stellt sich, weil euer Ergebener in letzter Zeit einerseits Eraserhead zum ersten und Night of the Hunter zum wiederholten Male sah, was beides rundum erfreuliche Erfahrungen waren.

Andererseits gab es auch Uncut Gems von den hochgelobten Safdie-Brüdern mit dem diesfalls ebenfalls hochgelobten Adam Sandler. Das fand euer Zweckdichter anstrengend, wenig lohnend und streckenweise schlicht unglaubwürdig.

Liegt das daran, dass man wie bei der Musik, so auch beim Film irgendwann steckenbleibt und sich sicherheitshalber nur noch Streifen reinpfeift, die die Probe der Zeit bereits bestanden haben? Oder ist es ein Zeichen, dass mancher Film, den heute viele super finden, an ebendieser Probe eventuell scheitern wird? Wer’s weiß, gewinnt ein handwarmes Dosenbier.

Ebenfalls erfreulich, aber vergessen, und zwar zu Unrecht: das Werk von Mechtilde Lichnowsky, das kürzlich bei Zsolnay wieder erschienen ist. Gut angelegte 60 Euro, wenn ihr mich fragt. Irritierend ist nur, dass die Gute immer wieder „nach vorwärts“ oder „nach rückwärts“ geht. Aber die Ausgabe ist chronologisch angelegt, vielleicht kommt sie also noch drauf, dass hier was doppelt moppelt. (Wer grade am Handy rumgedrückt hat, anstatt aufzupassen: Die beiden Wörter tragen die jeweilige Richtung schon in sich, weshalb man voll shmoov von einer Vorwärtsbewegung sprechen kann und nicht von einer Nachvorwärtsbewegung. Sie bedeuten also schon „nach vorne“ respektive „nach hinten“. Wer „nach vorwärts“ schaut, schaut deshalb „nach nach vorne“, und wer macht denn sowas.)

Noch etwas, das länger überdauert, als man gedacht hätte: Zwei Stiche am Bauch vom Zweckdichterhund. Der hatte nämlich ein dickes Lipom an der Brustseite. Weil es im Weg war, wurde es entfernt, die Narbe ist doppelt so lang wie die, durch die mein Blinddarm mich verlassen hat. Die meisten Stiche hat der Tierarzt (nicht der Operateur, der andere) entfernt. Aber bei den letzten beiden hat sich das Vieh dermaßen gebärdet, dass der Tierarzt gemeint hat, das könne man vielleicht in Eigenregie machen, wenn er schlafe.

Habt ihr schon einmal so fest geschlafen, dass ihr es nicht mitbekommen hättet, wenn jemand mit einer Nagelschere durch eine Fadenschlaufe in eurer Bauchdecke fährt, um die abzuknipsen?

Ich auch nicht.

Deshalb heute also wieder Besuch, nämlich beim Operateur. Der hat so viele helfende Hände in seiner Praxis, dass es gelingen wird, den Kerl ausreichend lange und stabil zu fixieren, damit er auch die letzten Spuren der OP loswird. Und dann: Schönes Wochenende!


 

Freitag, 16. September 2022

Jump


O strebsame Lesehäschen, ihr habt ja nie für die Schule, sondern stets nur für das Leben gelernt, wie sich das gehört. (Freilich habt ihr da wahrscheinlich auch fürs Leben gelernt, was mit leeren Schulmilchpackungen passiert, wenn man sie von Anfang Mai bis Ende Juni unter der Bank reifen lässt und warum man sich ducken sollte, wenn ein nasser Schwamm in deine Richtung fliegt.)

Aus gegebenem Anlass darf ich euch sagen: Wenn man sich dahinterklemmt, kann man der Schule sogar Lebenszeit abzwicken, die man dann eventuell nutzt, um noch ganz andere Sachen zu lernen (zum Beispiel, wie das ist, wenn man nach weniger als zwölf Jahren Schule maturiert). Man darf nämlich, so sieht es das Schulunterrichtsgesetz vor, Klassen überspringen, und zwar maximal eine jeweils in der Volksschule, Unter- und Oberstufe. Dies bietet sich an, wenn einem sehr fad ist oder wenn einem Leute, deren Gegenwart man in der angestammten Klasse schwer ausweichen kann, einem sehr auf den Senkel gehen. In letzterem Fall könnte man natürlich auch innerhalb eines Jahrgangs die Klasse wechseln, aber ehrlich, wenn man sich das schon antut mit Spind ausräumen, den richtigen Platz in neuer Hackordnung finden und so, dann kann dabei auch gleich ein Bonusjahr herausschauen, oder?

