Manchmal fehlen einem echt die Worte. Aber das, teure
Lesehäschen, ist ja kein Problem. Die Sprache hält Methoden bereit, mit denen
sich ohne weiteres neue Wörter herstellen lassen. Wenn man zum Beispiel ein
Substantiv braucht, um das Geräusch zu bezeichnen, das beim Knutschen entsteht,
bildet man einfach aus den beiden Worten ein neues und vernimmt ein Knutschgeräusch. Wenn dir das Adjektiv
abgeht, um zu bezeichnen, wie sich das anhört: zack, schon steht knutschartig vor dir. Und so weiter.
Mitunter stoßen wir aber auf Worterzeugungsweisen, von denen
wir nicht gewusst haben, dass wir sie brauchen. Eine, die derzeit
Hochkonjunktur hat, ist –voll. Man kennt das von hoffnungsvoll, anspruchsvoll, geheimnisvoll,
gefühlvoll oder, woran man sieht, wie diese Adjektive funktionieren, gehaltvoll. Lauter einwandfreie Wörter,
die alle etwas gemeinsam haben: Sie vermitteln die Fülle an etwas, die in einer Situation oder einer Seele herrscht.
Der Hoffnungsvolle lebt ganz der Hoffnung, eine geheimnisvolle Botschaft tut
nichts als den Drang nach Enträtselung zu schüren. Und so weiter.
Also denkt sich der glattgestrickte Sprachnutzer: Du
brauchst ein Adjektiv zu einem vorhandenen Substantiv? Nichts leichter als das:
Häng –voll dran, und fertig ist die
Gartenlaube. Sehr gern genommen wird etwa qualitätsvoll.
Mit dem Wort Qualität habe ich als
alter Latein-Wichtigtuer ohnehin schon mein beef,
wie man in Trumpistan sagt. Denn auch
heute noch kann etwas von schlechter
oder mieser Qualität sein, bzw. ist
die Qualität mitunter, nehmen wir uns kein Blatt vor den Mund, kacke. Qualität ist kein Wert an sich.
Das zeigt auch die Duden-Erklärung von
hoher Qualität, womit ihr gegeben ist, was in qualitätsvoll fehlt: die Höhe. Wozu also etwas mit Qualität vollstopfen? Es gibt doch schon
einwandfreie Wörter wie z. B. hochwertig
oder meinetwegen, wenn es schon Qualität sein soll, hochqualitativ. Die haben auch etwas gemeinsam: Sie behaupten
nicht, dass das bezeichnete Objekt nur von hohem Wert voll sei (im Gegensatz
etwa zu einem wertvollen Diamanten, bei
dessen Beschreibung es mir darum zu tun ist, seinen Wert besonders
hervorzuheben). Hier ist noch Platz für weitere schöne Eigenschaften. Ob das
ebenfalls verbreitete, ebenfalls bereits im Duden verzeichnete qualitätvoll doofer oder gleich doof
ist, möge die Nachwelt beurteilen.
Nicht ganz so häufig, aber doch gelegentlich (Standard, ich schaue dich scharf an)
stolpere ich über gewaltvoll. Da
können Filme gewaltvoll sein, Geburten, Protest, Sprache, Abschiebungen ... Ist
das ein Anglizismus, weil das Englische in all diesen Fällen mit violent sein gutes Auslangen findet? Bei
Filmen lasse ich mir gewaltvoll
vielleicht sogar noch einreden, obwohl ich brutal
entschieden eleganter finde. Aber eine Geburt ist doch eher schmerzhaft, traumatisch oder gefährlich – wenn es nicht gerade die
Geburt von Rosemarys Baby ist. Der Protest oder die Abschiebung sind gewalttätig oder erfolgen gewaltsam (ein Unterschied, den man
Klavier spielen können möchte!). Selbst der Film kann gewalttätig sein, wenn ihr mich fragt. Ich habe ja nichts gegen
neue Ausdrücke. Aber sie sollten bitte treffender, präziser oder knackiger sein
als die, die wir eh schon haben. Nach der Logik von gewaltvoll hingegen wird aus einem Glas Wasser ein wasservolles
Glas. Da nehm’ ich doch
lieber ein Bier. Voll!