Freitag, 26. September 2014

Doppelbelastung


Erstens gebe ich jetzt eine Runde nicht etwa aus, denn Wies’n war gestern. Nein, ich gebe eine Runde an, weil ich so super bin. Hat mir doch ein überaus schätzbarer und teurer Freund eine Belegstelle aus einem kürzlich erschienenen germanistischen Werk geschickt, worin meine Dissertation zitiert wird, und zwar mit dem unzweideutig positiven Epithet „lesenswert“. Jawoll, meine Damen und Herren, lesenswert seit 15 Jahren, euer Zweckdichter.

Alsdann, liebe Lesehäschen, bleibt dran, lest weiter und erfahrt, was es heute hier zu erfahren gibt. Als Nächstes klaue ich schamlos, aber anders als Spindelegger und Khol mit Quellenangabe. Ich klaue von Oliver Voß. Dieser ist nicht zu verwechseln mit dem doppelt be-essten Oliver Voss, früher Kreativboss bei JvM und heute sein eigener Chef.

Unser heutiger Gaststar Oliver Voß ist ebenfalls an der Alster tätig, jedoch als maßgeblicher Lektor der ZEIT und damit Gottvater der deutschsprachigen Richtigkeit. In dieser Eigenschaft verfasst er seit einigen Monaten die uneingeschränkt empfehlenswerte Kolumne „Fehlerlesen“ (siehe Link unten), um darin interessante sprachliche Problemstellungen darzulegen. In der jüngsten Ausgabe von „Fehlerlesen“ streift er ein Thema, das immer wieder für kurze, mehr oder weniger fruchtbringende Diskussionen gut ist: die Syllepsis.

„Bitte lauter und in verständlichen Worten“, tönt es aus den hinteren Reihen, und weil „dienstbereit“ mein zweiter Vorname ist, klaue ich sofort ein Beispiel von Voß und serviere es euch: „Das waren Menschen, die uns ablehnend gegenüberstanden, ja hassten.“ Das klappt so nicht, weil man dem Dativ gegenübersteht, aber den Akkusativ hasst. „Uns“ steht hier gleichzeitig in beiden Fällen, und das ist mehr Last, als drei Buchstaben tragen können, weshalb wir sie einfach verdoppeln: „Das waren Menschen, die uns freundlich gegenüberstanden, ja uns verehrten.“ Fertig ist die Gartenlaube: Man darf solche Wörtchen beim zweiten Mal nur weglassen, wenn sie im selben Fall stehen wie beim ersten Mal.

Karl Kraus subsumiert so etwas unter „Zeugma“, während i-Tüpferlreiter das Zeugma von der Syllepsis, unterscheiden, für die sich Kraus von einem Leserbriefschreiber ein korruptes Schiller-Zitat als Beispiel unterschieben hat lassen.

Aber der Reihe nach: Das Beispiel von Voß stellt eine Syllepsis dar. Denn „uns“ bezieht sich auf „gegenüberstanden“ und „hassten“, müsste dazu aber jeweils in unterschiedlichen Fällen stehen. Ähnlich liegt der Fall bei Kraus mit dem ihm von einem Leser zugesandten Titel von Friedrich Schillers Antrittsvorlesung:

Was ist und zu welchem Ende studieren wir Universalgeschichte? 

Die Universalgeschichte steht hier gleichzeitig im Nominativ („sie ist“) und im Akkusativ („wir studieren sie“). Kraus tut damit Schiller ausnahmsweise unrecht, denn der Titel lautet tatsächlich: „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?“ Hier hat sich Schiller das erste „man“ (was heißt man) legitimerweise gespart, und die Universalgeschichte steht eindeutig im Akkusativ.

Soviel zur Syllepsis. Und was ist nun ein Zeugma? Das, was Texter manchmal in die Copy zu schmuggeln versuchen, meist aber erfolglos. Ein Prädikat bezieht sich grammatisch korrekt auf mehrere Objekte, die aber semantisch auf unterschiedlichen Ebenen stehen: „Er nahm den Hut und sich das Leben“; „ich heiße Hase und euch willkommen“. Einen ähnlich gelagerten Fall findet ihr am Start dieser Kolumne, wo „eine Runde“ zuerst wörtlich für eine Runde Getränke steht, dann aber adverbiell im Sinne von „vorübergehend“.

Fragen? Immer her damit.


Freitag, 19. September 2014

As above, so below, oder so


Ich rief und genau einer kam: Kollege E. hat als einziger einen Themenwunsch für die heutige Kolumne geäußert, den ich selbstverständlich zu erfüllen eile, so gut ich es vermag. Erich, auf dich ist eben noch Verlass!

