Freitag, 25. Mai 2018

Ausgestopft

Pfingsten war, und was haben wir gefeiert? Erstens unser Lieblingsfest, denn im restlichen Jahr sind wir genug gestresst (danke, Christoph & Lollo). Zweitens aber warum? Na, wer hat die katholischen Feiertage noch parat, die euch einst die Klosterschule in liebevoll gestalteten Morgenandachten nahegebracht hat? Keiner? Alsdann: Pfingsten ist das mit den Flammen und dem heiligen Geist, wonach die Apostel in Zungen redeten. Letzteres ist ein schöner Ausdruck dafür, dass alle Anwesenden die Jünger verstanden haben, ungeachtet der eigenen Sprachkenntnisse.
Damit ist die Zungenrede (ja, die heißt wirklich so) das genaue Gegenteil des Füllwortes: Ganz gleich, ob du der Sprache mächtig bist, der es zu entstammen scheint, das Füllwort ist dazu da, nicht verstanden zu werden. Es ist, für jene Lesehäschen, deren Schnurrhaare an den Spitzen schon einen grauen Anflug zeigen, das Testbild der Sprache: Anhand seiner kannst du dich vergewissern, dass Hör- und Sprechapparat ordnungsgemäß arbeiten. Mehr aber auch nicht. In dieser Eigenschaft ist nichts gegen das Füllwort einzuwenden. Doch wehe!, nur zu viele Sprecher missbrauchen es, um nicht die Lücke der Ungewissheit zu füllen, sondern die Ruhe des Nichtssagens. Man darf, o Häschen, gelegentlich beim Sprechen eine Pause machen. Das ist garantiert immer noch besser, als verzweifelt so etwas wie Genau! einzuschieben, wenn dein Gegenüber überhaupt nichts Bestätigungsbedürftiges geäußert hat, oder, mein persönlicher Liebling unter den nichtsnutzigen Plapperphrasen, dass ich sage, okay. Sie ist nicht nur eine der unanhörigsten (wie unansehnlich, aber für die Ohren) Wendungen der Welt, sondern auch eine besonders rätselhafte.
Denn was geschieht, wenn du bemerkst: dass ich sage, okay? Du sprichst zu mir und fühlst dich bemüßigt, mich über diesen Sachverhalt zu unterrichten. Das allein ist schon tautologisch. Du sagst, dass du sagst. Aber du sagst jetzt nicht das, was du mir sagen willst, sondern erst einmal: Okay, verpackt in eine Nebensatzkonstruktion mit Phantomhauptsatzschmerzen.
Das ist einerseits nett von dir, denn so kann ich über das Gehörte nachdenken, ohne etwas Wichtiges zu versäumen. Okay ist schließlich eh okay. Andererseits könnte ich mir das Nachdenken sparen, würdest du endlich zum Punkt kommen.
Doch das ist noch nicht alles. Dass ich sage, okay ist nicht nur einzigartig umständlich und unnötig, es ist auch grammatisch so singulär wie eine Rübe in Form eines ordinären Körperteils, und wenn dein Frühkind sie aus der Erde zieht und der Frühkindpädagogin mitbringt, entsteht Erklärungsbedarf: Die Phrase ist steigerungsfähig wie ein Adjektiv, aber auf ganz besondere Weise. Für die komparativische Wirkung fügt man nicht am Anfang oder Ende etwas hinzu, sondern mittendrin: Dass ich hergehe und sage, okay.
Oha! Du gehst her? Da schau her. Und ich hatte gedacht, du seist schon die ganze Zeit dagewesen. Mit wem habe ich denn bisher gesprochen?  
Ja, ja, ich gebe schon Ruhe. Ich weiß eh: Das Füllsel ist nicht dazu da, verstanden zu werden, also Gedanken auszudrücken. Herr Talleyrand, zu seiner Zeit einer der bestgehassten Menschen Europas, soll einmal geäußert haben, die Sprache sei uns gegeben, um unsere Absichten zu verschleiern. Das Füllsel ist dafür untauglich: Es will nicht unsere Gedanken verhüllen, sondern den Mangel daran. Dabei scheitert es auf lästige Weise, dies aber verlässlich. Es ist daher Zeit, nicht etwa herzugehen und zu sagen, okay, das war jetzt unnötig. Sondern eben nicht. Ich habe von Philosophie nicht viel Ahnung, aber ich vermute, dass Wittgenstein recht hatte mit seinem Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Er hat wohlgemerkt nicht gesagt: Ehe man sprechen kann, muss man faseln. Wenn du den Faden verloren hast, suche ihn. Du wirst ihn schneller finden, wenn du dabei nicht quasselst. Hast du nichts zu sagen, dann mach es dir und uns allen leicht. Du kannst einfach mal die Fresse halten. Schönes Wochenende!

