Freitag, 24. März 2023

Rock around the Pölten

 

Was ist das für ein fröhliches Schraddeln auf heftig verstärkten Gitarren? Wer drischt da so enthusiastisch auf die Kettledrum ein? Warum dieses Jubilieren vom tiefsten Kellerlokal bis zu den höchsten Bergesgipfeln?

Es liegt an der guten Nachricht, o teure Lesehäschen, als welche da lautet: Endlich mehr Rock’n’Roll in der Politik, nämlich in der niederösterreichischen Landespolitik! Deshalb freuen sich Lederjackenträger und Gitarreros von Nenzing bis Neusiedl. Wer aber bringt das Feeling ins Landhaus? Unsere vielgeliebte FPÖ, that’s who! Es ist nämlich, falls ich eure Erinnerung da mal eben auffrischen darf, so: Wenn eine Rockband, also so eine richtig erfolgreiche Rockband von der Sorte, die nicht mehr in einem ehemaligen Feuerwehrbus mit fast noch gültigem Pickerl unterwegs ist, sondern in einem rollenden Sündenpfuhl, dem ein vielköpfiger Sattelschlepperkonvoi vorauseilt, wenn die also auf Tour geht, kommt sie irgendwann am Orte des nächsten Gigs an. Dort will man es halbwegs kuschelig haben, also je nach Gusto dieses Pulver, aber nicht jenes, Groupies von dieser Cupgröße, aber jene weniger, sowas halt. 

Die entsprechenden Vorlieben schreibt man als Rockband auf einen Zettel, den sogenannten tour rider. Natürlich will man keine Enttäuschungen erleben, wenn man dann irgendwann nach stattgehabtem Abhotten auf der Bühne das Groupiekästchen öffnet, sondern man will prickelnde Vorfreude! Zwecks ungetrübten Genusses derselben verstecken g’feanzte Bands in ihrem rider kleine Fallen für die Verantwortlichen, sodass sie schon gleich beim ersten Grobverwüsten der Garderobe feststellen können, ob auf die Betreffenden Verlass ist. Van Halen zum Beispiel sind bekannt dafür, dass ihr rider eine Schüssel voller M&M’s stipulierte, die wohlgemerkt Schokolinsen jeder Farbe enthalten durfte, aber keine braunen. Spaß beiseite: Die Band baute den Naschtest natürlich nicht wegen Groupiebrüsten ein, sondern weil sie sehr große und schwere Scheinwerfer verwendete. Und wenn ein Veranstalteraschenputtel es nicht einmal schaffte, brav die braunen M&M’s auszusortieren, dann wollte man ihm als Rockstar schon gar nicht sein Leben anvertrauen in betreffs der Frage, ob die zentnerschweren Scheinwerfer über den Köpfen der Band ordentlich befestigt waren.

Ähnliches ist offensichtlich in St. Pölten über die Bühne gegangen. Im Übereinkommen von ÖVP und FPÖ stehen so lustige Sachen wie ein Verzicht auf die Bewerbung von Impfkampagnen oder die Förderung von Schnitzel, nicht aber von Pizza. Natürlich meint das niemand ernst. Man kann ja nicht vom Partner verlangen, dass er sich zu einer Gefährdung des Wahlvolks verpflichtet. Das wäre ein noch viel aufgelegterer Blödsinn als eine Abneigung gegen braune M&M’s (wobei, wie halten es die Blauen eigentlich mit braunen M&M’s?). Es kann also nur darum gehen, dass die FPÖ Angst hat, ihr könnte im St. Pöltner Landhaus irgendwas auf den Kopf fallen. Und um sich der Sorgfalt der ÖVP zu versichern, hat sie diese Sachen reingeschrieben, um zu checken, ob Mikl-Leitner das eh genau gelesen hat.