Nun denn, die Upperline. Ich hatte sofort keine Ahnung, was Erich damit meint, und habe mir deshalb eines Dienstagvormittags reichlich Mut angetrunken, diesen zusammengenommen und ihn danach gefragt. Alsbald war mir die Antwort, eine Upperline sei so etwas wie eine Subheadline, nur dass sie nicht unterhalb der Headline steht, sondern ganz weit oben. So wie die Subheadline die Headline erweitert und fortführt, führt die Upperline die Leserin zur Headline hin.  Nicht zu verwechseln ist sie deshalb mit der Rubrik, die nur zufällig an derselben Stelle steht.

Weil ich meinen Lesehäschen zu Sorgfalt verpflichtet bin, habe ich Erichs Erklärung jedoch nicht einfach für bare Münze genommen. Zu meiner gelinden Überraschung zeigt sich, dass der gute alte Fachausdruck in der Welt da draußen kaum geläufig ist. Per Google-Suche nach „upperline“ findet man Steuerberater in Michigan, Fresshütten in New Orleans und Berechnungsmodelle für die Entwicklung von Vogel- und Schildkrötenpopulationen, und all das auch nur aus Versehen, nämlich für „upper line“, anstatt für „upperline“. Von Werbung ist da keine Spur. In den maßgeblichen Online-Wörterbüchern sucht man die upperline auch vergebens.

Eine offensichtliche Schwäche hat die Upperline außerdem. Denn gar manchem Kunden fällt es eingestandenermaßen schon schwer, „HL“ zur „Headline“ und „SL“ zur „Subheadline“ aufzulösen. Die wünschen sich dann Manüsse, in denen stattdessen „große Überschrift“ und „kleine Überschrift“ steht.  Wenn wir nun umgekehrt die Upperline abkürzen, steht da „UL“, also ganz klar: die untere Line.

Mein Lösungsvorschlag: Nennen wir die Upperline einfach „Overline“, weil sie over dem Rest steht. Schon haben wir eine OL, und alles ist gut.


Freitag, 12. September 2014

Miszellen


Heute – Moment, da googlet noch einer „Miszellen“ – so, jetzt aber: Heute ist einer von diesen Tagen. Das muss man wohl keiner erklären, besonders keiner, die gestern beim Top Spot war. An solchen Tagen soll man sich nicht in die großen Fragen vertiefen, sondern nur ein bisschen an den kleinen knabbern. Das macht Appetit auf eine Käseleberkässemmel, die der einzig mögliche Ersatz für ein kleines Gulasch ist, mit dem Zusatzvorteil, dass man sich nicht so leicht anpatzt, was peinlich aussieht, besonders, wenn man immer noch das Teil anhat, das man am Vorabend mit Gulasch angepatzt hat, und wenn es nur Gulasch war, kann man noch froh sein, nach dem zu schließen, was ich über die Hasen-App vom Kollegen A. gehört habe.

So. Also. 

Erste Frage: Wie nennt man dieses Gefühl des kognitiven Kribbelns, das sich einstellt, wenn man einer forsch tätowierten Person ansichtig wird, die ein forsch gemustertes Kleidungsstück trägt, sodass man auf den ersten Blick nicht sicher sagen kann, wo die gestaltete Haut aufhört und das Shirt beginnt? Dafür sollte es nämlich ein Wort geben. 

Zweite Frage: Ist das eben beschriebene Gefühl verwandt mit jenem beim Lesen von Verkleinerungsformen, die uns daran zweifeln lassen, ob wir ein „sch“ oder ein „s-ch“ lesen sollen? Ich spreche z. B. vom Höschen, vom Mäuschen und vom Lesehäschen. Antwort: aber klar! 

Dritte Frage, und auch gleich die Antwort darauf: Soll man als Kunde in einem Manus gerade Anführungszeichen (die oben stehen) zu typografischen (die unten stehen) korrigieren?

Nein. Kann man sich sparen. Schließlich ist das ein Manus, da gehen noch Menschen drüber, die wissen, was sich typografisch gehört. Ich für mein Teil bin ja ohnehin kein Freund der deutschen typografischen Anführungszeichen, weil in den meisten Schriften das halbe Anführungszeichen praktisch ununterscheidbar vom Beistrich ist. 

Vierte Frage, ebenfalls mit Antwort: Gibt es tatsächlich Menschen, die glauben, dass in einer zweizeiligen Headline die zweite Zeile „Subheadline“ heißt anstatt „zweite Zeile der Headline“? Ja, leider. Und sie werfen noch andere unerfreuliche Fragen auf, wie ihr gleich feststellen werdet. 

Fünfte Frage:Gibt es dieses Wort in der deutschen Sprache wirklich?“ Kürzlich hatte ich das Vergnügen, diese Frage in einem Kundenfeedback zu lesen.

Antwort: Ja, das Wort „vielgestaltig“ gibt es. Manche meiner Lesehäschen mögen es für fragwürdig halten, dass ich dieses Wort in einem Foldertext verwendet habe. Viel bedenklicher finde ich aber, dass man in Österreich ein Studium der Kommunikationswissenschaften abschließen kann, ohne mit Wörtern dieser Gewichtsklasse Bekanntschaft gemacht zu haben. Mehr muss man über unser Bildungssystem nicht wissen, denke ich.