Das Zweckdichterbalg plant sich für die Nutzung seines dann eben schon erledigten zwölften Jahres von dem Buch My Year of Rest and Relaxation inspirieren zu lassen, dessen Erzählerin den vielversprechenden Versuch startet, ein Jahr möglichst vollständig zu verpennen (diesfalls natürlich mit entsprechender chemischer Unterstützung). Man wird sehen, ihr werdet auf dem Laufenden gehalten.

Das Procedere selbst ist von geradezu unösterreichischer Schlichtheit etwa im Vergleich zur Organisation eines Schwimmkurses für eine dritte Volksschulklasse: Man teilt dem Klassenvorstand sein Ansinnen per E-Mail mit, und „die Klassenkonferenz befindet“ bei nächster Gelegenheit darüber, also normalerweise zum Semesterende. Volkstümlich gesprochen: Die Lehrer der Klasse stimmen ab, was natürlich so etwas wie einen Wahlkampf möglich macht, also schau vielleicht, dass du es dir nicht mit allen verdirbst.

Nachdem deinem Antrag stattgegeben wurde, stehen in der Regel die Sommerferien an, danach ziehst du freudvoll und motiviert in die übernächste Klasse ein. Dort erwartet dich erstens die immer wieder, wenn auch meist etwas, zögernd, gestellte Frage, ob du wirklich so klug bist oder ob du dir nur ein Jahr Schule ersparen wolltest – hier empfiehlt sich Ehrlichkeit. Vorher aber ist die Frage, was du in den Sommerferien am gescheitesten anfängst. Du könntest natürlich einfach herumsumpern, den lieben Gott einen guten Mann sein lassen und abwarten, was passiert.

So wie du gestrickt bist, wirst du aber wohl eher pauken. Hier gilt es einen Fallstrick graziös zu überhüpfen. Denn du bist natürlich versucht, dir den Stoff des übersprungenen Jahres einzuverleiben, um dann problemlos mitzuhalten. Kann man machen, ist aber nur der zweitbeste Weg. Gerissener ist es, den Stoff des kommenden Jahres vorzulernen, mithin durch Kompetenz zu glänzen und den übersprungenen Stoff dann unter dem Jahr ganz entspannt allmählich aufzulesen.

Gutes Gelingen und schönes Wochenende!


Freitag, 9. September 2022

Doppelbelastung

 

Das war’s jetzt also, o monarchieverliebte Lesehäschen, nach 70 Jahren. Irgendwo verlautete, dass Tony Blair der erste Premier war, der schon unter der Regierung Elizabeth’ II. geboren wurde, was weniger dramatisch ist als die Tatsache, dass euer Ergebener noch studiert hat, als Blair Premierminister wurde.

Interessanter ist aber sowieso, dass wir anlässlich des royalen Ablebens wieder einmal mit der Nase auf die Existenz einer Sorte von, nunja, Journalisten gestoßen werden, bei denen man sich fragt, wovon die eigentlich leben, wenn gerade kein gekröntes Haupt ein Bankl gerissen hat: die Herrschaften von der Hofberichterstattung. Tatsächlich zahlt es sich anscheinend aus, die Öffentlichkeit über das Befinden von Leuten informieren, die nicht nur keiner der Leser kennt, sondern die auch längst nichts mehr zu sagen haben. Freilich, die Kardashians interessieren auch, also was soll’s.

Trotzdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Expertinnen und Experten für Schlossbewohner es nicht so unbedingt mit dem Ganz-fertig-Denken haben. So gab sich euer Zweckdichter gestern eine Fernsehdoku über Elizabeth, in der wieder und wieder betont wurde, wie sehr die Verstorbene das Frauenbild der 50er Jahre wandelte, weil sie eine working mom war. Ungefähr eine Viertelstunde lang ging das so in Dauerschleife, und während zwar einmal erwähnt wurde, dass die Queen sich ihren Regierungsgeschäften widmen konnte, weil ihr Mann zuhause blieb und sich um die Kinder kümmerte, wurde keine Silbe darüber verloren, dass dies nichts mit der Realität der Millionen Frauen zu tun hatte, deren Bild dadurch gewandelt wurde, weil deren Männer bestenfalls mit amüsierter Verblüffung reagiert hätten, wäre das Ansinnen an sie herangetragen worden, sie sollten doch daheimbleiben und care work leisten.

Die Gute hat also das Bild der Frau vermutlich dahingehend gewandelt, dass man bis dahin ein Bild sah, wie die Frau auf dem Kinderbetreuungsstuhl saß, der Mann auf dem Brötchenverdienstuhl. Das Beispiel der Königin konfrontierte die Frauen mit der Erwartung, auf beiden Stühlen zugleich sitzen zu können, sodass jene unsanfte Landung vorprogrammiert war, deretwegen heute immer nach mehr Kinderbetreuung geschrien wird.

