Es kommt alles wieder, und gerade die guten Ideen haben
mitunter die fiese Eigenschaft, dich hintenherum zu beißen, wenn du an nichts
Böses denkst. Gerade eben in meinem Kopf
war es noch lustig, wie Frau B. so unsterblich gesagt hat! Beziehungsweise:
Auch wenn du dich gerade einem Kulturgenuss für die gebildeten Stände hinzugeben im Begriffe bist, wirst du eventuell
daran erinnert, dass Kultur Geld kostet und deshalb die begüterten Stände auf
den besseren Plätzen sitzen. Vielleicht sogar gerade dann. Worum es geht? Um
das Theater, o teure Häschen. Euer Zweckdichter hat sich kürzlich wieder
einmal gesammelt, um sich gemeinsam mit seinem kulturbeflissenen Spross eine
einschlägige Darbietung reinzupfeifen. Man gab Dorian Gray im Akademietheater. Wer’s nicht weiß: Es
handelt sich um eine hochgelobte (wozu hochgelobt? Wenn ihr mich fragt: zu
Recht) Inszenierung mit dem ebenfalls gepriesenen (ebenfalls zu Recht, wenn ihr
mich fragt) Markus Meyer in der
Titelrolle. Die übrigen Rollen erscheinen nicht live auf der Bühne, sondern –
denn es handelt sich um eine nicht nur gelungene, sondern auch innovative
Angelegenheit – als zugespielte Filmprojektionen,
mit denen Dorian interagiert.
Ich hatte die Inszenierung schon einige Monate zuvor einmal
gesehen und in guter Erinnerung behalten, damals vom Juchhe links, ziemlich
weit vorne. Ich hatte mitbekommen, dass da unten Schätzbares geschah, konnte
aber wegen meines extremen Sichtwinkels nicht viel zu den optischen Details
sagen. Diesmal hatten wir – denn der Zweckdichterspross ist ein Luxusbalg übelster
Sorte – feine Plätze im Parkett rechts. An dieser Stelle darf ich ein
dreifaches Hoch auf die Verständnissinnigkeit der Bundestheaterverwaltung
ausbringen, die nach einigen Jahren der Umnachtung nun doch wieder eingesehen
hat, dass Ermäßigungen für das jüngere Publikum durchaus sinnvoll sind: HOCH! HOCH! HOCH!
Aber zurück zu Dorian
Gray: Obgedachte Projektionen erscheinen nicht auf einer einzigen großen
Leinwand. Vielmehr besteht das Bühnenbild aus einem Klettergerüst, das eine
Anzahl Leinwände verschiedener Größen trägt. Sie stehen alle parallel
zueinander, aber in unterschiedlichen
Abständen zum Zuschauerraum. Das hat eine erwünschte Folge: Der zunehmend
verzweifelte Dorian kann vor und zwischen den Leinwänden herumklettern. Und eine
wohl unerwünschte: Richtig gut funktioniert die Sache nur, wenn man halbwegs
mittig im Parkett oder auf dem Balkon dahinter sitzt. Schon von den
Zweckdichterplätzen tun sich zwischen
den einzelnen Projektionen große schwarze Lücken auf, die gewiss nicht Teil der
gestalterischen Vision waren. So findet man sich zurückversetzt in Zeiten, als die
Wirkung des theatralischen Geschehens zuallererst für die Leute auf den
wichtigsten Plätzen berechnet war: den zuständigen Fürsten und alle, die es
sich leisten konnten, in der Mitte zu sitzen. Einst im Duodezstaat, heute in
einer der ersten Bühnen des deutschen Sprachraums.
Und jetzt noch das bürgerliche
Motschkern: Ich verstehe ja, dass man nicht von überall gleich gut sehen
kann, und auch, dass man von teureren Plätzen besser sieht. Aber dass man von
relativ teuren Plätzen so schlecht sieht, das ist schon bemerkenswert. Die
symbolische Schere, die sich zwischen mittlerer und oberer Mittelschicht öffnet,
war noch nie so treffend in – ja genau: in Szene gesetzt – wie hier.