Nächsten Freitag: Tja, blblblbl, keine Ahnung. Vorschläge?

Freitag, 5. September 2014

Sex und -ismus


Wie letzte Woche versprochen, widmen wir uns heute der Prostitution. "Haha, das tun wir doch immer", tönt es mir aus den Reihen der Lesehäschen entgegen.

Jein. Heute reden wir von der anderen Sorte Prostitution, die, die man nicht komplett angezogen machen kann. Nämlich habe ich gelernt, dass es in Wien Pornobusse gibt.

Für Nichteingeweihte: Hinterm Rathaus steht ein Puff. Dessen Betreiber trifft geeignete Werbemaßnahmen. Er lässt Kastenwägen mit Werbesujets folieren und die Fahrzeuge an strategisch geeigneten Orten parken. Die resultierenden Parkstrafen kommen vermutlich aus seinem Mediabudget, doch das kann uns blunzn sein. Viel interessanter sind die Reaktionen darauf. Die  Busse zeigen nämlich verhältnismäßig züchtig ausstaffierte junge Frauen mit der Verheißung "only for gentlemen".

Die Frauenstadträtin (SPÖ) hat dazu erklärt, die Bilder seien "eindeutig sexistisch". Auf jeden Fall, möchte ich antworten, nämlich insofern, als sie für Sex werben. Darüber hinaus bin ich mit mir im Unreinen.

Ganz im Ernst: Ich kenne die Bedingungen nicht, unter denen die betroffenen Sexarbeiterinnen die beworbenen Leistungen erbringen. Ich frage mich aber ernstlich, wie eine nicht sexistische Puffwerbung denn aussähe? Selbst Typokampagnen stoßen da wahrscheinlich schnell an Grenzen.

Gut, dass es den Werberat gibt. Der hat Merkmale zusammengestellt, an denen man sexistische Werbung erkennen kann. Nämlich:

-        wenn eine "Person in rein sexualisierter Funktion als Blickfang dargestellt wird, insbesondere dürfen keine bildlichen Darstellungen von nackten weiblichen oder männlichen Körpern ohne direkten inhaltlichen Zusammenhang zum beworbenen Produkt verwendet werden."

-        Wenn "eine entwürdigende Darstellung von Sexualität vorliegt oder die Person auf ihre Sexualität reduziert wird".

Das hilft uns nicht weiter, denn die Frauen sind erstens nicht nackt, und zweitens: selbst wenn sie es wären, wäre der direkte Zusammenhang zum beworbenen Produkt jedenfalls gegeben. Entwürdigend scheinen mir die Bilder auch nicht. Ob die Frauen auf ihre Sexualität reduziert werden, vermag ich nicht zu beurteilen.

Doch halt, da gibt es noch eine Spezialregel zur Werbung für sexuelle Dienstleistungen: Diese "darf, soweit sie rechtlich zulässig ist, die Würde von Menschen, insbesondere von SexdienstleisterInnen, KonsumentInnen oder PassantInnen, nicht verletzen. Körper und insbesondere weibliche oder männliche Sexualität dürfen nicht unangemessen dargestellt werden."

Mir scheint, hier lässt man eine Hintertür für jene offen, die sich unbedingt aufregen wollen. Über "verletzte Würde" hat auch ein Liezener Hauptschullehrer geklagt, als wir einst für weiland Cosmos mit dem Paaaastor warben.

Doch die Spezialregel zeigt immerhin, dass auch im Werberat die Problematik erkannt wurde: Werbung für Sex kann, muss aber nicht dasselbe sein wie sexistische Werbung. Diese Wahrheit ist gewiss zumutbar, wie Michi Spindelegger sagen würde.

Hingegen ist sie keine "Tochter der Zeit", sorry, Herr Khol. Zeitlich bedingt ist wohl eher, dass Stadträtinnen die Tatsache eines Puffs zur Kenntnis nehmen (vernünftigerweise, denn dass der Kampf gegen Prostitution einer gegen Windmühlen wäre, lehren die letzten ix tausend Jahre). Trotzdem lassen sie es sich nicht nehmen, die Werbung dafür reflexartig zu bekritteln.

Denn ehrlich und wahrhaftig, liebe Freunde: Die Sexwerbung auf den Pornobussen bekräftigt den Sachverhalt, dass Sexarbeiterinnen Sex verkaufen. Man kann über alles verschiedener Meinung sein, aber dieser Sachverhalt ist gewiss weit weniger kontrovers als die Fragen, wer für Essenkochen, Kindererziehung, Emotional-intelligent-Sein usw. zuständig ist. Die Antworten darauf werden in jedem Werbeblock um vieles sexistischer festgeschrieben als alles, was auf dem Pornobus zu sehen ist.

Im Übrigen verlange ich, dass nur Jobs mit vollständig ausgefülltem Reinzeichnungskleber die Agentur in Richtung Fulfillment verlassen. Venceremos!