Freitag, 18. Mai 2018

Superkraft

Die meisten von euch, so hoffe ich, sind schon aus dem Alter heraus, in dem man gelegentlich checkt, ob man eh noch keine Superkräfte entwickelt hat, ohne es zu merken. Es sei denn, ihr seid Geisteswissenschaftlerinnen. Da kriegt man eine wenig spektakuläre, aber sehr nützliche Superkraft schon vom ersten Proseminar an mit. Man kann dann zwar nicht die Welt vor radioaktiven Haiaffen retten, aber es sinkt die Wahrscheinlichkeit, sich selber zum Affen zu mache.
Als nämlich euer Zweckdichter sich noch der Forschung widmete, war die Zeit dafür fix eingeteilt: 50 Prozent Forschung, 20 Prozent Konsumation von Erfrischungsgetränken, 30 Prozent Reflexion darüber, ob die Forschungstätigkeit methodisch solide unterfüttert sei. Denn wenn eine Mathematikerin sich eines Beweises unterwindet, glückt ihr entweder die Führung desselben oder eben nicht. Die Physikerinnen müssen zwar auf die saure Traube der mathematischen Eindeutigkeit (nein, wir fangen jetzt nicht mit der Gödelschen Unvollständigkeit an, dafür bin ich nicht schlau genug!) verzichten. Aber wenn sie etwas messen, haben sie auf jeden Fall ein Messergebnis. Danach muss man natürlich schauen, ob die Linse sauber war, der Tisch eh nicht gewackelt hat oder wasweißich. Aber ein Ergebnis gibt es.
Als Geisteswissenschaftlerin aber musst du dich ständig fragen, ob du durch eine Linse schaust oder eine Zwetschge quetschst (wollte ich immer schon mal schreiben), und ob da überhaupt ein Tisch ist und wenn ja, ob er auf zwei Beinen auch wirklich stehen kann.
Sonst passiert es leicht, dass man von den eigenen Superideen mitgerissen wird. Kürzlich hat es im Standard ein Wirtschafts-und Politikwissenschaftler unternommen, zu zeigen, dass Arabien irgendwie immer schon Teil Europas war. Wir erfahren viel darüber, dass der arabische Raum in der Antike wichtige Einflüsse für Europa bot, Cäsaren hervorbrachte, Dichter und Päpste. Wir lernen, dass in „Lyon, Marseille, Trier, Grenoble [...] noch bis in das sechste Jahrhundert“ auch Aramäisch gesprochen wurde. Wahnsinn! Muss man sich mal vorstellen! Aramäisch! In Trier! Wem es dabei nicht heiß und kalt den Rücken hinunterläuft, der hat, das kann man nur so hart sagen, kein Herz.
Bald nach dem Jahr 700 war es damit leider komplett vorbei, und Aramäisch kam den guten Leuten in Trier nunja, spanisch vor. Weil nämlich aus komplizierten Gründen keine Araber mehr da waren. Und alsbald war alles Arabische den Trierern (heißen die wirklich so?) fremd.
Angesichts der Conclusio dieses Herrn Al-Ani muss man sich deshalb fragen, ob er vielleicht ein Timelord ist, dem seine Tarnung allmählich wurscht wird: „Der Araber als der Andere, so viel ist klar, ist ein neuartiges politisches Konzept.“ Naja. Für eine gegebene Bedeutung von neu. Sonst halt eher nicht, nach tausendzweihundert Jahren.
Ganz anders ist es in der Werbung. Manchmal hört man Beschwerden, dass die Werbung unrealistische Vorteile verheiße. Einerseits ist das richtig, weil man sich als Sechzehnjähriger nicht darauf verlassen sollte, dass man mittelfristig eine Kissenschlacht zwischen teilbekleideten Flugbegleiterinnen zu sehen bekommt, nur weil man vor dem Check-in Axe aufgetragen hat.
Der Vorteil an unrealistischen Vorteilen ist aber, dass man sich keine realistischen Werbespots anschauen muss. Daran erinnert uns ein neuer Spot, der das Frühstück bei McDonald’s a.k.a. Mickey D’s a.k.a The Golden Arches bewirbt. Man sieht darin zwei PKW-Ladungen voller Frauen in aller Herrgottsfrühe losfahren. Im einen Auto ist halligalli, im andern hängen sie so rum, bis auf die Arme, die fahren muss. Nach einer Weile holen alle Frühstück bei McDonald’s. Danach sind die Munteren immer noch munter, die Müden wachen allmählich auf.
Ja, so ist das in der lustigen Welt der Werbung. Wenn man frühstückt, kommt man schön langsam in die Gänge. Bäm! Und schönes Wochenende!