Die gute Nachricht ist daher, dass die FPÖ den Rock’n’Roll liebt. Die schlechte freilich, dass Mikl-Leitner versagt hat und deshalb Van Halen nie in St. Pölten spielen werden. Es kann sich jetzt nur noch um Stunden handeln, bis Udo Landbauer die Geschichte auflöst und sich aus der Partnerschaft mit einem derart schlamperten Gegenüber enttäuscht verabschiedet. Schönes Wochenende!

Freitag, 17. März 2023

Stillos

Der Bundeskanzler hat, o zungenfertige Lesehäschen, etwas gehalten, das heute für eine Rede durchgeht. Schon sein Vorgänger hat ja, wie hieramts beobachtet, gerne mit einer Rhetorik geglänzt, die sich im Mangel daran erschöpfte.

Einst jedoch war ein Politiker, der nicht reden konnte, kein solcher, und das galt bis in durchaus erinnerliche Zeiten. Von Churchills „we shall fight on the beaches“ über JFKs “ick bin äin Bärlina” zu Clintons “it’s the economy, stupid” wurde mit Worten entscheidend gepunktet.

Man konnte dafür auf ein Arsenal von Stilmitteln und Methoden zurückgreifen, das spätestens seit Quintilians Institution oratoria erschöpfend erfasst und kodifiziert war und dessen sich natürlich nicht nur Politiker bedienten, sondern alle, die in der Überzeugungsbranche zu tun hatten. Euer Ergebener erinnert sich an den Vortrag eines weitbeschreiten Werbeexperten, der vor vielen Jahren die Geheimnisse seiner Zunft auch in Wien kundtat. Zur Enttäuschung des Zweckdichters gab er nichts anderes zum Besten als eine Kurzfassung der quintilianischen Lehren, umformuliert im Werbesprech der Nullerjahre, mit einschlägigen Beispielen illustriert und natürlich ohne Quellenangabe.

Der Kanzler hingegen zeigt sich als guter Österreicher und gibt sich in seiner rhetorischen Nackerbatzligkeit jünger, als er ist. Früher nämlich lernte man Deutsch viel von Literatur. Heute befasst sich die Jugend stattdessen mit einer Reihe von „Textsorten“, die es zu unterscheiden und beherrschen gilt. Warum es so erstrebenswert ist, einen „Leserbrief“ oder einen „Blogeintrag“ verfassen zu können, wenn man darauf überhaupt und vielleicht nie mehr im Leben Lust hat, bleibe dahingestellt. Eine besonders beliebte Textsorte ist die sogenannte Meinungsrede, die so heißt, damit man sie nicht mit anderen Redearten verwechsle, in denen keiner Meinung Ausdruck verliehen wird. Da drängen sich zum Beispiel die Ansichtsrede, die Mirwurschtrede oder die Heiligsprechungsrede auf.

Interessanterweise gibt es, wenn man der Gewährsperson eures Ergebenen, nämlich dem Zweckdichterbalg, Glauben schenken darf, genau ein Stilmittel, das im heutigen Deutschunterricht gelehrt und auf dessen Verwendung in der Meinungsrede Wert gelegt wird. (Bevor wir weiterschreiten: Keine Ahnung, wie viele Quintilian unterscheidet, aber jedenfalls deutlich mehr als 100).)

Dieses Stilmittel, das einzige, das heutigen Schülern an die Hand gegeben wird, um Zuhörer leichter von ihrer Meinung zu überzeugen, ist die sogenannte Wippe. Die Wippe funktioniert wie die gleichnamige Installation auf dem Spielplatz, wenn diese nicht ordentlich funktioniert. Gedacht wäre sie so, dass man sich selbst leicht macht (o ich ungebildeter Schüler, wie kann ich mich nur erfrechen …), sodass die p.t. Zuhörerschaft sich umso gewichtiger fühlen darf (… vor so gebildeten Menschen wie Ihnen meine unmaßgebliche Meinung auszubreiten, die wie folgt lautet). Wer schon einmal eine echte Wippe benützt hat, erkennt sofort das Problem: Wenn nicht beide User ungefähr gleich schwer sind, wippt da nichts. Deshalb wird die rhetorische Wippe bald fad. Früher hieß das „Bescheidenheitstopos“ und war ein Werkzeug unter vielen. Heute ist es anscheinend das einzige. Hast du Meinung, machst du Wippe.

