Freitag, 29. November 2019

Weiße Weste

Kommt, liebe Lesehäschen, setzt euch ans zu warme Feuer (irgendwann wird der Winter schon noch kommen), und lauschet, wie es einst war. Es begab sich, dass die Leute sich zu wenig sicher fühlten. Sie hatten nicht etwa Angst davor, unvermutet ein Messer zwischen die Rippen oder zumindest eine Faust aufs Auge zu kriegen, sondern davor, sich ungemütlich zu fühlen. Deshalb erfanden sie den safe space. Euer Ergebener ist nicht ganz sicher, was safe space bedeutet. Ich glaube aber, dass man in einem solchen Schutzraum sicher vor unangenehmen Tatsachen ist. Wenn zum Beispiel die Universität ein safe space sein will, muss sich auch der klassischste Text die Frage gefallen lassen, ob er der gesellschaftlichen Gerechtigkeit in erwünschtem Maße Rechnung trägt oder ob darin von betrüblichen Dingen wie Rassismus, Sexismus und anderem Alter-weißer-Männer-ismus die Rede ist, der die empfindlichen Jungseelen verstören könnte.
Diese Revolution hat nun ein Kind verschluckt. Wir haben den Punkt erreicht, wo kluge Menschen es unverantwortlich finden, Alice Schwarzer zu einer universitären Diskussion einzuladen, weil sie nicht den Stand der feministischen Forschung widerspiegelt.
Dabei war Alice Schwarzer nicht eingeladen worden, um über feministische Forschung zu sprechen, sondern darüber, wie gut geführte Kampagnen gesellschaftliche Veränderungen anstoßen können. Wir leben offensichtlich in Zeiten, wo Adornos Behauptung, es gebe kein richtiges Leben im falschen, auf eine Art wahr geworden ist, die er sich nicht hätte träumen lassen. Wenn man nur streng genug ist und den space nur safe genug haben will, dann darf sich niemand mehr zu irgendetwas äußern, wenn sie nicht in jeder anderen Hinsicht, die mit dem betreffenden Thema noch so wenig zu tun hat, unantastbar firm und moralisch einwandfrei ist.
Eine Kulturvermittlerin namens Petra Unger spricht sich im Standard gegen die Einladung Schwarzers zur universitären Diskussion aus, weil viele ihrer Aussagen fundiert widerleg[t] worden seien. Wer sie einladen will und deshalb von Sprechverbot und Gesinnungsdiktatur „schwadroniert“ (so Frau Unger), der bediene sich einer antifeministischen Diktion und überschreite deshalb die demokratischen und menschenrechtlichen Grenzen der Meinungsfreiheit.
Das ist sicher ein interessanter Zugang, aus dem sich viel darüber lernen lässt, was im Englischen Red Herring heißt, d.h. darüber, wie man etwas beweist, von dem nicht die Rede war, und dann so tut, als hätte man stattdessen die fragliche Behauptung bewiesen. Es geht ja nicht darum, ob die Rechten gern über Sprechverbote winseln, sondern darum, ob, wer „Sprechverbot“ sagt, damit auch schon die Grenzen der Menschenrechte überschreitet (eher nicht, oder?).
Vor alle aber, so Frau Unger in aller Kürze, solle man Frau Schwarzer nicht über Kampagnenführung referieren lassen, weil ihre Position etwa zum Islamismus nicht den Stand der Forschung widerspiegle. Mir scheint im Gegenteil, dass der Erfolg einer Kampagne sich eben nicht daran messen lassen sollte, wie wahr ihre Voraussetzungen sind. Sonst bräuchten wir gar keine Politik.
Vielleicht ist euer Ergebener schon älter, weißer und hodenbehangener, als er selber wahrhaben will. Ich habe aber den Eindruck, wer sich von solchen Argumenten drankriegen lässt, der hätte sich auch dagegen ausgesprochen, Goethe über Poetik sprechen zu lassen, weil seine Farbenlehre ja sowas von überholt ist. Schönes Wochenende!

