Freitag, 27. Oktober 2017

Moment mal


Dass euer Kolumnator mitten in der Umschulung zum alten Sack begriffen ist, ist für euch treue Häschen ja nichts Neues. Damit geht manche Veränderung einher: Man wacht früher auf, hat mehr schon mal gesehen und nervt gerne mit der Versicherung, dass das jetzt aber nichts Neues ist. Positiv formuliert: Man neigt verstärkt der Skepsis zu.
Diese hat heute einen mittelmäßigen Ruf. Denn wir wissen eh, was Sache ist. Leistungsbereitschaft ist gut, Selbstausbeutung ist schlecht. Sexismus ist schlecht, Gender-Mainstreaming ist gut. Einbahnkommunikation ist schlecht, Vernetzung ist gut. Palmfett ist schlecht, vegan ist gut, dass Avocados nicht super sind, spricht sich gerade herum.
Weil wir eh immer schon Bescheid wissen, braucht niemand mehr skeptisch zu sein. Aber ehrlich: Ich wäre da skeptisch.
Denn was ist Skepsis anderes als die Schwester der Neugier? Die vernünftige, die dir die Autoschlüssel wegnimmt, wenn du lieber fahren würdest, weil du dir mit Gehen schon schwertust. Die langweilige, die eh verliebt ist, aber lieber trotzdem ein Kondom nimmt. Die uncoole, die das neue Gadget eh lässig findet, aber erst die zweite Generation kauft, wenn die Kinderkrankheiten geheilt sind.
Skepsis ist nicht geil, aber wenn man hin und wieder skeptisch ist, lebt man länger und erlebt vielleicht später noch was Geiles.
Das wissen sogar Ratten. Bei Häschen bin ich mir nicht sicher, da dürft ihr mir gerne gelegentlich Bescheid stoßen. Ratten aber sind skeptisch. Zumindest die reiferen unter ihnen. Denn Ratten, da erzähle ich euch jetzt nichts Neues, konkurrieren mit uns um die Spitze der Nahrungskette. Wir stellen Fallen auf, sie besiedeln den Vorratskeller. Sie verbreiten Krankheiten, wir kontern mit Gift. Aber Ratten sind nicht doof: Wenn eine von ihnen was scheinbar Köstliches frisst und kurz darauf die Patschen streckt, bleibt die restliche Köstlichkeit übrig. Nun stellt sich natürlich die Frage, wie man den Unterschied feststellt. So als Ratte.
Die Antwort ist einfach: Die alten, erfahrenen Ratten spielen die Skepsiskarte und schicken eine jüngere – nennen wir sie early adopter – vor, um einmal riskant zu naschen. Passiert dem early adopter nichts, dann tun sich auch die andern gütlich. Wenn doch, ist das Rattenvolk zwar um einen jungen Enthusiasten ärmer, aber der Erfahrungsschatz der Skeptiker bleibt erhalten, zum Wohle der Rattenheit (oder muss das Rattheit heißen?). Irgendwo steckt darin eine wichtige Lektion. Ich sage das als jemand, der kürzlich einen Fire-TV-Stick ausprobiert hat und feststellen musste, dass das so mittelsuper funktioniert. Beziehungsweise: Solange ich Blur sage und Alexa bla versteht, fange ich noch nicht an, einen Bunker für den Krieg gegen die Maschinen auszuheben. So skeptisch bin ich auch wieder nicht.  