Außer natürlich, du bist Nehammer. Entweder war dem Kanzler klar, dass gespielte Bescheidenheit angesichts seiner Gaben und Verdienste bestenfalls durchschaut, schlimmstenfalls als Frotzelei aufgefasst würde, und hat sich daher sogar die Wippe erspart. Oder er ist geistig noch nicht in der siebten Schulstufe angekommen. Wie auch immer: Wir feiern die Erfindung der gänzlich rhetorikfreien Rede. Up next: die wertefreie SPÖ. Ach warte, die gibt’s ja schon. Aber trotzdem: Schönes Wochenende!

Freitag, 10. März 2023

Verteidigung

 

Heute, o sonst so friedfertige Lesehäschen, geht es zur Sache. Jetzt gibt es eine Abreibung, was aufs Maul, hinter die Löffel, auf die Glocke und wo sonst noch Platz ist beziehungsweise ein Hieb hinpasst wie Arsch auf Eimer, nämlich wie die Faust aufs Auge, also ganz hervorragend. Freilich nur in Notwehr, wir wollen ja niemanden angreifen. Allein zur Verteidigung erheben wir die Hand! Denn diese ist eine reine Defensivwaffe. Oder? Ehrlich gesagt: So genau vermag euer Ergebener das nicht zu sagen. Ob man jetzt eine Watschen kassiert, weil man zuvor aus heiterem Himmel jemandem die Unterhose zu den Schulterblättern gehievt hat, oder ob man einen Schwinger kassiert, weil man jemandem aus heiterem Himmel eine Watschen überreicht hat – eine Watschen ist eine Watschen, da beißt die Maus keinen Faden ab.

Anscheinend ist euer Zweckdichter diesbezüglich etwas unterbelichtet. Denn allerlei Auskenner äußern einschlägige Sorgen. Zuletzt übernahm Isolde Charim im Falter die habermassche Anschauung, dass die Lieferungen des Westens an die Ukraine „von defensiven zu offensiven Waffentypen“ anwüchsen. Ich muss gestehen, dass ich da auf der Leitung stehe. Wie hält man die beiden Sorten auseinander? Ja klar, ein Raketenabwehrsystem ist defensiv. Deshalb heißt es ja auch „Abwehr“. Genauso wie ein Stecken ein Hiebabwehrsystem ist, weil ich mit ihm (entsprechendes Training vorausgesetzt) gegen mich geführte Hiebe parieren kann. Die Sache ist halt: Diese zu parierenden Hiebe führt mein Angreifer ebenfalls mit einem Stecken. Der dann wohl eine Offensivwaffe ist. Wenn ich nun irgendwo einmarschiere und die Angegriffenen Raketen auf mich abschießen, verteidige ich mich dann mit meinem Raketenabwehrsystem, oder ist es Teil meines Angriffsarsenals? Und wenn umgekehrt wer bei mir mit Panzern einmarschiert und ich meinerseits Panzer auffahren lasse, was sind das dann für welche?

Mir ist die Unterscheidung, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, so klar wie jene zwischen Blumen und Unkraut. Unkraut ist, was dir nicht taugt. Vielleicht finden es aber die Raupen extrem köstlich, ziehen sich dann eine Runde zurück, und hastdunichtgesehn, schon erfreut dich ein Schmetterling. Des einen Unkraut ist des andern Feldfrucht.

