Freitag, 27. Mai 2022

Zu weit gegangen

 

Kürzlich war dem Falter Erfreuliches zu entnehmen, nämlich in betreffs der Wettervorhersage. Die Meteorologie hat offenbar seit den Tagen des wilhelminischen Kaiserreichs, da es Universitäten oder ähnlichen Einrichtungen untersagt war, Wetterprognosen zu veröffentlichen, weil es einer deutschen Behörde nicht anstehe, derartige Schwachheiten zu verlautbaren, große Fortschritte gemacht. Der befragte Experte tat kund, dass die Hellsichtigkeit der Fachleute um ungefähr einen Tag pro Jahrzehnt steige, sodass man heute das Wetter für nächsten Mittwoch so genau prophezeien kann wie das 2002 erst für Montag möglich war.

Dies ist ein schönes Beispiel dafür, dass selbst die einfachsten Regeln nur mit Maß und Ziel sinnvoll anzuwenden sind, denn wenn man sich von der Begeisterung über den meteorologischen Fortschritt mitreißen lässt und die Tage entsprechend rückrechnet, stellt man alsbald fest, dass man heute das Wetter vom nächsten Mittwoch so genau kennt wie 1952 das Wetter von vorgestern. Hier, wie die Experten sagen, hat es was.

Entfernt ähnlich ist der Fall von Germany’s Next Top Model gelagert. Einst war dies eine Sendung, in der Hexe Heidi junge Mädchen zur Sau machte, wenn sie nicht dürr genug waren. Das war sehr unsympathisch, aber vermutlich steckte erstens ein Körnchen Wahrheit über die Verhältnisse im Modelbusiness darin, und zweitens gaben die Sendungsmacher zumindest so etwas wie Trainingswillen vor, indem Leute wie der unvergessliche Bruce Darnell den Backfischen zeigten, wie man in Stöckelschuhen ordentlich geht. Das Problem, das der Sendung von Anfang an eingeschrieben war, bestand in der Behauptung, dass sie einen geeigneten Startpunkt für eine Modelkarriere darstelle.

Mittlerweile hat GNTM diese Regel um nicht nur einen Schritt, sondern mindestens eine Hamsterradstunde zu weit befolgt. Den Kandidatinnen wird nunmehr weisgemacht, dass es völlig gleichgültig sei, wie sie aussehen. (Bruce wurde längst durch Ganzkörperspiegel und die kritischen Blicke der ebenso ahnungslosen Mitbewerberinnen ersetzt.)

Entscheidend sei lediglich, dass sie in der Sendung bestehen. Deshalb tummelten sich in der aktuellen Staffel Frauen jeglichen Alters und Formats, deren reale Chancen in der Branche – nunja. Auch was die Siegerin (immerhin Österreicherin, yay) betrifft, hält sich die Spannung in Grenzen. Denn vor Jahren gab es einmal eine große Story über ein Exmodel, das sich zwar nie bei GNTM zurichten hatte lassen, aber trotzdem (oder deswegen) auf eine erfolgreiche Karriere zurückblickte und verriet, was man als Model am besten tut, wenn der Fotograf „mehr Ausdruck“, „mehr Emotion“ oder sonst etwas wünscht: Man schaut angefressen, und schon sind alle happy. Siegerin Lou-Anne hat das übellaunige G’schau leider nicht drauf, sondern nur den blickgewordenen ennui darüber, dass das Shooting noch nicht vorbei ist. Ob das für eine Karriere reicht, sei dahingestellt. Aber das ist ja bei GNTM-Siegerinnen nichts Neues. Schönes Wochenende!

Donnerstag, 19. Mai 2022

Unbetreut

 

Einst, o teure Lesehäschen, gab es Kundenbetreuer sowie natürlich Kundenbetreuerinnen (außer in MS Word, dessen Rechtschreibprüfung bis weit in die aughts, die bei uns unter „Nullerjahre“ laufen, zwar den Verkäufer, nicht aber die Verkäuferin gelten lassen wollte). Wer eventuell bereit war, einem Unternehmen Geld rüberzuschieben, aber dafür vorher ordentlich Beratung abgreifen wollte, der wusste, an wen er sich zu wenden hatte. Um beiderlei Beratungspersonal gerecht zu werden, behalf man sich bald mit dem Binnen-I, sodass uns KundenbetreuerInnen gegenübersaßen.

Dann aber kam die genderistische Vielfalt, die sich unter einem Sternchen subsumieren lässt, wobei euer Ergebener, alter, weißer Sack, der er nun einmal ist, bis heute auf den Anblick dreier Toilettentüren nebeneinander wartet, eine mit Maxerl gekennzeichnet, eine mit Maxine, eine mit *.