Freitag, 20. Oktober 2017

In aller Kürze

Ihr seid ja jetzt schon große Lesehäschen, deshalb setzt euch zu mir, ich will euch etwas erzählen. Wisst ihr, wo die kleinen Substantive herkommen?  Vielleicht habt ihr im Internet schon einmal etwas gesehen, das euch verwirrt hat, und nun seid ihr unsicher und wisst nicht, was mit eurer Zunge geschieht. Nur ruhig, euer Kolumnator ist auch ganz vorsichtig!
Also: Die Substantive entstehen auf unterschiedliche Arten, wir wollen jetzt nicht alles aufzählen, das macht auch mehr Spaß, wenn ihr es selber ausprobiert. Kurz: Oft geschieht es, dass sich ein Adjektiv und ein Suffix ganz fest liebhaben. Und dann kann es sein, dass am Ende ein neues Substantiv entsteht.  Mit –heit zum Beispiel können das schon Anfänger. So entsteht aus weise die Weisheit, aus dumm die Dummheit oder aus dunkel die Dunkelheit. Aber Vorsicht: Wie bei den Leuten darf sich nicht jedes Adjektiv einfach auf das kleine –heit stürzen und mit ihm ein neues Substantiv machen, sonst geschehen hässliche Dinge wie etwa Großheit, Hellheit oder Geschicklichheit. Die zwei müssen sich erst einmal kennenlernen, und dann merkt man schon, ob sie zusammenpassen. Wichtig ist: Suffixe sind nützlich, um Adjektive in Substantive zu verwandeln. -heit, -keit und der Underdog -e sind da wahre Tausendsassas. –e? höre ich euch fragen? Ja eh –e: Weite, Kürze und so weiter vermissten wir ohne -e schmerzlich, woran man sieht, dass es auf dieses noch mehr ankommt als auf die Größ-e oder Läng-e.
Warum ich euch das alles erzähle, wo euch doch eh fad genug ist? Aufgemerkt: Mindestens ein Substantiv sieht aus, als stammte es von einem Adjektiv. Doch das zugehörige Adjektiv existiert gar nicht. Nämlich die allseits beliebte Süßigkeit. Dass es süß gibt, weiß ich. Doch das Substantiv zu süß ist nicht Süßigkeit, sondern Süße. Warum also gibt es zu süß und Süße auch noch die Süßigkeit, während wir ohne Langigkeit oder Großigkeit auskommen müssen?
Ja klar: Weil die Süßigkeit eben nicht nur die Eigenschaft von Süßem ist, sondern der Genuss daran. Damit sind wir endlich beim großen Thema unserer kleinen Sendung, nämlich den Koalitionsverhandlungen. Werden sie kurz abgemacht, und werden wir bald erfahren, was die Kurzigkeit für Österreich bedeutet?
Apropos: Der Wahlkampf ist ja gottlob vorbei, und Herr Sobotka ist bei seinem Dienstwagenunfall unverletzt geblieben. Die Sprache ist aber aus der Kollision mit Peter Pilz nicht ohne Blessuren hervorgegangen: „Da gibt es einfach ein fehlendes Bewusstsein darüber, was gehört der Partei und was gehört der Republik.“ kommentierte der Exgrüne (sind wir das jetzt nicht alle?) Sobotkas Ausrutscher. Abgesehen von der interessanten Konstruktion von Bewusstsein mit darüber bleibt leider unklar, ob das Bewusstsein nun existiert, aber woanders (weshalb es hier fehlt), oder ob es nicht existiert, aber trotzdem da ist. Sobotka wollte nicht zurückstehen und tat das Seine zur Verwahrlosung des Ausdrucks: „Ich weiß, dass Herr Pilz Aufmerksamkeit braucht, weil er zu wenig davon hat. Das auf dem Rücken Schwerverletzter zu tun, ist traurig.“ Hier bleibt er zwar schuldig, was Pilz denn tut, (außer etwas zu brauchen), belohnt uns aber mit einem Sprachbild, das die Schwerverletzten nicht etwa in stabile Seitenlage bringt, sondern sie gleich umstandslos auf den Bauch wälzt, damit Pilz auf ihren Rücken etwas „brauchen“ kann. Wenn ich ein grüner Abgeordneter wäre, würde ich schauen, dass ich ihm in nächster Zeit nicht über den Weg laufe. Schönes Wochenende!