Freitag, 11. Mai 2018

Grüne Vision

Lesehäschen, ich künde euch gute neue Mär! Was die ältesten Leute kaum mehr zu hoffen wagten, ist nun eingetreten: Wir wissen endlich, welche gesellschaftliche Utopie die Grünen anpeilen! Nach diesem Leitstern steuern sie. Ob sie heute, morgen oder in hundert Jahren ankommen? Man weiß es nicht. Hauptsache, das Ziel ist klar, der Rest findet sich. Ein dreifaches hurra! hurra! hurra! dafür.
Soviel Zeit musste sein, meine Teuren.
Nun zu den Details:
Die Grünen haben vor Umweltverschmutzung und Klimawandel resigniert. Es wird uns daher nichts anderes übrigbleiben, als riesige geodäsische Kuppeln zu konstruieren, in denen das Klima, die Produktion von Nahrungsmitteln, die Temperatur etc. von einem Superrechner überwacht und gesteuert werden. Der Bevölkerung wird es hervorragend gehen, weil Kapitalismus, Erwerbsarbeit und andere Störfaktoren des Lebensgenusses überwunden sind. Wer ein bestimmtes Alter erreicht, unterzieht sich der Prozedur der Erneuerung und wird dann frisch-fröhlich wiedergeboren.
Woher ich das alles weiß? Weil sich bei den Grünen eine Gruppe namens Next Generation Lab gegründet hat, die nur ein einziges Killerkriterium kennt: Aspirantinnen und Aspiranten dürfen nicht älter sein als die Partei.
Damit ist klar, wo wir uns befinden: Das Szenario verdankt sich offensichtlich Logan’s Run (deutsch: Flucht ins 23. Jahrhundert), einem Science-Fiction-Film aus dem Jahre 1976. Dort sieht die Welt aus wie beschrieben: Man lebt glücklich, lässt den lieben Gott einen guten Mann sein, und wenn wer 30 wird, verliert man sich irgendwie total aus den Augen, weil das Geburtstagskind umgehend zur „Erneuerung“ antreten muss, wonach er oder sie nicht mehr wiedergesehen wird. Komisch.
Wer über 30 ist, wird bestätigen, dass das kein Nachteil sein muss. Auch das Next Generation Lab sich hier offenbar vollrohr wiedergefunden. Kein Wunder, ist ihr erklärtes Ziel doch ebenfalls die Selbsterneuerung der in den Seilen hängenden Partei.
Das wäre nun alles sehr schön, und wir könnten einer Zukunft reiner Lebensfreude entgegensehen. Aber als alter Filmfreund kann ich mir schon denken, was passiert: Über kurz oder lang kommt Peter Pilz daher und deckt auf, dass die Leute gar nicht wirklich wiedergeboren, sondern schlichtweg eingeschläfert und kompostiert werden. Diese Spaßbremse!
Schlimmer: Womöglich kennt Pilz nicht nur Logan’s Run, sondern auch einen weiteren Klassiker des Genres. Dort werden Verstorbene zu Kekserln verarbeitet, die besser munden als der wenig befriedigende Fleisch- oder Gemüseersatz. Wenn dem Next Generation Lab Erfolg beschieden sein soll, kann ich den Verantwortlichen nur empfehlen, beide Goldideen zu kombinieren: Ab 35 wird der Mensch zu nahrhaftem Knabberzeug verarbeitet, und man fängt am besten mit Peter Pilz an, damit das große Projekt seinen Lauf nehmen kann. Denn wie heißt besagter anderer Klassiker? Genau: Soylent Green. Die bei der entsprechenden Enthüllung geäußerte Textzeile sollte dem Thinktank ebenfalls wertvolle Inspirationen liefern, wo es um die gedeihliche Integration von Basisdemokratie und politischer Gestaltungsfähigkeit geht: Soylent Green is people.
Schönes Wochenende!