Freitag, 15. November 2019

Pedanterie

Man kann es auch zu genau nehmen, meine lieben gewissenhaften, aber keineswegs über Gebühr anal fixierten Lesehäschen! Ein schönes Beispiel hat kürzlich, das habt ihr ja alle mitbekommen, der Oberboss von Uber (also der Uberboss, das musste jetzt sein) geliefert. Er bezeichnete es in einem Interview als „ernsten Fehler“, dass Mohammed bin Salman, wie männiglich bekannt, die Zerstückelung des regimekritischen Herrn Khashoggi veranlasst hat. Und wenn jemandem ein Fehler unterlaufen ist, bedeutet das, so der Ubermensch, ja nun nicht automatisch, dass dieser Fehler für alle Zeiten unverziehen bleiben muss. Das gilt gerade auch in der Welt des autonomen Fahrens, wenn zum Beispiel ein unschuldiger Passant unter die autonomen Räder kommt, die sich im konkreten Uberfall saftiger Investitionen seitens des Herrn bin Salman erfreuen.  
Viel erfreulicher, als wenn Leute sich ihre Menschlichkeit abkaufen haben lassen und es dann zuwenig genau nehmen, ist es, wenn sie es ein bisschen zu genau nehmen. So hatte euer Kolumnator kürzlich die Freude, dass in einem Briefing von einer „Geldzuwendung im Wert von 300 Euro“ die Rede war. Das Schöne daran ist natürlich, dass eine Geldzuwendung im Wert von 300 Euro genau 300 Euro entspricht. Es sei denn, dass die Geldzuwendung in Franken, Dollars, Dublonen oder gar jenen Münzen erfolgte, die auf Spanisch „real de a ocho“ heißt, weil eine davon acht Reales wert war, auf Englisch aber den unwiderstehlichen Namen „piece of eight“ trägt.
Weil der wohltätige  Empfängerzweck sich ebenso wie der löbliche Spender in Österreich befindet, ist es aber höchst unwahrscheinlich, dass die Spende selbst in spanischen Silbermünzen aus dem 16. Jahrhundert erfolgte. Mithin bestand die Geldzuwendung im Wert von 300 Euro also vermutlich aus ziemlich genau 300 Euro, so plusminus.
Genau nehmen darf man es auch in der Welt der elektronischen Gadgets. Wenn du dir zum Beispiel ein haushaltstaugliches Projektionsgerät a.k.a. Beamer kaufst, welcher WLAN-fähig und also hervorragend zum Streamen angesagter Serien geeignet ist, und diesem Beamer eine Fernbedienung beiliegt, mit der sich so dies und das fernbedienen lässt, aber eben genau keine Streamingdienst-Apps, dann, finde ich, darf man sich schon fragen, ob man nicht gleich draufschreiben hätte sollen „Smartphone erforderlich“. Schaut man also in die Automobil- oder in die Unterhaltungsbranche oder sonstwohin, es dürfte noch eine Weile dauern, bis die Maschinen so weit sind, gegen uns in den Krieg zu ziehen. Bis dahin müssen wir einander auf gute, alte Weise selber das Leben schwer machen, aber wie gesagt: Da darf man nicht zu streng sein. Wer noch nie seinen Nächsten mit einer Knochensäge bei lebendigem Leibe in seine Einzelteile zerlegt hat, der werfe den ersten Stein! Schönes Wochenende.