Freitag, 13. Oktober 2017

Berufsethos

Lesehäsinnen, -häseriche und mitgemeinte Genders, mir wurde ein höchst bedenkliches Dokument zugespielt. Also, ehrlich gesagt habe ich es in meinem Briefkasten gefunden, wie tausend andere Wahlberechtigtinnen auch, denn es handelt sich um einen Brief von Bundeskanzler Kern („von“ nicht in dem Sinne, dass er ihn selbst verfasst hätte – das hat, wenn ich mich nicht täusche, im Wesentlichen eine liebe Freundin eures Kolumnators erledigt – sondern in dem Sinne, dass sein Team den Inhalt vorgegeben und die Formulierung abgesegnet hat. Alles ist sehr überzeugend, doch bin ich über diesen Satz gestolpert: „Ich bin kein Berufspolitiker.“, gefolgt von der Versicherung, dass der Kanzler keinen Wert auf Dienstwagen, Posten und ähnliches lege.
Mir scheint das sehr sonderbar. Wenn euch, o Häschen, die Nagezähnchen schmerzen, geht ihr vorzugsweise zu einem Hufschmied, der die Zahnmedizin mehr so als Hobby betreibt? Wenn euch der Sinn nach frischen Semmeln steht, geht ihr dann zum Schuster? Wenn euch Steuerfragen plagen, erholt ihr euch dann bei eurem Osteopathen Rats?
Nur in der Politik lohnt es sich anscheinend, zu versichern, dass man diese Tätigkeit nicht von Berufs wegen ausübe. Denn unser Politikverständnis hinkt unserem Sportverständnis um mindestens 45 Jahre nach: 1972 – als wär’s gestern gewesen! – brodelte die Empörung der Nation, weil das Olympische Komitee gegen unseren Karl Schranz das Amateurgesetz anwendete. Heute verspricht sich ein vielversprechender Bundeskanzler (die frischeren unter euch Häschen haben die Durststrecke Klima – Gusenbauer – Faymann nicht über die volle Distanz bewusst miterlebt und können daher auch nicht nachvollziehen, wie kummererprobtere Sozialdemokraten Herrn Kern sehen oder zumindest gern sähen) Wählerstimmen davon, dass er seinen politischen Amateurstatus aus dem Fenster hängt.
Obwohl mir der Journalismus fernliegt, habe ich einen berühmten Rat beherzigt („Lernen Sie Geschichte, Herr Redakteur“) und dabei erfahren, was dem Profi Schranz widerfuhr, als er unteilgenommener Spiele (pfoah, das war jetzt grauslich!) aus Tokio zurückkehrte: Die schwarzen und roten Spitzen empfingen ihn, ebenso wie Tausende Fans, schon am Flughafen, er wurde im Dienstauto des Unterrichtsministers Sinowatz zum Ballhausplatz chauffiert und grüßte vom Balkon des Kanzleramts. Denn er war empfangen worden: Bruno Kreisky stellte sich, wie anscheinend das ganze Land, hinter den Sporthelden. Er hatte mit ihm gemein, dass beide das, was sie taten, professionell taten, „unter Hintanstellung“ (wie man im damaligen Amtsösterreichisch gesagt hätte) anderer Berufe. Das war ganz normal: Obgleich man sich hinsichtlich der Bewertung des Bundeskanzlers uneinig war, hat meines Wissens nie jemand Bruno Kreisky vorgehalten, dass er zeit seines Lebens nur dann etwas anderes als Politik getrieben hatte, wenn ihm nazihalber nichts anderes übrigblieb.
Freilich wäre auch niemand auf die Idee gekommen, dass Kreisky als Politiker hinter lukrativen Pöstchen und dicken Autos her war. Das politische Klima im Österreich der 60er und 70er Jahre war sicher nicht von Frische, Innovation und Opferbereitschaft geprägt. Doch dass uns die Verbindung zwischen Politikberuf und dem Drang, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen, heute ganz natürlich scheint, ist das Elend der zweiten Republik. Vor Herrn Kern ziehe ich meinen Hut wegen des mutigen Zukunft-Sujets seiner Plakatkampagne. Es sollte ihm aber der Gedanke nicht fremd sein, dass man nicht nur als ÖBB-Vorstand, Herzchirurg oder Steuerprüfer, sondern auch als Politiker seine Arbeit aus noch edleren Motiven tun kann als es ein größerer Mercedes ist.