Es gibt freilich einen einfachen Ausweg, um ein für allemal zu klären, welche Waffen der Verteidigung dienen und welche nicht. Die mittelalterlichen Mönche halfen sich über die zahlreichen Fasttage hinweg, indem sie zum Beispiel den Biber ob seines schuppigen Schwanzes zum Fisch erklärten, sodass ein bisschen Abwechslung in den Speiseplan kam. Nichts liegt näher, als ein schlichtes Unterscheidungskriterium einzuführen: Wenn der Westen es der Ukraine liefert, ist es defensiv. Und schon können alle wieder ruhig schlafen, die Waffenlieferungen als „Kriegstreiberei“ sehen, wobei es in deren Reihen von Kulturschaffenden nur so wimmelt, während Leute, die aus einschlägiger Expertise ihren Lebensunterhalt ziehen, als zum Beispiel Militärs oder Konfliktforscher, hier konsequent mit Abwesenheit glänzen. Schönes Wochenende!

 

Freitag, 3. März 2023

Kunstvoll

Heute, o teure Lesehäschen, wird euch diese Kolumne gleich noch einmal so wohl munden wie sonst. Schon bei den ersten Sätzen denkt ihr euch: „Hui, das ist ja ein ganz spezieller Genuss, wie kommt es, dass unser geschätzter, aber doch schon etwas überwuzelter Zweckdichter seine Worte heute gar so fein zu setzen versteht, die Nuancen so sensibel abstimmt und mit geschmackvollen, aber dennoch treffsicheren Pointen zu überraschen versteht?“

Da müssen wir etwas weiter ausholen. Denn bekanntlich ist der Künstler nicht mehr vom Werk zu trennen. Beziehungsweise: Früher war es einem egal, ob der Künstler vom Werk zu trennen war, „Genie und Wahnsinn“ war sowieso der Freibrief für jegliche Ungustelei, da braucht man sich nur zum Beispiel Klaus Kinski anzuschauen.

Heute dagegen ist das Werk nur brauchbar, wenn der Künstler moralisch glutenfrei und unbedenklich ist. Da genügt schon ein Gout, ein Verdacht, sonst wäre Kevin Spacey ja ganz umsonst aus House of Cards geschnitten worden.

Dass wir uns den Luxus der weltanschaulichen Überprüfung nur bei der Kunst leisten, hat Harald Martenstein ja schon längst festgestellt. Denn wenn im Klo die braune Brühe knöcheltief steht und dann doch endlich der Installateur kommt (genießen wir es, so lange es noch Installateure gibt – allerdings eine Zukunftsbranche, denn es wird noch viel Scheiße durch den Kanal fließen, ehe die KI mit dem Werkzeugkoffer vor der Tür steht), dann fragen wir nicht als Erstes, was er bei der letzten Wahl angekreuzt hat. Stattdessen begrüßen wir ihn, bieten Kaffee an, lächeln über eventuelle fremdenfeindliche Witzchen – alles, damit wir wieder im Trockenen stehen können.

Nur bei der Kunst wollen wir es genauer wissen. Dahinter steht wohl die Anschauung, dass der Künstler etwas von sich selbst in sein Werk hineinlege, und wenn sein Selbst Grausliches enthält, wollen wir uns dieses nicht einverleiben.

Damit zur Erklärung warum ist die Kolumne heute nun so besonders großartig ist. Ganz einfach, meine Teuren: Euer Ergebener hat die Tage für eine Reihe über jeden Zweifel erhabener gemeinnütziger Organisationen gespendet, etliche Gendersternchen gesetzt und Hilfsbedürftige über die Straße geholfen. Auch wenn der Kunstbegriff für eure BamF gewiss hoch gegriffen ist, ist klar, dass ob der Einheit von Künstler und Werk meine gesteigerte moralische Einwandfreiheit euren gesteigerten Lektüregenuss zur Folge haben muss. Für die Zukunft sehe ich hier ein ebenso gewinnversprechendes wie ethisch erfreuliches Geschäftsfeld für Moralcoaches, die, indem sie den Künstler nettigkeitstechnisch optimieren,  sowohl dessen Marktfähigkeit als auch den Genuss des Publikums in bisher kaum vorstellbare Höhen heben werden.

Schönes Wochenende!