Also kamen die Kundenbetreuer*innen in die Welt, aber nur beinahe, denn auch den Unbedarftesten war klar, dass hier im eigenen Unternehmen mit einem geschmeidigeren Maß gemessen wurde als bei der präsumtiven Kundschaft, weil es natürlich keine Kundenbetreuer*innen geben kann, sondern allerhöchstens Kund*innenbetreuer*innen.

Hier zeigte sich wiederum selbst den Unbedarftesten eine Schwäche des Sternchens, sodass sie nicht umhin konnten zu bemängeln, dass dieses sogenannte Wort dem Lesefluss nicht förderlich sei.

No shit, Sherlock.

Deshalb gab es nun statt den Kund*innenbetreuer*innen zweierlei: Erstens die Regel, dass es in einem Wort nur ein Gendersternchen geben dürfe. Und zweitens der Mangel an einer Bezeichnung für Leute, die entsprechende Stellen bekleiden.

Man hätte sich vielleicht für „Kundschaftsbetreuer*innen“ entscheiden können, dies wurde möglicherweise für zu altmodisch befunden. Weit stromlinienförmiger ist, was uns stattdessen blühte, nämlich die Vertriebsbetreuer*innen. Damit war die Sache zur allseitigen Zufriedenheit gelöst, und der Preis war gewiss nicht zu hoch: Dass nämlich nicht länger Kunden betreut werden, sondern der Vertrieb sich selbst betreut, während Kunden, Kundinnen und natürlich auch Kund*innen sich brausen gehen können.

Abschließend darf ich an die versammelte Schwarmintelligenz die Frage richten, wie heute die korrekte Bezeichnung für jemanden lautet, der*die den Beruf des einstigen Zimmermanns ausübt. Schönes Wochenende!

Freitag, 13. Mai 2022

Baulos

 

Es ist, o teure und hoffentlich ein bisschen, aber nicht zu sehr fadisierte Lesehäschen, wieder einmal an der Zeit, dem urösterreichischen Kunsthandwerk der Bürokratie die gebührende Ehre zu erweisen. Wenn man früher nicht mehr recht wusste, worin das Staatsbürgertum abseits der gelegentlichen Wahlteilnahme eigentlich bestehe, begab man sich zum Amt, um beispielsweise einen Pass zu beantragen. Sobald man dem zuständigen Organ die nötigen Unterlagen überreicht hatte und das Organ mit ziemlich gut verhohlenem, aber deshalb keinen Deut weniger hämischem Grinsen ein abgegriffenes Lineal aus der Lade holte und einem dann mitteilte, das Passfoto sei einskommafünf Millimeter zu schmal, fiel einem das Wesen des Staatsbürgertums wieder ein.

Heute, wo die digitale Verwaltung so weit gediehen ist, dass Deutschland neidisch schweigt, erfordert eine solche politisch-soziale Rekalibrierung mehr Aufwand. Ideal eignet sich dafür ein mittleres ländliches Bauvorhaben wie die Errichtung einer Garage plus Befestigung einer Böschung sowie deren Aufschüttung, damit man weniger schräge Gegenden auf dem Grundstück hat.

Man bekommt es nämlich alsbald mit der obersten Baubehörde in Gestalt des Bürgermeisters zu tun, der einen ablehnend bescheidet, weil die Garage keinen Oberstock mit Homeoffices haben darf. Das dadurch bedingte Verkehrsaufkommen könnte die Anrainer überlasten.

Daher belässt man das Homeoffice im Keller, um den Verkehr in Grenzen zu halten.

Weiters erfährt man, ein begrüntes Flachdach sei unzulässig, weil nicht ortsüblich, was eine kompliziertere Formulierung für das beneidenswert lakonische „because reasons“ des Englischen darstellt.

Schließlich hat man die Garage planungstechnisch unter Dach und Fach. Nun, nach einem Dreivierteljahr, stellt sich aber heraus, dass die Befestigung der Böschung möglicherweise ungeahnte Risken mit sich bringt, nämlich in Hinsicht auf den Hochwasserschutz. Der Bürgermeister trifft daher wiederum eine Entscheidung, nämlich jene, einen Sachverständigen beizuziehen. Der Sachverständige erscheint und lässt dich als erstes wissen, dass er gar keiner ist. Also schon, aber nicht für den Hochwasserschutz, sondern fürs Bauwesen. Er ist nur deshalb hier, weil er seinen Schreibtisch im selben Haus hat wie die Herrschaften vom Hochwasserschutz. Er würde vielleicht einen Kaffee nehmen, aber selbst die Engel im Himmel haben größtes Verständnis dafür, dass du ihm an diesem Punkt keinen anbietest.