Freitag, 6. Oktober 2017

Leerstellen

Mitunter, o teure und überaus ansehnliche Lesehäschen aller Geschmacksrichtungen, findet die Sprache gar wunderbarlich (doch, dieses Wort gibt es, aber ihr müsst schon im DWB nachschlagen und nicht im Wald-und-Wiesen-Duden) zu sich selbst. Nicht umsonst sind Texte, wie das Wort schon verrät, etwas Gewobenes, mithin textil. Sie haben denn auch mit Textilien gemein, dass das Interessanteste nicht immer der Text ist, sondern die Löcher darin, die Leerstellen, das Ungesagte. Wer daran zweifelt, dem sei ein Blick in den Wahlkampf empfohlen. (Wobei der große Kostümbildner William Theiss der Ansicht war, ein Kleidungsstück werde nicht dadurch interessant, dass es Darunterliegendes enthülle. Vielmehr sei es umso spannender, je eher es den Eindruck zu erwecken vermöge, dass es gleich auf interessante Weise verrutschen könnte. Wer einige seiner Alien-Kostüme aus der ersten Star-Trek-Serie vor Augen hat, der weiß, dass er sich daran gehalten und also mit Recht die Theiss Titillation Theory formuliert hat.)
Wo war ich? Genau: Nicht nur Texte können Löcher haben, auch die Sprache selbst.
Wer eine kleine Weile sucht (der nachhaltig orientierte Millennial verwendet dafür natürlich nicht Google, das einst gut war, sondern Ecosia, was noch besser ist), findet allerlei Seiten mit Listen von Wörtern, die uns angeblich abgehen. Doch nicht alles vermissen wir gleich schmerzlich: Auch wenn die Welt anderer Ansicht ist, glaube ich nicht, dass wir 2060 wirklich ein Wort für die unansehnlich herunterhängenden Ohrläppchen jener brauchen werden, die dieselben heute durchtunnelt tragen, noch eines für den schiefen Hals von exzessiven Smartphone-Usern.
Hingegen gibt es anderes (oder vielmehr: gibt es eben nicht), das wir wirklich brauchen könnten. Womit wir wieder bei den Textilien wären. Denn jeder weiß, was Samt und Seide sind. Und jede weiß auch, wie sie sich anfühlen: nach mehr. Damit wir die Freude am Samt-und-Seide-Begrabbeln besser teilen können, gibt es die Adjektive samtig und seidig. Aber wie heißen die entsprechenden Substantive? Kürzlich kam mir in einem Text das Wort Samtheit unter, und hach!, dachte sich euer unbescheidener Kolumnator, das muss doch Samtigkeit heißen. Denkste.
Denn Samtigkeit kennt der Duden ebensowenig wie Samtheit, und im DWB wirst du ebenfalls vergeblich suchen, das sag ich dir lieber gleich. In ersterem gibt es immerhin samtig ebenso wie seidig, während die Grimms – und hier kommen wir jetzt in den Fetischbereich, denke ich – nur seidig aufgenommen haben. Samtfans mussten sich damals noch mit sammetartig behelfen, was natürlich ungeil ist und in puncto Textilvorliebe der Märchensammler tief blicken lässt. Wem aber der Sinn nach Seidig- oder Samtigkeit steht, der muss sich anders behelfen, und eventuell ist es kein Wunder, wenn man in dieser Lage zur Flasche greift: ein Kerl wie Samt und Seide, nur schade, dass er suff. Es gibt einfach keine Substantive zu seidig und samtig (außer Samt und Seide natürlich). Was ein richtiges Lesehäschen ist, das lässt sich aber ohnehin die eigene Flauschigkeit genügen. Die kennt der Duden übrigens auch nicht.