Freitag, 3. Oktober 2014

Semantik für Melancholiker


So meine Lieben, bitte Ruhe, wir haben ein volles Programm. Erstens als Nachtrag zur letztwöchigen Kolumne eine hübsche Syllepsis, geliefert vom gestrigen Standard: „Zum Start der Messe wird eine eigene Games-Beilage in der Tageszeitung erscheinen und unter den Besuchern verteilt.“ 

Na, haben alle die Syllepsis entdeckt?

Genau: Das „wird“ wird hier über Gebühr beaufschlagt. Mit „erscheinen“ bildet es das Futur, mit „verteilt“ gleichzeitig das Passiv, jedoch im Präsens. Das klappt so nicht. Korrekt müsste die Formulierung entweder lauten „erscheint ... und wird verteilt“ oder aber „wird erscheinen ... und verteilt werden“. 

Zweitens bedarf ein Satz aus dem Briefing eines hoffentlich baldigen Kunden der näheren Betrachtung – etliche kennen ihn schon:

Gemeint ist kein Motto im Sinne eines Promotion-Slogans, sondern ein Motto im Sinne einer deskriptiv verbalisierten „Gedanklichkeit“.

Die scheinbar so unschuldige Erläuterung erweist sich bei näherem Hinsehen als sehr betrüblich, weil aus ihr ein tiefes Misstrauen gegenüber unserem Tun spricht. Ist hier doch ein Gegensatz konstatiert zwischen einem „Promotion-Slogan“ und einer „deskriptiv verbalisierten ‚Gedanklichkeit’“. Sollte ein Promo-Slogan nicht vielmehr genau das leisten? Verständlich ausdrücken, worum es geht, wie die Promo gemeint ist? Beinah noch bedenklicher sind die Anführungszeichen, in denen sich Zweifel daran zu malen scheint, dass eine Promo Gedanken enthalten kann.

Ich glaube, dass die Verfasserin* dieses Satzes von der Werbung einmal tief enttäuscht worden ist und dieses Trauma noch nicht hinreichend verarbeitet hat. Wie gesagt, sehr betrüblich. 

Drittens schließlich begrüßen wir mit einem höflichen Applaus unsere neue Rubrik, für die ich recht herzlich um eure Einsendungen bitte. Gesucht ist 

DAS FEEDBACK DER WOCHE! 

Ich eröffne mit der Frage:

„Eisbär ist doch keine Jahreszeitenbezeichnung oder doch?“

Erhalten habe ich diese beistricharme Reaktion auf die Wendung „von Eisbär bis Hochsommer“.

Nun ist es schon bemerkenswert, dass jemand diese Synekdoché** nicht aufzulösen vermag, besonders, wenn die Jemandin sich einen Hochschulabschluss umgehängt hat. Es drängt sich wieder einmal die Frage auf, ob man es hier mit genuiner Dummheit, mit schlecht verhohlener Bosheit oder doch mit Wald-und-Wiesen-Betriebsblindheit zu tun hat. Das schnippisch nachgesetzte „oder doch“ lässt mich auf Bosheit tippen. Genauso gut könnte sich ein Immobilien-Brand-Manager beklagen, dass „die eigenen vier Wände“ keine geeignete Bezeichnung für eine Eigentumswohnung seien, weil eine Wohnung ja Böden, Decken, Installationen und überhaupt mehr als vier Wände hat.

Zum Feedback der Woche wird der Satz aber erst durch zwei von obgedachter Kundin mitgelieferte Gegenvorschläge:

„Von eiskalt bis Hochsommer“ und „Von bitterkalt bis Hochsommer“.

Jaja, wie wir in der Volksschule schon gesungen haben: 

Es war eine Mutter, die hatte vier Kinder:

den Frühling, den Sommer, den Herbst und bitterkalt. 

Das toppt ihr jetzt mal schön!

*Genderklausel bitte in der BamF vom 11. April nachlesen.

**Die Synekdoché ist jene Redefigur, die einen Begriff durch einen anderen, thematisch verwandten ersetzt. Der bekannteste Spezialfall ist wahrscheinlich das pars pro toto, d.h. es vertritt, wie im Beispiel von den vier Wänden, ein Teil das Ganze.

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