Zwar wurde bisweilen kritisch angemerkt, dass die Kinder halt schon wenig von der Mama hatten, dass der kleine Charles sie nur zweimal des Tages zu Gesicht bekam und sich dann mit einem Diener verabschieden musste. Da haben es die Bürgerlichen schon viel gemütlicher. Für euren Kolumnator genügt da ein Blick aus dem Fenster: Wenn gegen 7 Uhr früh die Dreijährigen aus dem Cayenne geladen und für die nächsten neun bis zehn Stunden in den Kindergarten verfrachtet werden, weil M & P beide auf dem Brötchenverdienstuhl sitzen, um den Cayenne und den Kindergarten zu finanzieren, müssen sie keinen Diener machen. Sie können, wenn sie wollen. Sie können auch heulen, wenn sie wollen. Aber Hauptsache, sie verschwinden im Kindergarten, mit oder ohne Diener bzw. Geheul.

So ist das mit dem Familienleben des gehobenen Bürgertums im Vergleich zu Königshäusern. Schönes Wochenende!

Freitag, 2. September 2022

Wahrheit

 

Geht es auch euch, ihr einst so unerschrockenen Lesehäschen, so, dass eure Neugierde allmählich der Vorsicht weicht?

Früher, so denkt man zumindest, war man (vielleicht jugendbedingt) eher bereit, für Erkenntnisgewinn ein bisschen was zu riskieren, und sei es nur die Erkenntnis, was passiert, wenn man fünf Herrengedecke (für Brave: ein Bier und ein Schnaps) hintereinander verzischt.

Wenn einem damals jemand anvertraut hätte, er kenne da wen, der glaube allen Ernstes, die Erde sei eine Scheibe, dann hätte man den doch gern kennenlernen wollen. Einfach, um zu erfahren, wie einer so drauf ist, der die gröberen naturwissenschaftlichen Fortschritte der letzten, puh, zweieinhalbtausend? Jahre lieber überspringt.

Heute geht es uns anders. Euer Ergebener hat letzten Monat gleich von zwei verschiedenen Freunden erfahren, dass sie jemanden kennen und so weiter. Will man mit demjenigen immer noch Bekanntschaft schließen? Wohl kaum. Lieber nicht anstreifen, man glaubt schließlich zu wissen, was einen da erwartet: eine Mischkulanz aus Scheibenlehre, Impfschadensklagen, Reichsbürgertum und Trumputinismus. Wie verlautet, haben die Flatearther sogar einmal ein Experiment veranstaltet, um ihre Theorie zu beweisen, mit Hilfe zweier weit voneinander entfernter Teams, die jeweils eine Säule mit einem Loch darin errichten mussten, durch welches das jeweils andere Loch ja sichtbar sein musste. Der Fehlschlag bewies, dass eines der Teams von Musk/Gates/Soros/demmilitärischindustriellenkomplex bestochen war.

Selbst den Flatearthern blieb es also nicht erspart, am eigenen Leibe zu erfahren, wie recht unser vielgeliebter Herr Innenminister allzumal hat. Dieser sprach ja neulich im Interview die geflügelten Worte: „Die Empirie, die Wissenschaft ist das eine, die Fakten sind das andere.“  Wer schon draufgekommen ist, dass dieses geistige Schwergewicht einst BWL studiert hat, ist gleich ein bisschen weniger verblüfft, besonders, falls er, wie euer Zweckdichter, schon die eine oder andere wirtschaftswissenschaftliche Arbeit zu lektorieren hatte. Restverwunderung bleibt lediglich ob der Tatsache, dass man im BWL-Studium nicht einmal zwingend mitbekommt, was „Empirie“ bedeutet.

Die Flatearther haben jedenfalls empirisch mitbekommen, dass ihre Wissenschaft mit den Fakten nur dann in eins zu bringen ist, wenn sie sich damit abfinden, Verräter in ihrer Mitte zu wissen.

Wir anderen hingegen, denen klar ist, dass „empirisch“ ein anderes Wort für „faktenbasiert“ ist, wir haben keine Verräter unter uns. Stattdessen ist uns ein innerer Schweinehund gewachsen, der uns davon abhält, die Flatearther, 9/11-Truther, Gatesimplantatverkünder und all die anderen Freaks aus der Nähe zu betrachten. Denn der Schweinehund hat Angst, dass die Freaks uns stalken, doxxen, hauen oder sonstwas könnten.

Doch gibt es einen Lichtblick. Mit dieser Einstellung kann unserer innerer Schweinehund immer noch Innenminister werden. Viel Glück dabei, und schönes Wochenende!