Freitag, 4. Mai 2018

Fachsprache

Wir haben uns, o sprachneugierige Lesehäschen, ja schon oft und öfter mit Fragen beschäftigt, die einem bei intensiver Nutzung des Deutschen so über den Weg hoppeln. Es ist Zeit, dass wir über diesen Tellerrand hinausschauen! Deutsch ist schließlich nicht die Welt, es gibt noch andere interessante Idiome. Nun trifft es sich, dass euer ergebener Kolumnator kürzlich Gelegenheit hatte, einem Native Speaker des verbreiteten, aber meist stark akzentuierten Marketingisch zu begegnen.
Halt, halt! Ich weiß schon, was ihr sagen wollt. Ich aber antworte euch: Wir streben hier nach Bildung. Mit eurer Einstellung wüssten wir heute noch nichts über haarige Spinnen, Syphiliserreger oder David Guetta. Wer Erkenntnis gewinnen will, der muss noch scharf hinschauen, wo andere schon einen Schnaps brauchen. Deshalb hier eine Redeflussprobe, die, was selten begegnet, tatsächlich in lupenreinem Marketingisch daherkommt, wobei die Bedeutung von „lupenrein“ hier bis knapp an die Zerreißgrenze gedehnt ist.
Beim Folgenden ist zweierlei zu beachten. Erstens verwirrt unbedarfte Marketingisch-Anfänger, dass die Sprache äußerlich dem Deutschen ähnelt. Davon darf man sich nicht täuschen lassen, sonst ist kein Lernfortschritt möglich! Zweitens handelt es sich nicht um ein Rohtranskript. Ich habe hier und dort kleine Änderungen vorgenommen, zugunsten des Leseflusses. Nun los:
Unsere Values sind, dass wir zuerst immer auf elftausend Meter Flughöhe daherkommen, sonst sehen wir den Kontinent vor lauter Wäldern nicht. Entscheidend ist die time to market, deshalb muss man sich im Management nicht einmal fragen, was ist die Entscheidungslogik, sondern fünfmal. Auf dieser Flughöhe müssen wir anfangen, und dann müssen wir als erstes entscheiden: Ist der Patient schon tot? Wenn nein, braucht er eine Notoperation oder eine Schönheitsoperation? Da haben wir ein Rettungsthema, weil der Patient ein Eisberg ist, und wie es ihm geht, dabei werden wir nie weiterkommen, da können wir nur oben auf den Eisberg ein rotes Kreuz draufkleben. Wir müssen das Wasser ablassen, und dann kommt die Logik der Customer Journey, dass ich den ganzen Eisberg sehe. Denn das ist wie die Eier im Supermarkt: Ich habe den Stapel mit Todeseiern, da nützt auch die Notoperation nichts mehr. Daneben habe ich den Stapel mit den glücklichen Eiern, wo das Huhn regelmäßig Mund-zu-Mund-beatmet wird. Diese Entscheidungslogik müssen wir durch die ganze Supply Chain mitziehen. Diese Values sind extrem wichtig! Natürlich haben wir da auch ein Verkaufsthema, und wenn auf dem Eisberg low hanging fruits unter Anführungszeichen wachsen, erwarte ich mir von einem Partner, dass er diese best-practice-Logik mitgeht.
Man sieht schon, dass die Linguistik des Marketingischen noch einen weiten Weg vor sich hat. Bevor wir erfreut und erleichtert einen Langenscheidt Deutsch–Marketingisch in Händen halten, gilt es den Stein von Rosetta zu finden, der uns den Schlüssel liefert. Erst dann werden wir herausfinden, was sich in den bisher so rätselvollen Texten verbirgt. Wartet hier ein Schatz der Weisheit darauf, gehoben zu werden? Die große vereinigte Theorie von eh allem? Ist es nur die Reader’s-Digest-Version des Voynich-Manuskripts, das ja vermutlich doch nur ein aufwendiger Schmäh auf Kosten der Möchtegern-Entzifferer ist? Oder haben wir es schlicht mit einer Verkaufskeiler-Version des Rotwelschen zu tun, jener Gaunersprache, die nicht nur der Verständigung diente, sondern ebensosehr der Verschleierung des Gesagten vor jenen, die es einzutunken galt? Man darf gespannt sein!