Nachdem er sich vom Acker gemacht hat, erfährst du von der zweitobersten Baubehörde (nämlich dem Vizebürgermeister) erstens, worin das Problem eigentlich besteht: Ein Stück weiter gibt es einen Berg mit einer Rinne. Wenn dort ein sehr hartnäckiges, sehr eng lokalisiertes Starkregenereignis stattfände, dann wäre nicht auszuschließen, dass sich ganz am Rande deines Grundstücks mehr Wasser ansammelte, als dem Nachbarn frommte. Freilich wäre das im Rahmen eines solchen Vorkommnisses wahrscheinlich seine geringste Sorge, aber dafür ist die Hochwasserschutzbehörde nicht da. (Man könnte hier auch darüber nachgrübeln, dass ein begrüntes Flachdach einen infinitesimalen, aber nicht wegzuleugnenden Beitrag dafür darstellte, die Wahrscheinlichkeit von Starkregenereignissen zu senken. Aber das lässt man besser bleiben.)

Zweitens teilt dir die zweitoberste Baubehörde mit, dass der Hochwasserschutz bereits eine Stellungnahme zur anzuschüttenden Böschung abgesondert hat: Dies stelle keine Problem dar, vorausgesetzt, man schütte die Böschung nicht an. Es ist dir nicht gestattet, diese Stellungnahme einzusehen, weil Fürst Metternich sonst auferstehen würde.

Die große Frage, die übrig bleibt: Wie schaffen es die anderen eigentlich, Österreich derart zu verhütteln, wie es offensichtlich der Fall ist?

Schönes Wochenende!

Freitag, 6. Mai 2022

Ein rasches Ende

 

Soll man es, o besonnene Lesehäschen, in diesen beschissenen Tagen eher mit Alice Schwarzer, Peter Weibel & Konsorten halten, die den Kanzler (den wirklichen Kanzler, nicht Nehammer) auffordern, keine schweren Waffen an die Ukraine zu liefern,  weil es dann „so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand kommen“ könne?

Oder mit den anderen Unterzeichnern, darunter etwa Daniel Kehlmann und Robert Menasse, die hingegen der Ansicht sind, man solle sehr wohl Waffen liefern, damit Russland die Ukraine nicht einfach unterwerfe?

Als alter weißer Sack und Verehrer eines noch älteren, noch weißeren Sackes, nämlich Winston Churchills, kann sich euer Ergebener des Eindrucks nicht erwehren, dass der EMMA-Initiative etwas Chamberlaineskes anhaftet. Auch jener Premier war sicher, mit seinem Besuch in München das Richtige für den Frieden zu tun. Zwar meinte es Hitler dabei nicht ehrlich, aber auch seinerseits strebte er wenig später mit dem, was die Briten The Blitz nannten, einen raschen Waffenstillstand zwischen Deutschland und Großbritannien an, wobei der Führer großzügig bereit gewesen wäre, die britische Souveränität auf dem Altar des Friedens zu opfern. Leider zog sich der Weltkrieg stattdessen noch mehrere Jahre hin, und es bleibe dahingestellt, wie man bei EMMA darüber denkt.

Ich glaube keineswegs, die Unterzeichner täuschen sich, wenn sie meinen, ohne Waffenlieferungen werde der Waffenstillstand eher eintreten. Ich fürchte eher, sie haben damit allzu recht, weil halt die russischen Waffen irgendwann schweigen werden, wenn alles Ukrainische plattgemacht ist. En rasches Ende des Krieges zu fordern, selbst wenn es die Ukraine kostet, ist gewiss legitim, weil Tod und Leiden schrecklich sind. Ob dies aber für die Ukrainer auf einen „Kompromiss“ (so im EMMA-Brief) hinausläuft, ist wohl nicht gesichert.

Glücklicherweise gibt es auch gute Nachrichten. Wie männiglich bekannt, haben es schon etliche aus der Ukraine nach Wien geschafft, was natürlich erfreulich ist. Auch in der Schulklasse des Zweckdichterbalges gibt es nunmehr einen Flüchtling. Bei seinem Eintreffen wurde die Sitzordnung ein bisschen geändert, damit der Knabe – nennen wir ihn Oleg – neben einen bereits vorhandenen Knaben – nennen wir ihn Valentin – zu sitzen komme. Denn Valentin kann Russisch, und so hat der arme Oleg, der ja vorerst kein Deutsch spricht, ein bisserl eine Ansprache.

So weit, so gut. Mittlerweile ist bis zu eurem Zweckdichter durchgesickert, warum Valentin Russisch kann: weil er Russe ist. Hut ab vor jenem Herrn ’fesser, der sich durch kleinliches Lagerdenken nicht davon abhalten ließ, seinen Beitrag zur Völkerverständigung zu leisten.

Schönes Wochenende!