Kommt, liebe Lesehäschen, setzt euch ans zu warme Feuer
(irgendwann wird der Winter schon noch kommen), und lauschet, wie es einst war.
Es begab sich, dass die Leute sich zu wenig sicher fühlten. Sie hatten nicht etwa
Angst davor, unvermutet ein Messer zwischen die Rippen oder zumindest eine
Faust aufs Auge zu kriegen, sondern davor, sich ungemütlich zu fühlen. Deshalb
erfanden sie den safe space. Euer
Ergebener ist nicht ganz sicher, was safe
space bedeutet. Ich glaube aber, dass man in einem solchen Schutzraum sicher
vor unangenehmen Tatsachen ist. Wenn zum Beispiel die Universität ein safe space sein will, muss sich auch der
klassischste Text die Frage gefallen lassen, ob er der gesellschaftlichen
Gerechtigkeit in erwünschtem Maße Rechnung trägt oder ob darin von betrüblichen
Dingen wie Rassismus, Sexismus und anderem Alter-weißer-Männer-ismus
die Rede ist, der die empfindlichen Jungseelen verstören könnte.
Diese Revolution hat nun ein Kind verschluckt. Wir haben den
Punkt erreicht, wo kluge Menschen es unverantwortlich finden, Alice Schwarzer
zu einer universitären Diskussion einzuladen, weil sie nicht den Stand der feministischen
Forschung widerspiegelt.
Dabei war Alice Schwarzer nicht eingeladen worden, um über feministische
Forschung zu sprechen, sondern darüber, wie gut geführte Kampagnen gesellschaftliche
Veränderungen anstoßen können. Wir leben offensichtlich in Zeiten, wo Adornos
Behauptung, es gebe kein richtiges Leben im falschen, auf eine Art wahr
geworden ist, die er sich nicht hätte träumen lassen. Wenn man nur streng genug
ist und den space nur safe genug haben will, dann darf sich niemand
mehr zu irgendetwas äußern, wenn sie nicht in jeder anderen Hinsicht, die mit
dem betreffenden Thema noch so wenig zu tun hat, unantastbar firm und moralisch
einwandfrei ist.
Eine Kulturvermittlerin namens Petra Unger spricht sich im Standard gegen die Einladung Schwarzers
zur universitären Diskussion aus, weil viele ihrer Aussagen fundiert widerleg[t] worden seien. Wer
sie einladen will und deshalb von Sprechverbot
und Gesinnungsdiktatur „schwadroniert“
(so Frau Unger), der bediene sich einer antifeministischen Diktion und
überschreite deshalb die demokratischen und menschenrechtlichen Grenzen der
Meinungsfreiheit.
Das ist sicher ein interessanter Zugang, aus dem sich viel darüber
lernen lässt, was im Englischen Red Herring heißt, d.h. darüber, wie man etwas beweist, von dem nicht die Rede
war, und dann so tut, als hätte man stattdessen die fragliche Behauptung
bewiesen. Es geht ja nicht darum, ob die Rechten gern über Sprechverbote
winseln, sondern darum, ob, wer „Sprechverbot“ sagt, damit auch schon die
Grenzen der Menschenrechte überschreitet (eher nicht, oder?).
Vor alle aber, so Frau Unger in aller Kürze, solle man Frau
Schwarzer nicht über Kampagnenführung referieren lassen, weil ihre Position etwa
zum Islamismus nicht den Stand der Forschung widerspiegle. Mir scheint im
Gegenteil, dass der Erfolg einer Kampagne sich eben nicht daran messen lassen
sollte, wie wahr ihre Voraussetzungen sind. Sonst bräuchten wir gar keine
Politik.
Vielleicht ist euer Ergebener schon älter, weißer und
hodenbehangener, als er selber wahrhaben will. Ich habe aber den Eindruck, wer
sich von solchen Argumenten drankriegen lässt, der hätte sich auch dagegen ausgesprochen,
Goethe über Poetik sprechen zu
lassen, weil seine Farbenlehre ja sowas von überholt ist. Schönes Wochenende!