Freitag, 8. November 2019

Eine Art smart

Eine von eurem treuen Kolumnator sehr geschätzte Band brachte einst, o vielgeliebte Lesehäschen, eine CD auf den Markt mit dem Titel Modern Life is Rubbish. Man schrieb 1993, und man sieht daran, dass Britpop nicht nur der beste, sondern auch der am weitesten voraus schauende Pop zumindest diesseits von Frank Black ist, weil nie einem Albumtitel mehr Wahrheit innewohnte. Das will einerseits wenig heißen, weil Albumtitel in Form von Aussagesätzen (und also potenziellen Wahrheiten) rar sind, andererseits umso mehr, weil man sich ja erst einmal über so einen Titel drübertrauen muss.  
Das moderne Leben ist also tatsächlich nicht frei von Mülligkeit, was so mancher bejahen müssen wird, der mit einem Teenager seinen Alltag teilt. Denn es macht sich zwar allerorten smartness in Gestalt des sogenannten Internets der Dinge breit, dass es nur so eine Art hat: Wer heutzutage einen Kühlschrank, einen Geschirrspüler oder eine Waschmaschine kauft, muss sich schon aktiv gegen smartness entscheiden, nämlich dagegen, dass die neue Waschmaschine deine Bandbreite anknabbert, während du sie aber weiterhin händisch befüllen und entleeren musst. Dafür kannst du ganz smart per Handy feststellen, ob sie vielleicht gerade läuft, weil sie bereits jemand anderer befüllt und in Gang gesetzt hat (Spoiler Alert: hat keiner gemacht). Dies einerseits.
Andererseits, und ich hoffe, dass ich den hoffentlich gar zahlreichen Nachwuchshäschen jetzt nicht zu nahe trete, aber die Wahrheit ist, wie Ingeborg Bachmann tatsächlich und Michi Spindelegger so ähnlich gesagt hat, dem Menschen zumutbar, also: Andererseits findet in jedem Haushalt mit Teenager eine Gegenbewegung statt, welcher die smartness noch so vieler vernetzter Geräte nicht gewachsen ist. Denn Teenager wissen zwar viel mehr über das Internet als du, aber weniger über die Dinge.
Solange die smarten Internetdinge nämlich nicht selber in den Supermarkt oder zumindest bis zur Wohnungstür gehen können (wenn der Bote klingelt), sind sie wie ein geliebter, aber pflegeabhängiger Verwandter darauf angewiesen, dass Mobilere ihre Wünsche erfüllen und zum Beispiel Geschirr einschlichten, eine Startzeit programmieren oder Milch besorgen.
Teenager sind dafür leider nicht geeignet. In den 80er Jahren war das Bild des armen Stadtkindes verbreitet, dass glaubt, die Milch komme aus dem Supermarkt, weil es nicht weiß, dass sie aus der Kuh kommt. Der durchschnittliche Teenager glaubt, dass Milch im Kühlschrank nachwächst, so wie die antiken Naturforscher einst spekulierten, dass Würmer aus Schlamm entstehen.
Teenager können zwar acht verschiedene Nagellackiertechniken im Schlaf aufsagen, von denen jede komplizierter ist als ein dreigängiges Menü. Trotzdem bleibt ihnen oft der Zusammenhang von Ursache und Wirkung verschlossen: zum Beispiel, dass Wäsche dann in der Waschmaschine landet, wenn sie zuvor den Weg in den Wäschekorb gefunden hat, damit das Waschmaschinenpflegepersonal merkt, dass hier etwas zu waschen sei.
Wenn sich aber die waschbedürftige Kleidung unterm Schreibtisch, hinterm Bett, in der Schultasche oder weißdergeierwo herumwälzt, kapituliert auch die smarteste Waschmaschine. Der Waschmaschinenpfleger hingegen könnte zwar in regelmäßigen Abständen die Wohnung nach Schmutzwäsche absuchen, so wie die Affen einander ja auch lausen, um den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Aber irgendwann wird auch der dienstbereiteste Waschmaschinenpfleger smart genug, um vor dem vollen Teenagerkleiderschrank auf die Idee zu kommen, dass das Problem mangelnder Anziehsachen noch nicht so drängend sei, dass man mit der eigenen Wohnung soziale Bindungsspiele spielen müsse.
Schönes Wochenende!